Wand, auf die letzte Spur von Velten Andres' Erdenwanderschaft; dann nahm sie das Gesicht in beide Hände und senkte das Haupt tiefer, und ein Frostschauer schien ihr über den Nacken zu laufen. Nun griff sie nach meiner Hand und drückte sie zu¬ sammen, daß sie schmerzte:
"Sprich nicht zu mir, Karl! Was könntest Du sagen? Laß mich sprechen! Wen habe ich denn auf der ganzen weiten Erde, zu dem ich von mir reden könnte? Ich, die ich die ganze weite Erde zum Eigen¬ thum habe und nur die mit Gold gefüllte Hand hinzuhalten brauche, um meinen Willen zu haben, wie ich ihn auf dem Osterberg in mein Herz desto zorniger verschloß, weil ihr schon zuviel davon wußtet! Wäre ich doch wie Andere, die sich damit trösten können und es auch thun, daß sie verkauft worden seien, daß es von Vater und Mutter her sei, wenn sie gleich wie Andere auf dem Markte der Welt eine Waare gewesen sind! Aber das wäre eine Lüge, und gelogen habe ich nie, und feige bin ich auch nicht, und wenn er was von mir wußte, war es das. Was ich geworden bin, ist aus mir selber, nicht von meiner armen Mutter her und noch weniger von meinem Vater. In unserm Vogelsang unter unserm Osterberge war ich dieselbe, die ich jetzt war, wo ich hier lag vor diesem Bett und ihn mit meinen
Wand, auf die letzte Spur von Velten Andres' Erdenwanderſchaft; dann nahm ſie das Geſicht in beide Hände und ſenkte das Haupt tiefer, und ein Froſtſchauer ſchien ihr über den Nacken zu laufen. Nun griff ſie nach meiner Hand und drückte ſie zu¬ ſammen, daß ſie ſchmerzte:
„Sprich nicht zu mir, Karl! Was könnteſt Du ſagen? Laß mich ſprechen! Wen habe ich denn auf der ganzen weiten Erde, zu dem ich von mir reden könnte? Ich, die ich die ganze weite Erde zum Eigen¬ thum habe und nur die mit Gold gefüllte Hand hinzuhalten brauche, um meinen Willen zu haben, wie ich ihn auf dem Oſterberg in mein Herz deſto zorniger verſchloß, weil ihr ſchon zuviel davon wußtet! Wäre ich doch wie Andere, die ſich damit tröſten können und es auch thun, daß ſie verkauft worden ſeien, daß es von Vater und Mutter her ſei, wenn ſie gleich wie Andere auf dem Markte der Welt eine Waare geweſen ſind! Aber das wäre eine Lüge, und gelogen habe ich nie, und feige bin ich auch nicht, und wenn er was von mir wußte, war es das. Was ich geworden bin, iſt aus mir ſelber, nicht von meiner armen Mutter her und noch weniger von meinem Vater. In unſerm Vogelſang unter unſerm Oſterberge war ich dieſelbe, die ich jetzt war, wo ich hier lag vor dieſem Bett und ihn mit meinen
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0319"n="309"/>
Wand, auf die letzte Spur von Velten Andres'<lb/>
Erdenwanderſchaft; dann nahm ſie das Geſicht in<lb/>
beide Hände und ſenkte das Haupt tiefer, und ein<lb/>
Froſtſchauer ſchien ihr über den Nacken zu laufen.<lb/>
Nun griff ſie nach meiner Hand und drückte ſie zu¬<lb/>ſammen, daß ſie ſchmerzte:</p><lb/><p>„Sprich nicht zu mir, Karl! Was könnteſt Du<lb/>ſagen? Laß mich ſprechen! Wen habe ich denn auf<lb/>
der ganzen weiten Erde, zu dem ich von mir reden<lb/>
könnte? Ich, die ich die ganze weite Erde zum Eigen¬<lb/>
thum habe und nur die mit Gold gefüllte Hand<lb/>
hinzuhalten brauche, um meinen Willen zu haben,<lb/>
wie ich ihn auf dem Oſterberg in mein Herz deſto<lb/>
zorniger verſchloß, weil ihr ſchon zuviel davon wußtet!<lb/>
Wäre ich doch wie Andere, die ſich damit tröſten<lb/>
können und es auch thun, daß ſie verkauft worden<lb/>ſeien, daß es von Vater und Mutter her ſei, wenn<lb/>ſie gleich wie Andere auf dem Markte der Welt eine<lb/>
Waare geweſen ſind! Aber das wäre eine Lüge,<lb/>
und gelogen habe ich nie, und feige bin ich auch<lb/>
nicht, und wenn er was von mir wußte, war es<lb/>
das. Was ich geworden bin, iſt aus mir ſelber,<lb/>
nicht von meiner armen Mutter her und noch weniger<lb/>
von meinem Vater. In unſerm Vogelſang unter<lb/>
unſerm Oſterberge war ich dieſelbe, die ich jetzt war,<lb/>
wo ich hier lag vor dieſem Bett und ihn mit meinen<lb/></p></body></text></TEI>
[309/0319]
Wand, auf die letzte Spur von Velten Andres'
Erdenwanderſchaft; dann nahm ſie das Geſicht in
beide Hände und ſenkte das Haupt tiefer, und ein
Froſtſchauer ſchien ihr über den Nacken zu laufen.
Nun griff ſie nach meiner Hand und drückte ſie zu¬
ſammen, daß ſie ſchmerzte:
„Sprich nicht zu mir, Karl! Was könnteſt Du
ſagen? Laß mich ſprechen! Wen habe ich denn auf
der ganzen weiten Erde, zu dem ich von mir reden
könnte? Ich, die ich die ganze weite Erde zum Eigen¬
thum habe und nur die mit Gold gefüllte Hand
hinzuhalten brauche, um meinen Willen zu haben,
wie ich ihn auf dem Oſterberg in mein Herz deſto
zorniger verſchloß, weil ihr ſchon zuviel davon wußtet!
Wäre ich doch wie Andere, die ſich damit tröſten
können und es auch thun, daß ſie verkauft worden
ſeien, daß es von Vater und Mutter her ſei, wenn
ſie gleich wie Andere auf dem Markte der Welt eine
Waare geweſen ſind! Aber das wäre eine Lüge,
und gelogen habe ich nie, und feige bin ich auch
nicht, und wenn er was von mir wußte, war es
das. Was ich geworden bin, iſt aus mir ſelber,
nicht von meiner armen Mutter her und noch weniger
von meinem Vater. In unſerm Vogelſang unter
unſerm Oſterberge war ich dieſelbe, die ich jetzt war,
wo ich hier lag vor dieſem Bett und ihn mit meinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/319>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.