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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Wie wird er darin zurechtkommen? Er hat das ja
leider von mir, daß er es mit nichts, wie andere
Leute, eilig hat und sich Zeit zu Allem nimmt, und
gern allein für sich sitzt, wie seine thörichte alte
Mutter. O bitte, sage es auch Deinen Eltern, bitte
sie, daß sie mich fürs Erste wenigstens allein für mich
lassen, bis ich mich wenigstens etwas wieder in mir
zur Ruhe gefunden habe. Mein Gott, sind wir
Mütter schuld daran, wenn wir unseren Kindern
unser Bestes mit auf den Weg geben und sie elend
dadurch machen? Wenn wir uns getäuscht hätten!
Es wäre zu trostlos, wenn er seinen Willen durch¬
setzte und den meinigen mit, und es doch nichts
weiter als ein Märchengespinnst, ein höhnisch-hübsches
Schattenspiel an der Wand wäre! Wenn er mir
das Kind heimbrächte und es doch seine Lebensbe¬
dingungen drüben hätte! Komm rasch -- rasch nach
Hause, bester Junge. Der Strauß pflegt seinen Kopf
in den Sand zu stecken und die alte Doktern Andres
steckt ihren in den Vogelsang. Aber bitte, halte mir
für die nächste Zeit Deinen lieben, guten Vater vom
Leibe! Ist das nicht der Nachbar Hartleben, der sich
dort in seinem Rollstuhl in die warme Sommerluft
fahren läßt? . . . Jawohl, Nachbar, er läßt Sie
vor allen Anderen noch einmal herzlich grüßen, und
Sie thun mir einen Gefallen, wenn Sie sich heute

Wie wird er darin zurechtkommen? Er hat das ja
leider von mir, daß er es mit nichts, wie andere
Leute, eilig hat und ſich Zeit zu Allem nimmt, und
gern allein für ſich ſitzt, wie ſeine thörichte alte
Mutter. O bitte, ſage es auch Deinen Eltern, bitte
ſie, daß ſie mich fürs Erſte wenigſtens allein für mich
laſſen, bis ich mich wenigſtens etwas wieder in mir
zur Ruhe gefunden habe. Mein Gott, ſind wir
Mütter ſchuld daran, wenn wir unſeren Kindern
unſer Beſtes mit auf den Weg geben und ſie elend
dadurch machen? Wenn wir uns getäuſcht hätten!
Es wäre zu troſtlos, wenn er ſeinen Willen durch¬
ſetzte und den meinigen mit, und es doch nichts
weiter als ein Märchengeſpinnſt, ein höhniſch-hübſches
Schattenſpiel an der Wand wäre! Wenn er mir
das Kind heimbrächte und es doch ſeine Lebensbe¬
dingungen drüben hätte! Komm raſch — raſch nach
Hauſe, beſter Junge. Der Strauß pflegt ſeinen Kopf
in den Sand zu ſtecken und die alte Doktern Andres
ſteckt ihren in den Vogelſang. Aber bitte, halte mir
für die nächſte Zeit Deinen lieben, guten Vater vom
Leibe! Iſt das nicht der Nachbar Hartleben, der ſich
dort in ſeinem Rollſtuhl in die warme Sommerluft
fahren läßt? . . . Jawohl, Nachbar, er läßt Sie
vor allen Anderen noch einmal herzlich grüßen, und
Sie thun mir einen Gefallen, wenn Sie ſich heute

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[166/0176] Wie wird er darin zurechtkommen? Er hat das ja leider von mir, daß er es mit nichts, wie andere Leute, eilig hat und ſich Zeit zu Allem nimmt, und gern allein für ſich ſitzt, wie ſeine thörichte alte Mutter. O bitte, ſage es auch Deinen Eltern, bitte ſie, daß ſie mich fürs Erſte wenigſtens allein für mich laſſen, bis ich mich wenigſtens etwas wieder in mir zur Ruhe gefunden habe. Mein Gott, ſind wir Mütter ſchuld daran, wenn wir unſeren Kindern unſer Beſtes mit auf den Weg geben und ſie elend dadurch machen? Wenn wir uns getäuſcht hätten! Es wäre zu troſtlos, wenn er ſeinen Willen durch¬ ſetzte und den meinigen mit, und es doch nichts weiter als ein Märchengeſpinnſt, ein höhniſch-hübſches Schattenſpiel an der Wand wäre! Wenn er mir das Kind heimbrächte und es doch ſeine Lebensbe¬ dingungen drüben hätte! Komm raſch — raſch nach Hauſe, beſter Junge. Der Strauß pflegt ſeinen Kopf in den Sand zu ſtecken und die alte Doktern Andres ſteckt ihren in den Vogelſang. Aber bitte, halte mir für die nächſte Zeit Deinen lieben, guten Vater vom Leibe! Iſt das nicht der Nachbar Hartleben, der ſich dort in ſeinem Rollſtuhl in die warme Sommerluft fahren läßt? . . . Jawohl, Nachbar, er läßt Sie vor allen Anderen noch einmal herzlich grüßen, und Sie thun mir einen Gefallen, wenn Sie ſich heute

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/176>, abgerufen am 26.11.2024.