das ich unter dem Dachwinkel hervorzog, jener Weih¬ nachtsabend zurück, an welchem wir es zuerst ritten und Velten meinte: "Ich hatte mir ein Thier mit Rädern und wirklichem Fell auf den Wunschzettel geschrieben; aber sage nur nichts davon." Er hat es damals auch bald mir allein überlassen, es war nichts für ihn; ich aber hätte ihn auch nun noch gern gefragt: "Auch das in den Ofen?" und ihn gebeten: "Laß es mir für meinen Jungen!"
Es wäre eine psychologisch-philosophische Ab¬ handlung darüber zu schreiben, weshalb ich weder die Frage noch die Bitte that, sondern selbst es mir auf die Schulter lud und es ihm die Treppe hinunter zum Küchenherd trug. Ja -- er hatte mich auch jetzt wieder unter sich, es war von meiner Besitzfreudigkeit aus keine Abwehr gegen seine Eigenthumsmüdig¬ keit: ich habe ihm geholfen, sein Haus zu leeren und sich frei zu machen von seinem Besitz auf Erden! --
Aber es ließ sich nicht Alles verbrennen, woran für diesen grimmigen, ruhebedürftigen, unstät ge¬ wordenen Gast im Leben, wie wir Juristen uns aus¬ drücken, ein pretium affectionis haftete. Metall, Glas und Porzellan brannten nicht, und doch wollte er auf seinen ferneren Wegen sich nicht mit der Vor¬ stellung plagen, wer jetzt die Feder in seines Vaters
das ich unter dem Dachwinkel hervorzog, jener Weih¬ nachtsabend zurück, an welchem wir es zuerſt ritten und Velten meinte: „Ich hatte mir ein Thier mit Rädern und wirklichem Fell auf den Wunſchzettel geſchrieben; aber ſage nur nichts davon.“ Er hat es damals auch bald mir allein überlaſſen, es war nichts für ihn; ich aber hätte ihn auch nun noch gern gefragt: „Auch das in den Ofen?“ und ihn gebeten: „Laß es mir für meinen Jungen!“
Es wäre eine pſychologiſch-philoſophiſche Ab¬ handlung darüber zu ſchreiben, weshalb ich weder die Frage noch die Bitte that, ſondern ſelbſt es mir auf die Schulter lud und es ihm die Treppe hinunter zum Küchenherd trug. Ja — er hatte mich auch jetzt wieder unter ſich, es war von meiner Beſitzfreudigkeit aus keine Abwehr gegen ſeine Eigenthumsmüdig¬ keit: ich habe ihm geholfen, ſein Haus zu leeren und ſich frei zu machen von ſeinem Beſitz auf Erden! —
Aber es ließ ſich nicht Alles verbrennen, woran für dieſen grimmigen, ruhebedürftigen, unſtät ge¬ wordenen Gaſt im Leben, wie wir Juriſten uns aus¬ drücken, ein pretium affectionis haftete. Metall, Glas und Porzellan brannten nicht, und doch wollte er auf ſeinen ferneren Wegen ſich nicht mit der Vor¬ ſtellung plagen, wer jetzt die Feder in ſeines Vaters
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das ich unter dem Dachwinkel hervorzog, jener Weih¬
nachtsabend zurück, an welchem wir es zuerſt ritten
und Velten meinte: „Ich hatte mir ein Thier mit
Rädern und wirklichem Fell auf den Wunſchzettel
geſchrieben; aber ſage nur nichts davon.“ Er hat
es damals auch bald mir allein überlaſſen, es war
nichts für ihn; ich aber hätte ihn auch nun noch
gern gefragt: „Auch das in den Ofen?“ und ihn
gebeten: „Laß es mir für meinen Jungen!“
Es wäre eine pſychologiſch-philoſophiſche Ab¬
handlung darüber zu ſchreiben, weshalb ich weder die
Frage noch die Bitte that, ſondern ſelbſt es mir auf
die Schulter lud und es ihm die Treppe hinunter
zum Küchenherd trug. Ja — er hatte mich auch jetzt
wieder unter ſich, es war von meiner Beſitzfreudigkeit
aus keine Abwehr gegen ſeine Eigenthumsmüdig¬
keit: ich habe ihm geholfen, ſein Haus zu leeren
und ſich frei zu machen von ſeinem Beſitz auf
Erden! —
Aber es ließ ſich nicht Alles verbrennen, woran
für dieſen grimmigen, ruhebedürftigen, unſtät ge¬
wordenen Gaſt im Leben, wie wir Juriſten uns aus¬
drücken, ein pretium affectionis haftete. Metall,
Glas und Porzellan brannten nicht, und doch wollte
er auf ſeinen ferneren Wegen ſich nicht mit der Vor¬
ſtellung plagen, wer jetzt die Feder in ſeines Vaters
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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