Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

noch Aufklärung und Rath, und nicht bloß in meinen
Geschäften, sondern im Leben überhaupt. --

Meine Mutter war eine Frau, deren höchste
Lebenswünsche und Ansprüche durch den Titel Räthin
ganz und gar erfüllt wurden. Sie war eine gute
Mutter und beste der Gattinnen, wenn das Letztere
vom vollständigen Aufgehen in den Ansichten, Mei¬
nungen, Worten und Werken des Gatten abhängig
ist. Sie fühlte sich wohl in der Zucht, in welcher er
sie und sein Haus hielt, und ich glaube nicht, daß sie
je einen anderen Willen haben konnte, als den seinigen.

Geschwister habe ich nicht gehabt, wenigstens
nicht solche, die so lange geathmet hätten, um von
Einfluß auf mein Leben zu werden. Den Ersatz hier¬
für lieferte die Nachbarschaft und zwar in ergiebigster
Weise, und davon handelt denn auch, um es hier
schon kurz zu sagen, die Akte, die ich jetzt anlege.
Wem zum Besten, wer mag das sagen? Jedenfalls
mir zu eigenster Seelenerleichterung und aus tief¬
gefühltem Bedürfniß nach Einem, nach Etwas, das
einen ruhig anhört, aussprechen läßt und nicht eher
dazu redet, bis das Ganze vorliegt. Daß es nicht
eine Personalakte in der wirklichsten Bedeutung dieses
Wortes ist, nimmt in meinen Augen den Aufzeich¬
nungen nichts von ihrem Werth. --


noch Aufklärung und Rath, und nicht bloß in meinen
Geſchäften, ſondern im Leben überhaupt. —

Meine Mutter war eine Frau, deren höchſte
Lebenswünſche und Anſprüche durch den Titel Räthin
ganz und gar erfüllt wurden. Sie war eine gute
Mutter und beſte der Gattinnen, wenn das Letztere
vom vollſtändigen Aufgehen in den Anſichten, Mei¬
nungen, Worten und Werken des Gatten abhängig
iſt. Sie fühlte ſich wohl in der Zucht, in welcher er
ſie und ſein Haus hielt, und ich glaube nicht, daß ſie
je einen anderen Willen haben konnte, als den ſeinigen.

Geſchwiſter habe ich nicht gehabt, wenigſtens
nicht ſolche, die ſo lange geathmet hätten, um von
Einfluß auf mein Leben zu werden. Den Erſatz hier¬
für lieferte die Nachbarſchaft und zwar in ergiebigſter
Weiſe, und davon handelt denn auch, um es hier
ſchon kurz zu ſagen, die Akte, die ich jetzt anlege.
Wem zum Beſten, wer mag das ſagen? Jedenfalls
mir zu eigenſter Seelenerleichterung und aus tief¬
gefühltem Bedürfniß nach Einem, nach Etwas, das
einen ruhig anhört, ausſprechen läßt und nicht eher
dazu redet, bis das Ganze vorliegt. Daß es nicht
eine Perſonalakte in der wirklichſten Bedeutung dieſes
Wortes iſt, nimmt in meinen Augen den Aufzeich¬
nungen nichts von ihrem Werth. —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0019" n="9"/>
noch Aufklärung und Rath, und nicht bloß in meinen<lb/>
Ge&#x017F;chäften, &#x017F;ondern im Leben überhaupt. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Meine Mutter war eine Frau, deren höch&#x017F;te<lb/>
Lebenswün&#x017F;che und An&#x017F;prüche durch den Titel Räthin<lb/>
ganz und gar erfüllt wurden. Sie war eine gute<lb/>
Mutter und be&#x017F;te der Gattinnen, wenn das Letztere<lb/>
vom voll&#x017F;tändigen Aufgehen in den An&#x017F;ichten, Mei¬<lb/>
nungen, Worten und Werken des Gatten abhängig<lb/>
i&#x017F;t. Sie fühlte &#x017F;ich wohl in der Zucht, in welcher er<lb/>
&#x017F;ie und &#x017F;ein Haus hielt, und ich glaube nicht, daß &#x017F;ie<lb/>
je einen anderen Willen haben konnte, als den &#x017F;einigen.</p><lb/>
      <p>Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter habe ich nicht gehabt, wenig&#x017F;tens<lb/>
nicht &#x017F;olche, die &#x017F;o lange geathmet hätten, um von<lb/>
Einfluß auf mein Leben zu werden. Den Er&#x017F;atz hier¬<lb/>
für lieferte die Nachbar&#x017F;chaft und zwar in ergiebig&#x017F;ter<lb/>
Wei&#x017F;e, und davon handelt denn auch, um es hier<lb/>
&#x017F;chon kurz zu &#x017F;agen, die Akte, die ich jetzt anlege.<lb/>
Wem zum Be&#x017F;ten, wer mag das &#x017F;agen? Jedenfalls<lb/>
mir zu eigen&#x017F;ter Seelenerleichterung und aus tief¬<lb/>
gefühltem Bedürfniß nach Einem, nach Etwas, das<lb/>
einen ruhig anhört, aus&#x017F;prechen läßt und nicht eher<lb/>
dazu redet, bis das Ganze vorliegt. Daß es nicht<lb/>
eine Per&#x017F;onalakte in der wirklich&#x017F;ten Bedeutung die&#x017F;es<lb/>
Wortes i&#x017F;t, nimmt in meinen Augen den Aufzeich¬<lb/>
nungen nichts von ihrem Werth. &#x2014;</p><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0019] noch Aufklärung und Rath, und nicht bloß in meinen Geſchäften, ſondern im Leben überhaupt. — Meine Mutter war eine Frau, deren höchſte Lebenswünſche und Anſprüche durch den Titel Räthin ganz und gar erfüllt wurden. Sie war eine gute Mutter und beſte der Gattinnen, wenn das Letztere vom vollſtändigen Aufgehen in den Anſichten, Mei¬ nungen, Worten und Werken des Gatten abhängig iſt. Sie fühlte ſich wohl in der Zucht, in welcher er ſie und ſein Haus hielt, und ich glaube nicht, daß ſie je einen anderen Willen haben konnte, als den ſeinigen. Geſchwiſter habe ich nicht gehabt, wenigſtens nicht ſolche, die ſo lange geathmet hätten, um von Einfluß auf mein Leben zu werden. Den Erſatz hier¬ für lieferte die Nachbarſchaft und zwar in ergiebigſter Weiſe, und davon handelt denn auch, um es hier ſchon kurz zu ſagen, die Akte, die ich jetzt anlege. Wem zum Beſten, wer mag das ſagen? Jedenfalls mir zu eigenſter Seelenerleichterung und aus tief¬ gefühltem Bedürfniß nach Einem, nach Etwas, das einen ruhig anhört, ausſprechen läßt und nicht eher dazu redet, bis das Ganze vorliegt. Daß es nicht eine Perſonalakte in der wirklichſten Bedeutung dieſes Wortes iſt, nimmt in meinen Augen den Aufzeich¬ nungen nichts von ihrem Werth. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/19
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/19>, abgerufen am 24.11.2024.