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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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richtigung, daß sie mich nicht zum Abendthee zu er¬
warten habe; vielleicht werde ich auch ein wenig spät
in der Nacht erst heimkommen. Was sollte ihr
mit ihrem Kindchen an der Brust solch ein spätabend¬
liches Erschrecken für eben diese Nacht? --

In dem alten schmalen Buchsbaumgang kam mir
der Freund von dem Häuschen zu der letzten grünen
Hecke unserer Jugendzeit entgegen, mit dem Gesicht,
das er aller Welt machte, nachdem er sich wieder bei
uns "eingewöhnt" hatte. Und solch ein Gesicht läßt
sich denn auch einem guten oder besten Freunde gegen¬
über nicht leicht in andere Falten legen.

"Sieh, das ist freundschaftlich von Dir," sagte
er. Ich blickte nach dem offenen Fenster der Frau
Doktorin hin und da sie mir nicht wie gewöhnlich
freundlich von dorther zunickte, fragte ich, wie man
so fragt:

"Was macht die Mutter?"

"Auch die wird sich freuen, Dich zu sehen!"
und so schüttelten wir uns die Hände und schritten
dem Hause der Nachbarin Andres zu. "Noch einmal
zu sehen, wäre wohl das richtigere Wort, lieber
Alter!" sagte Velten Andres und dabei faßte er
freilich meinen Arm wie mit eisernem Griff -- wie
um mich bei sich festzuhalten und aufrecht in meinem
Erschrecken, und sah nicht dabei drein wie Einer, der die

richtigung, daß ſie mich nicht zum Abendthee zu er¬
warten habe; vielleicht werde ich auch ein wenig ſpät
in der Nacht erſt heimkommen. Was ſollte ihr
mit ihrem Kindchen an der Bruſt ſolch ein ſpätabend¬
liches Erſchrecken für eben dieſe Nacht? —

In dem alten ſchmalen Buchsbaumgang kam mir
der Freund von dem Häuschen zu der letzten grünen
Hecke unſerer Jugendzeit entgegen, mit dem Geſicht,
das er aller Welt machte, nachdem er ſich wieder bei
uns „eingewöhnt“ hatte. Und ſolch ein Geſicht läßt
ſich denn auch einem guten oder beſten Freunde gegen¬
über nicht leicht in andere Falten legen.

„Sieh, das iſt freundſchaftlich von Dir,“ ſagte
er. Ich blickte nach dem offenen Fenſter der Frau
Doktorin hin und da ſie mir nicht wie gewöhnlich
freundlich von dorther zunickte, fragte ich, wie man
ſo fragt:

„Was macht die Mutter?“

„Auch die wird ſich freuen, Dich zu ſehen!“
und ſo ſchüttelten wir uns die Hände und ſchritten
dem Hauſe der Nachbarin Andres zu. „Noch einmal
zu ſehen, wäre wohl das richtigere Wort, lieber
Alter!“ ſagte Velten Andres und dabei faßte er
freilich meinen Arm wie mit eiſernem Griff — wie
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[244/0254] richtigung, daß ſie mich nicht zum Abendthee zu er¬ warten habe; vielleicht werde ich auch ein wenig ſpät in der Nacht erſt heimkommen. Was ſollte ihr mit ihrem Kindchen an der Bruſt ſolch ein ſpätabend¬ liches Erſchrecken für eben dieſe Nacht? — In dem alten ſchmalen Buchsbaumgang kam mir der Freund von dem Häuschen zu der letzten grünen Hecke unſerer Jugendzeit entgegen, mit dem Geſicht, das er aller Welt machte, nachdem er ſich wieder bei uns „eingewöhnt“ hatte. Und ſolch ein Geſicht läßt ſich denn auch einem guten oder beſten Freunde gegen¬ über nicht leicht in andere Falten legen. „Sieh, das iſt freundſchaftlich von Dir,“ ſagte er. Ich blickte nach dem offenen Fenſter der Frau Doktorin hin und da ſie mir nicht wie gewöhnlich freundlich von dorther zunickte, fragte ich, wie man ſo fragt: „Was macht die Mutter?“ „Auch die wird ſich freuen, Dich zu ſehen!“ und ſo ſchüttelten wir uns die Hände und ſchritten dem Hauſe der Nachbarin Andres zu. „Noch einmal zu ſehen, wäre wohl das richtigere Wort, lieber Alter!“ ſagte Velten Andres und dabei faßte er freilich meinen Arm wie mit eiſernem Griff — wie um mich bei ſich feſtzuhalten und aufrecht in meinem Erſchrecken, und ſah nicht dabei drein wie Einer, der die

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/254>, abgerufen am 05.05.2024.