armen Mutter den Verkehr über die lebendige Hecke und die von einem blühenden Apfelbaum zum andern auf eigenem sicherm Grund und Boden ausgespannte Waschleine und was sich an behaglichem Verdruß und verdrießlichem Wohlbehagen daran knüpfte. Wenn ich mir jetzt, mit dem Kopfe in der Hand, überlege, was ich dagegen thun konnte, daß sie ihren Willen, auf ihrem und -- meinem Wege aufwärts als grämliche Sieger zu fallen, nicht bekamen, und mir sagen darf: "Wenig!" so ist das auch ein Trost, aber nur ein geringer, und man hat erst an seine eigenen Nachkommen und deren Tröstungen zu denken, ehe man sich wieder beruhigter, gelassener vor solch einem Aktenbündel, wie dieses hier vor¬ liegende, im Sessel zurechtrückt. --
Jawohl, mein Weg ging aufwärts in der Rangordnung des Staatskalenders und der bürger¬ lichen Gesellschaft: meine Eltern starben -- die Mutter zuerst und der Vater ihr bald nach; und ich heirathete. Daß ich ihnen "Schlappes" Schwester als liebe Braut und gute Tochter zuführte, war der beiden guten und lieben alten Leute letzte Freude und drückte ihnen das letzte Siegel auf die Gewi߬ heit, daß auch ich ein guter braver Sohn gewesen sei, daß ich allen ihren Erwartungen entsprochen habe und mich auch fernerhin aller hohen und
armen Mutter den Verkehr über die lebendige Hecke und die von einem blühenden Apfelbaum zum andern auf eigenem ſicherm Grund und Boden ausgeſpannte Waſchleine und was ſich an behaglichem Verdruß und verdrießlichem Wohlbehagen daran knüpfte. Wenn ich mir jetzt, mit dem Kopfe in der Hand, überlege, was ich dagegen thun konnte, daß ſie ihren Willen, auf ihrem und — meinem Wege aufwärts als grämliche Sieger zu fallen, nicht bekamen, und mir ſagen darf: „Wenig!“ ſo iſt das auch ein Troſt, aber nur ein geringer, und man hat erſt an ſeine eigenen Nachkommen und deren Tröſtungen zu denken, ehe man ſich wieder beruhigter, gelaſſener vor ſolch einem Aktenbündel, wie dieſes hier vor¬ liegende, im Seſſel zurechtrückt. —
Jawohl, mein Weg ging aufwärts in der Rangordnung des Staatskalenders und der bürger¬ lichen Geſellſchaft: meine Eltern ſtarben — die Mutter zuerſt und der Vater ihr bald nach; und ich heirathete. Daß ich ihnen „Schlappes“ Schweſter als liebe Braut und gute Tochter zuführte, war der beiden guten und lieben alten Leute letzte Freude und drückte ihnen das letzte Siegel auf die Gewi߬ heit, daß auch ich ein guter braver Sohn geweſen ſei, daß ich allen ihren Erwartungen entſprochen habe und mich auch fernerhin aller hohen und
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0211"n="201"/>
armen Mutter den Verkehr über die lebendige Hecke<lb/>
und die von einem blühenden Apfelbaum zum andern<lb/>
auf eigenem ſicherm Grund und Boden ausgeſpannte<lb/>
Waſchleine und was ſich an behaglichem Verdruß<lb/>
und verdrießlichem Wohlbehagen daran knüpfte.<lb/>
Wenn ich mir jetzt, mit dem Kopfe in der Hand,<lb/>
überlege, was ich dagegen thun konnte, daß ſie ihren<lb/>
Willen, auf ihrem und — meinem Wege aufwärts<lb/>
als grämliche Sieger zu fallen, nicht bekamen, und<lb/>
mir ſagen darf: „Wenig!“ſo iſt das auch ein Troſt,<lb/>
aber nur ein geringer, und man hat erſt an ſeine<lb/>
eigenen Nachkommen und deren Tröſtungen zu<lb/>
denken, ehe man ſich wieder beruhigter, gelaſſener<lb/>
vor ſolch einem Aktenbündel, wie dieſes hier vor¬<lb/>
liegende, im Seſſel zurechtrückt. —</p><lb/><p>Jawohl, mein Weg ging aufwärts in der<lb/>
Rangordnung des Staatskalenders und der bürger¬<lb/>
lichen Geſellſchaft: meine Eltern ſtarben — die<lb/>
Mutter zuerſt und der Vater ihr bald nach; und ich<lb/>
heirathete. Daß ich ihnen „Schlappes“ Schweſter als<lb/>
liebe Braut und gute Tochter zuführte, war der<lb/>
beiden guten und lieben alten Leute letzte Freude<lb/>
und drückte ihnen das letzte Siegel auf die Gewi߬<lb/>
heit, daß auch ich ein guter braver Sohn geweſen<lb/>ſei, daß ich allen ihren Erwartungen entſprochen<lb/>
habe und mich auch fernerhin aller hohen und<lb/></p></body></text></TEI>
[201/0211]
armen Mutter den Verkehr über die lebendige Hecke
und die von einem blühenden Apfelbaum zum andern
auf eigenem ſicherm Grund und Boden ausgeſpannte
Waſchleine und was ſich an behaglichem Verdruß
und verdrießlichem Wohlbehagen daran knüpfte.
Wenn ich mir jetzt, mit dem Kopfe in der Hand,
überlege, was ich dagegen thun konnte, daß ſie ihren
Willen, auf ihrem und — meinem Wege aufwärts
als grämliche Sieger zu fallen, nicht bekamen, und
mir ſagen darf: „Wenig!“ ſo iſt das auch ein Troſt,
aber nur ein geringer, und man hat erſt an ſeine
eigenen Nachkommen und deren Tröſtungen zu
denken, ehe man ſich wieder beruhigter, gelaſſener
vor ſolch einem Aktenbündel, wie dieſes hier vor¬
liegende, im Seſſel zurechtrückt. —
Jawohl, mein Weg ging aufwärts in der
Rangordnung des Staatskalenders und der bürger¬
lichen Geſellſchaft: meine Eltern ſtarben — die
Mutter zuerſt und der Vater ihr bald nach; und ich
heirathete. Daß ich ihnen „Schlappes“ Schweſter als
liebe Braut und gute Tochter zuführte, war der
beiden guten und lieben alten Leute letzte Freude
und drückte ihnen das letzte Siegel auf die Gewi߬
heit, daß auch ich ein guter braver Sohn geweſen
ſei, daß ich allen ihren Erwartungen entſprochen
habe und mich auch fernerhin aller hohen und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/211>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.