zu strählen. Und leider war sie in ihrer Verzauberung im Vogelsang nicht so geduldig wie die ins Elend gerathene Königstochter der lieben Sage. In den Bäumen am Osterberge saß sie wohl auch dann und wann auf einem bequemen Zweig als Allerleirauh; aber "die Haare sehr nach innen", wie wiederum Velten sich zierlich und bezeichnend ausdrückte. Wer sie zu Thränen der Reue, Rührung und Ergebung bringen wollte, mußte das fein anfangen, und gelang es eigentlich nur der Nachbarin Andres: Thränen der Wuth und Bosheit ihr zu entlocken, war recht leicht, und diesen "Spaß" machte sich Velten Andres, der Sohn seiner Mutter, nur zu häufig. Was Helene Trotzendorff Gutes aus dem Vogelsang in ihres Vaters Königreich später mitgenommen hat, hat sie zum größten Theil doch nur den Beiden zu danken gehabt. --
"Nun höre sie Einer da drüben," sagte um diese Lebenszeit mein Vater, in unserer Gartenlaube beim Sonntagsnachmittagskaffee von der Zeitung aufsehend. "Da liegen sie sich wieder bei der Doktorin in den Haaren -- einerlei ob es Spaß oder Ernst ist; die Passanten bleiben stehen und die Nachbarschaft legt sich in die Fenster und hat ihren Grund dazu. Und die Amalie lacht dazu! Endlich könnte sie doch be¬ denken, daß sie keine Kinder mehr sind. Junge, Junge, wenn ich Dich nur erst glücklich auf der
zu ſtrählen. Und leider war ſie in ihrer Verzauberung im Vogelſang nicht ſo geduldig wie die ins Elend gerathene Königstochter der lieben Sage. In den Bäumen am Oſterberge ſaß ſie wohl auch dann und wann auf einem bequemen Zweig als Allerleirauh; aber „die Haare ſehr nach innen“, wie wiederum Velten ſich zierlich und bezeichnend ausdrückte. Wer ſie zu Thränen der Reue, Rührung und Ergebung bringen wollte, mußte das fein anfangen, und gelang es eigentlich nur der Nachbarin Andres: Thränen der Wuth und Bosheit ihr zu entlocken, war recht leicht, und dieſen „Spaß“ machte ſich Velten Andres, der Sohn ſeiner Mutter, nur zu häufig. Was Helene Trotzendorff Gutes aus dem Vogelſang in ihres Vaters Königreich ſpäter mitgenommen hat, hat ſie zum größten Theil doch nur den Beiden zu danken gehabt. —
„Nun höre ſie Einer da drüben,“ ſagte um dieſe Lebenszeit mein Vater, in unſerer Gartenlaube beim Sonntagsnachmittagskaffee von der Zeitung aufſehend. „Da liegen ſie ſich wieder bei der Doktorin in den Haaren — einerlei ob es Spaß oder Ernſt iſt; die Paſſanten bleiben ſtehen und die Nachbarſchaft legt ſich in die Fenſter und hat ihren Grund dazu. Und die Amalie lacht dazu! Endlich könnte ſie doch be¬ denken, daß ſie keine Kinder mehr ſind. Junge, Junge, wenn ich Dich nur erſt glücklich auf der
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zu ſtrählen. Und leider war ſie in ihrer Verzauberung
im Vogelſang nicht ſo geduldig wie die ins Elend
gerathene Königstochter der lieben Sage. In den
Bäumen am Oſterberge ſaß ſie wohl auch dann und
wann auf einem bequemen Zweig als Allerleirauh;
aber „die Haare ſehr nach innen“, wie wiederum Velten
ſich zierlich und bezeichnend ausdrückte. Wer ſie zu
Thränen der Reue, Rührung und Ergebung bringen
wollte, mußte das fein anfangen, und gelang es
eigentlich nur der Nachbarin Andres: Thränen der
Wuth und Bosheit ihr zu entlocken, war recht leicht,
und dieſen „Spaß“ machte ſich Velten Andres, der
Sohn ſeiner Mutter, nur zu häufig. Was Helene
Trotzendorff Gutes aus dem Vogelſang in ihres Vaters
Königreich ſpäter mitgenommen hat, hat ſie zum
größten Theil doch nur den Beiden zu danken gehabt. —
„Nun höre ſie Einer da drüben,“ ſagte um dieſe
Lebenszeit mein Vater, in unſerer Gartenlaube beim
Sonntagsnachmittagskaffee von der Zeitung aufſehend.
„Da liegen ſie ſich wieder bei der Doktorin in den
Haaren — einerlei ob es Spaß oder Ernſt iſt; die
Paſſanten bleiben ſtehen und die Nachbarſchaft legt
ſich in die Fenſter und hat ihren Grund dazu. Und
die Amalie lacht dazu! Endlich könnte ſie doch be¬
denken, daß ſie keine Kinder mehr ſind. Junge,
Junge, wenn ich Dich nur erſt glücklich auf der
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/65>, abgerufen am 24.11.2024.
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