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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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auferlegten Werth verzichten zu wollen. Dieser Künstler
zögerte noch einen Augenblick, verlegen, schüchtern, als
ob er noch etwas zu sagen habe, aber nicht recht damit
aus sich heraus könne. Plötzlich jedoch fiel der "Thier¬
heit dumpfe Schranke" unter Gesten und Mimik, die
den homo sapiens als Publikum zu hellem Jauchzen
hätten bringen können; er stieg, sozusagen, aus
dem Pavian oder Gorilla heraus, die geschmeidigen
Muskeln steiften sich und -- Menschheit trat auf die
entwölkte Stirn: Herr German Fell aber trat auf
Velten Andres mit einer Hölzernheit zu, die ihn in
der Meinung verschiedener älterer Herren aus meiner
Kanzleiverwandtschaft sehr gehoben haben würde, bot
ihm die Hand und sagte:

"Mein Herr, Sie haben mir während der letzten
Monate dann und wann nebenan die Ehre gegeben;
Sie verzeihen also, wenn ich mir heute hier bei Ihnen
das Vergnügen gemacht habe. Bei so kurzer und
vager Bekanntschaft würde es -- suchen Sie das
bessere Wort -- würde es unangebracht sein, wenn
ich um Ihre Freundschaft bitten wollte; Sie werden
mich jedoch auch nicht verachten, weil ich dann und
wann etwas mehr als Andere Affe bin. In gedrückten
Mußestunden pflege ich mich jedenfalls immer noch
wie andere von uns Primaten mit transcendentaler
Menschenkunde zu beschäftigen; ich habe ebenfalls einige

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auferlegten Werth verzichten zu wollen. Dieſer Künſtler
zögerte noch einen Augenblick, verlegen, ſchüchtern, als
ob er noch etwas zu ſagen habe, aber nicht recht damit
aus ſich heraus könne. Plötzlich jedoch fiel der „Thier¬
heit dumpfe Schranke“ unter Geſten und Mimik, die
den homo sapiens als Publikum zu hellem Jauchzen
hätten bringen können; er ſtieg, ſozuſagen, aus
dem Pavian oder Gorilla heraus, die geſchmeidigen
Muskeln ſteiften ſich und — Menſchheit trat auf die
entwölkte Stirn: Herr German Fell aber trat auf
Velten Andres mit einer Hölzernheit zu, die ihn in
der Meinung verſchiedener älterer Herren aus meiner
Kanzleiverwandtſchaft ſehr gehoben haben würde, bot
ihm die Hand und ſagte:

„Mein Herr, Sie haben mir während der letzten
Monate dann und wann nebenan die Ehre gegeben;
Sie verzeihen alſo, wenn ich mir heute hier bei Ihnen
das Vergnügen gemacht habe. Bei ſo kurzer und
vager Bekanntſchaft würde es — ſuchen Sie das
beſſere Wort — würde es unangebracht ſein, wenn
ich um Ihre Freundſchaft bitten wollte; Sie werden
mich jedoch auch nicht verachten, weil ich dann und
wann etwas mehr als Andere Affe bin. In gedrückten
Mußeſtunden pflege ich mich jedenfalls immer noch
wie andere von uns Primaten mit transcendentaler
Menſchenkunde zu beſchäftigen; ich habe ebenfalls einige

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[275/0285] auferlegten Werth verzichten zu wollen. Dieſer Künſtler zögerte noch einen Augenblick, verlegen, ſchüchtern, als ob er noch etwas zu ſagen habe, aber nicht recht damit aus ſich heraus könne. Plötzlich jedoch fiel der „Thier¬ heit dumpfe Schranke“ unter Geſten und Mimik, die den homo sapiens als Publikum zu hellem Jauchzen hätten bringen können; er ſtieg, ſozuſagen, aus dem Pavian oder Gorilla heraus, die geſchmeidigen Muskeln ſteiften ſich und — Menſchheit trat auf die entwölkte Stirn: Herr German Fell aber trat auf Velten Andres mit einer Hölzernheit zu, die ihn in der Meinung verſchiedener älterer Herren aus meiner Kanzleiverwandtſchaft ſehr gehoben haben würde, bot ihm die Hand und ſagte: „Mein Herr, Sie haben mir während der letzten Monate dann und wann nebenan die Ehre gegeben; Sie verzeihen alſo, wenn ich mir heute hier bei Ihnen das Vergnügen gemacht habe. Bei ſo kurzer und vager Bekanntſchaft würde es — ſuchen Sie das beſſere Wort — würde es unangebracht ſein, wenn ich um Ihre Freundſchaft bitten wollte; Sie werden mich jedoch auch nicht verachten, weil ich dann und wann etwas mehr als Andere Affe bin. In gedrückten Mußeſtunden pflege ich mich jedenfalls immer noch wie andere von uns Primaten mit transcendentaler Menſchenkunde zu beſchäftigen; ich habe ebenfalls einige 18*

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/285>, abgerufen am 05.05.2024.