nicht die vergebliche Mühe gegeben, es ihr begreiflich zu machen. Sonderbarerweise reichte auch unser Freund Velten seine Hand nur wie mechanisch und ohne eigentlich genaues Verständniß der Sache her. Herr German Fell drückte sie ihm, ließ sie fallen, sah den verkletterten Nachbar in der Weltesche mit dem ganzen melancholischen Chimpanseernst in das verdutzte Gesicht, schurrte, sozusagen, ganz und gar wieder in seine Kunst, das Leben zu überwinden, hinab und folgte, runden Rückens, so sehr als möglich Vierhänder, den Theatre-Variete-Genossen, die den halben Winter durch im Tivoli hinter meines Vaters Grundstück auf Spukmeyers "seligem Grasgarten" meinem Jugendfreunde die verständnißvollsten Nach¬ barn in Stadt und Vorstadt gewesen waren.
Nun hatten wir sie für uns allein, die ver¬ wüstete Kindheitsidylle. Leise zog meine Frau an mir, doch wagte sie nicht einmal flüsternd ihren Wunsch, die Leere und Öde auch so schnell als möglich hinter sich zu lassen und mich mitzunehmen, auszu¬ sprechen. Ich aber konnte so noch nicht scheiden, ich konnte den armen Freund, dem eben so grimmig Recht und Unrecht gegeben worden war, nicht in seiner thürlosen Hauspforte allein stehen lassen. Ich mußte noch nach Herrn German Fell ein Wort für unsern letzten Abschied vom Vogelsang finden, und ob der
nicht die vergebliche Mühe gegeben, es ihr begreiflich zu machen. Sonderbarerweiſe reichte auch unſer Freund Velten ſeine Hand nur wie mechaniſch und ohne eigentlich genaues Verſtändniß der Sache her. Herr German Fell drückte ſie ihm, ließ ſie fallen, ſah den verkletterten Nachbar in der Welteſche mit dem ganzen melancholiſchen Chimpanſeernſt in das verdutzte Geſicht, ſchurrte, ſozuſagen, ganz und gar wieder in ſeine Kunſt, das Leben zu überwinden, hinab und folgte, runden Rückens, ſo ſehr als möglich Vierhänder, den Theatre-Variété-Genoſſen, die den halben Winter durch im Tivoli hinter meines Vaters Grundſtück auf Spukmeyers „ſeligem Grasgarten“ meinem Jugendfreunde die verſtändnißvollſten Nach¬ barn in Stadt und Vorſtadt geweſen waren.
Nun hatten wir ſie für uns allein, die ver¬ wüſtete Kindheitsidylle. Leiſe zog meine Frau an mir, doch wagte ſie nicht einmal flüſternd ihren Wunſch, die Leere und Öde auch ſo ſchnell als möglich hinter ſich zu laſſen und mich mitzunehmen, auszu¬ ſprechen. Ich aber konnte ſo noch nicht ſcheiden, ich konnte den armen Freund, dem eben ſo grimmig Recht und Unrecht gegeben worden war, nicht in ſeiner thürloſen Hauspforte allein ſtehen laſſen. Ich mußte noch nach Herrn German Fell ein Wort für unſern letzten Abſchied vom Vogelſang finden, und ob der
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nicht die vergebliche Mühe gegeben, es ihr begreiflich
zu machen. Sonderbarerweiſe reichte auch unſer
Freund Velten ſeine Hand nur wie mechaniſch und
ohne eigentlich genaues Verſtändniß der Sache her.
Herr German Fell drückte ſie ihm, ließ ſie fallen,
ſah den verkletterten Nachbar in der Welteſche mit
dem ganzen melancholiſchen Chimpanſeernſt in das
verdutzte Geſicht, ſchurrte, ſozuſagen, ganz und gar
wieder in ſeine Kunſt, das Leben zu überwinden,
hinab und folgte, runden Rückens, ſo ſehr als möglich
Vierhänder, den Theatre-Variété-Genoſſen, die den
halben Winter durch im Tivoli hinter meines Vaters
Grundſtück auf Spukmeyers „ſeligem Grasgarten“
meinem Jugendfreunde die verſtändnißvollſten Nach¬
barn in Stadt und Vorſtadt geweſen waren.
Nun hatten wir ſie für uns allein, die ver¬
wüſtete Kindheitsidylle. Leiſe zog meine Frau an
mir, doch wagte ſie nicht einmal flüſternd ihren
Wunſch, die Leere und Öde auch ſo ſchnell als möglich
hinter ſich zu laſſen und mich mitzunehmen, auszu¬
ſprechen. Ich aber konnte ſo noch nicht ſcheiden, ich
konnte den armen Freund, dem eben ſo grimmig
Recht und Unrecht gegeben worden war, nicht in ſeiner
thürloſen Hauspforte allein ſtehen laſſen. Ich mußte
noch nach Herrn German Fell ein Wort für unſern
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/287>, abgerufen am 22.11.2024.
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