wie ich mir mein Lebensglück dachte. Und ihr kanntet das ja auch zur Genüge; meine arme Mutter hat gut dazu geholfen, und ich kannte euer Grinsen und Lachen. Das war euer albernes Jungensrecht, und er vor Allem hat Gebrauch davon gemacht -- nicht bloß im Vogelsang und auf dem Osterberge, sondern auch im großen Leben, drüben in Amerika, in London, in Paris und Rom, wo mir nachher einander ge¬ troffen haben! Und wir haben einander wieder ge¬ troffen, Karl. Wie wir uns sträuben mochten, wir mußten einander suchen -- bis in den Tod, bis auf dieses harte Bett, in allem Sturm und Sonnenschein des Daseins bis hinein in diesen Novemberabend. Das war noch stärker als er, und er hielt sich für sehr stark; ich aber kenne ihn in seiner Schwäche. Da er sich nicht anders gegen mich wehren konnte und mich überall in seinem Leben, in seinen Gedanken und Träumen und in seinem Thun fand, da er mich nicht aus seinem Eigenthum an der Welt los wurde, mußte er ja allem Besitz entsagen, alles Eigenthum von sich stoßen und hat -- doch vergeblich -- den Vers dort an die Wand geschrieben! Es war ja auch nur ein thörichter Knabe, der mit seinem leichtbewegten Herzen zuerst in jenen nichtigen Worten Schutz vor sich selber suchte!"
Sie wies auf die ärmlich weißgetünchte
wie ich mir mein Lebensglück dachte. Und ihr kanntet das ja auch zur Genüge; meine arme Mutter hat gut dazu geholfen, und ich kannte euer Grinſen und Lachen. Das war euer albernes Jungensrecht, und er vor Allem hat Gebrauch davon gemacht — nicht bloß im Vogelſang und auf dem Oſterberge, ſondern auch im großen Leben, drüben in Amerika, in London, in Paris und Rom, wo mir nachher einander ge¬ troffen haben! Und wir haben einander wieder ge¬ troffen, Karl. Wie wir uns ſträuben mochten, wir mußten einander ſuchen — bis in den Tod, bis auf dieſes harte Bett, in allem Sturm und Sonnenſchein des Daſeins bis hinein in dieſen Novemberabend. Das war noch ſtärker als er, und er hielt ſich für ſehr ſtark; ich aber kenne ihn in ſeiner Schwäche. Da er ſich nicht anders gegen mich wehren konnte und mich überall in ſeinem Leben, in ſeinen Gedanken und Träumen und in ſeinem Thun fand, da er mich nicht aus ſeinem Eigenthum an der Welt los wurde, mußte er ja allem Beſitz entſagen, alles Eigenthum von ſich ſtoßen und hat — doch vergeblich — den Vers dort an die Wand geſchrieben! Es war ja auch nur ein thörichter Knabe, der mit ſeinem leichtbewegten Herzen zuerſt in jenen nichtigen Worten Schutz vor ſich ſelber ſuchte!“
Sie wies auf die ärmlich weißgetünchte
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0318"n="308"/>
wie ich mir mein Lebensglück dachte. Und ihr kanntet<lb/>
das ja auch zur Genüge; meine arme Mutter hat<lb/>
gut dazu geholfen, und ich kannte euer Grinſen und<lb/>
Lachen. Das war euer albernes Jungensrecht, und<lb/>
er vor Allem hat Gebrauch davon gemacht — nicht<lb/>
bloß im Vogelſang und auf dem Oſterberge, ſondern<lb/>
auch im großen Leben, drüben in Amerika, in London,<lb/>
in Paris und Rom, wo mir nachher einander ge¬<lb/>
troffen haben! Und wir haben einander wieder ge¬<lb/>
troffen, Karl. Wie wir uns ſträuben mochten, wir<lb/>
mußten einander ſuchen — bis in den Tod, bis auf<lb/>
dieſes harte Bett, in allem Sturm und Sonnenſchein<lb/>
des Daſeins bis hinein in dieſen Novemberabend.<lb/>
Das war noch ſtärker als er, und er hielt ſich für<lb/>ſehr ſtark; ich aber kenne ihn in ſeiner Schwäche.<lb/>
Da er ſich nicht anders gegen mich wehren konnte<lb/>
und mich überall in ſeinem Leben, in ſeinen Gedanken<lb/>
und Träumen und in ſeinem Thun fand, da er mich<lb/>
nicht aus ſeinem Eigenthum an der Welt los wurde,<lb/>
mußte er ja allem Beſitz entſagen, alles Eigenthum<lb/>
von ſich ſtoßen und hat — doch vergeblich — den Vers<lb/>
dort an die Wand geſchrieben! Es war ja auch nur<lb/>
ein thörichter Knabe, der mit ſeinem leichtbewegten<lb/>
Herzen zuerſt in jenen nichtigen Worten Schutz vor<lb/>ſich ſelber ſuchte!“</p><lb/><p>Sie wies auf die ärmlich weißgetünchte<lb/></p></body></text></TEI>
[308/0318]
wie ich mir mein Lebensglück dachte. Und ihr kanntet
das ja auch zur Genüge; meine arme Mutter hat
gut dazu geholfen, und ich kannte euer Grinſen und
Lachen. Das war euer albernes Jungensrecht, und
er vor Allem hat Gebrauch davon gemacht — nicht
bloß im Vogelſang und auf dem Oſterberge, ſondern
auch im großen Leben, drüben in Amerika, in London,
in Paris und Rom, wo mir nachher einander ge¬
troffen haben! Und wir haben einander wieder ge¬
troffen, Karl. Wie wir uns ſträuben mochten, wir
mußten einander ſuchen — bis in den Tod, bis auf
dieſes harte Bett, in allem Sturm und Sonnenſchein
des Daſeins bis hinein in dieſen Novemberabend.
Das war noch ſtärker als er, und er hielt ſich für
ſehr ſtark; ich aber kenne ihn in ſeiner Schwäche.
Da er ſich nicht anders gegen mich wehren konnte
und mich überall in ſeinem Leben, in ſeinen Gedanken
und Träumen und in ſeinem Thun fand, da er mich
nicht aus ſeinem Eigenthum an der Welt los wurde,
mußte er ja allem Beſitz entſagen, alles Eigenthum
von ſich ſtoßen und hat — doch vergeblich — den Vers
dort an die Wand geſchrieben! Es war ja auch nur
ein thörichter Knabe, der mit ſeinem leichtbewegten
Herzen zuerſt in jenen nichtigen Worten Schutz vor
ſich ſelber ſuchte!“
Sie wies auf die ärmlich weißgetünchte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/318>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.