Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
(**) Unter andern findet man in einer gewissen Serenate: la Vittoria d'Imeneo benennet, welche 1750, in Italien neu ist aufgeführet worden, so wie in den übrigen Werken ihres Verfassers, bewundernswürdige Beyspiele dieses Fehlers; und zwar von der Feder eines Welschen, der entweder seiner eigenen Muttersprache nicht mächtig zu seyn, oder zum wenigsten auf den Sinn der Wörter, und auf dessen Ausdruck, gar selten Acht zu haben scheint.
25. §.

Bey Beurtheilung der Arien ins besondere aber, wird sich dessen ungeachtet doch noch Mancher betrügen können: weil die Meisten immer nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen, und allein diejenigen Arien für die besten halten, welche ihnen vorzüglich gefallen. Die Einrichtung einer Oper erfodert aber, daß um des Zusammenhanges des Ganzen willen, nicht alle Arien von gleicher Beschaffenheit oder Stärke, sondern von verschiedener Art und Natur seyn müssen. Die ersten von den recitirenden Personen müssen, nicht nur in Ansehung der Poesie, sondern auch der Musik, vor den letztern einigen Vorzug behalten. Denn gleich wie ein Gemälde, welches aus lauter gleichförmigen schönen Figuren besteht, das Auge nicht so einnimmt und reizet, als wenn etliche Figuren von geringerer Schönheit mit darunter vorkommen: so bekömmt auch oftmals eine Hauptarie nur alsdenn erst ihren rechten Glanz, wenn sie zwischen zwo geringere eingeflochten wird. Nachdem die Gemüthsbeschaffenheiten der Zuhörer unterschieden sind, nachdem wird auch ihr Geschmack an den Arien unterschieden seyn. Einem wird diese, einem andern jene Arie am besten gefallen. Man darf sich also gar nicht wundern, wenn dem einem dasjenige gefällt, woran der andere gar nichts angenehmes findet; und wenn folglich die Beurtheilung eines Stückes, und besonders einer Oper, so verschieden und ungewiß ausschlägt.

26. §.

Wenn man eine Singmusik, welche zu gewissen Absichten, entweder für die Kirche, oder für das Theater verfertiget worden ist, und nun in der Kammer aufgeführt wird, beurtheilen will; hat man großer Behutsamkeit von nöthen. Die Umstände, welche damit an dem Orte ihrer Bestimmung verknüpfet gewesen sind, die verschiedene Art des Vortrages und der Ausführung, sowohl in Ansehung der Sänger, als der Instrumentisten, ingleichen, ob man das ganze Werk in seinem vollkommenen Zusammenhange, oder nur stückweise etwas davon höret, tragen sowohl zu einem guten, als zu einem schlechten Erfolge, sehr viel bey. Eine

(**) Unter andern findet man in einer gewissen Serenate: la Vittoria d’Imeneo benennet, welche 1750, in Italien neu ist aufgeführet worden, so wie in den übrigen Werken ihres Verfassers, bewundernswürdige Beyspiele dieses Fehlers; und zwar von der Feder eines Welschen, der entweder seiner eigenen Muttersprache nicht mächtig zu seyn, oder zum wenigsten auf den Sinn der Wörter, und auf dessen Ausdruck, gar selten Acht zu haben scheint.
25. §.

Bey Beurtheilung der Arien ins besondere aber, wird sich dessen ungeachtet doch noch Mancher betrügen können: weil die Meisten immer nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen, und allein diejenigen Arien für die besten halten, welche ihnen vorzüglich gefallen. Die Einrichtung einer Oper erfodert aber, daß um des Zusammenhanges des Ganzen willen, nicht alle Arien von gleicher Beschaffenheit oder Stärke, sondern von verschiedener Art und Natur seyn müssen. Die ersten von den recitirenden Personen müssen, nicht nur in Ansehung der Poesie, sondern auch der Musik, vor den letztern einigen Vorzug behalten. Denn gleich wie ein Gemälde, welches aus lauter gleichförmigen schönen Figuren besteht, das Auge nicht so einnimmt und reizet, als wenn etliche Figuren von geringerer Schönheit mit darunter vorkommen: so bekömmt auch oftmals eine Hauptarie nur alsdenn erst ihren rechten Glanz, wenn sie zwischen zwo geringere eingeflochten wird. Nachdem die Gemüthsbeschaffenheiten der Zuhörer unterschieden sind, nachdem wird auch ihr Geschmack an den Arien unterschieden seyn. Einem wird diese, einem andern jene Arie am besten gefallen. Man darf sich also gar nicht wundern, wenn dem einem dasjenige gefällt, woran der andere gar nichts angenehmes findet; und wenn folglich die Beurtheilung eines Stückes, und besonders einer Oper, so verschieden und ungewiß ausschlägt.

26. §.

Wenn man eine Singmusik, welche zu gewissen Absichten, entweder für die Kirche, oder für das Theater verfertiget worden ist, und nun in der Kammer aufgeführt wird, beurtheilen will; hat man großer Behutsamkeit von nöthen. Die Umstände, welche damit an dem Orte ihrer Bestimmung verknüpfet gewesen sind, die verschiedene Art des Vortrages und der Ausführung, sowohl in Ansehung der Sänger, als der Instrumentisten, ingleichen, ob man das ganze Werk in seinem vollkommenen Zusammenhange, oder nur stückweise etwas davon höret, tragen sowohl zu einem guten, als zu einem schlechten Erfolge, sehr viel bey. Eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0306" n="292"/>
            <note xml:id="note-0306" prev="note-0305-fn" place="end" n="(**)">Unter andern findet man in einer gewissen Serenate: <hi rendition="#aq">la <choice><sic>trionfo</sic><corr>Vittoria</corr></choice> d&#x2019;Imeneo</hi> benennet, welche 1750, in Italien neu ist aufgeführet worden, so wie in den übrigen Werken ihres Verfassers, bewundernswürdige Beyspiele dieses Fehlers; und zwar von der Feder eines Welschen, der entweder seiner eigenen Muttersprache nicht mächtig zu seyn, oder zum wenigsten auf den Sinn der Wörter, und auf dessen Ausdruck, gar selten Acht zu haben scheint.</note>
          </div>
          <div n="3">
            <head>25. §.</head><lb/>
            <p>Bey Beurtheilung der Arien ins besondere aber, wird sich dessen ungeachtet doch noch Mancher betrügen können: weil die Meisten immer nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen, und allein diejenigen Arien für die besten halten, welche ihnen vorzüglich gefallen. Die Einrichtung einer Oper erfodert aber, daß um des Zusammenhanges des Ganzen willen, nicht alle Arien von gleicher Beschaffenheit oder Stärke, sondern von verschiedener Art und Natur seyn müssen. Die ersten von den recitirenden Personen müssen, nicht nur in Ansehung der Poesie, sondern auch der Musik, vor den letztern einigen Vorzug behalten. Denn gleich wie ein Gemälde, welches aus lauter gleichförmigen schönen Figuren besteht, das Auge nicht so einnimmt und reizet, als wenn etliche Figuren von geringerer Schönheit mit darunter vorkommen: so bekömmt auch oftmals eine Hauptarie nur alsdenn erst ihren rechten Glanz, wenn sie zwischen zwo geringere eingeflochten wird. Nachdem die Gemüthsbeschaffenheiten der Zuhörer unterschieden sind, nachdem wird auch ihr Geschmack an den Arien unterschieden seyn. Einem wird diese, einem andern jene Arie am besten gefallen. Man darf sich also gar nicht wundern, wenn dem einem dasjenige gefällt, woran der andere gar nichts angenehmes findet; und wenn folglich die Beurtheilung eines Stückes, und besonders einer Oper, so verschieden und ungewiß ausschlägt.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <head>26. §.</head><lb/>
            <p>Wenn man eine Singmusik, welche zu gewissen Absichten, entweder für die Kirche, oder für das Theater verfertiget worden ist, und nun in der Kammer aufgeführt wird, beurtheilen will; hat man großer Behutsamkeit von nöthen. Die Umstände, welche damit an dem Orte ihrer Bestimmung verknüpfet gewesen sind, die verschiedene Art des Vortrages und der Ausführung, sowohl in Ansehung der Sänger, als der Instrumentisten, ingleichen, ob man das ganze Werk in seinem vollkommenen Zusammenhange, oder nur stückweise etwas davon höret, tragen sowohl zu einem guten, als zu einem schlechten Erfolge, sehr viel bey. Eine
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0306] ⁽**⁾ Unter andern findet man in einer gewissen Serenate: la Vittoria d’Imeneo benennet, welche 1750, in Italien neu ist aufgeführet worden, so wie in den übrigen Werken ihres Verfassers, bewundernswürdige Beyspiele dieses Fehlers; und zwar von der Feder eines Welschen, der entweder seiner eigenen Muttersprache nicht mächtig zu seyn, oder zum wenigsten auf den Sinn der Wörter, und auf dessen Ausdruck, gar selten Acht zu haben scheint. 25. §. Bey Beurtheilung der Arien ins besondere aber, wird sich dessen ungeachtet doch noch Mancher betrügen können: weil die Meisten immer nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen, und allein diejenigen Arien für die besten halten, welche ihnen vorzüglich gefallen. Die Einrichtung einer Oper erfodert aber, daß um des Zusammenhanges des Ganzen willen, nicht alle Arien von gleicher Beschaffenheit oder Stärke, sondern von verschiedener Art und Natur seyn müssen. Die ersten von den recitirenden Personen müssen, nicht nur in Ansehung der Poesie, sondern auch der Musik, vor den letztern einigen Vorzug behalten. Denn gleich wie ein Gemälde, welches aus lauter gleichförmigen schönen Figuren besteht, das Auge nicht so einnimmt und reizet, als wenn etliche Figuren von geringerer Schönheit mit darunter vorkommen: so bekömmt auch oftmals eine Hauptarie nur alsdenn erst ihren rechten Glanz, wenn sie zwischen zwo geringere eingeflochten wird. Nachdem die Gemüthsbeschaffenheiten der Zuhörer unterschieden sind, nachdem wird auch ihr Geschmack an den Arien unterschieden seyn. Einem wird diese, einem andern jene Arie am besten gefallen. Man darf sich also gar nicht wundern, wenn dem einem dasjenige gefällt, woran der andere gar nichts angenehmes findet; und wenn folglich die Beurtheilung eines Stückes, und besonders einer Oper, so verschieden und ungewiß ausschlägt. 26. §. Wenn man eine Singmusik, welche zu gewissen Absichten, entweder für die Kirche, oder für das Theater verfertiget worden ist, und nun in der Kammer aufgeführt wird, beurtheilen will; hat man großer Behutsamkeit von nöthen. Die Umstände, welche damit an dem Orte ihrer Bestimmung verknüpfet gewesen sind, die verschiedene Art des Vortrages und der Ausführung, sowohl in Ansehung der Sänger, als der Instrumentisten, ingleichen, ob man das ganze Werk in seinem vollkommenen Zusammenhange, oder nur stückweise etwas davon höret, tragen sowohl zu einem guten, als zu einem schlechten Erfolge, sehr viel bey. Eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-30T10:17:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-30T10:17:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-30T10:17:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/306
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/306>, abgerufen am 25.11.2024.