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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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L. Purtscheller. Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
nur die Schuhe sind auszuziehen, die Füsse steckt man am Besten
in den Rucksack. Selbstverständlich hat man die durchfeuchtete
Leibwäsche sofort nach Ankunft auf dem Bivouakplatze zu
wechseln und zum Trocknen auszubreiten. Ueber den Kopf und
die Ohren binde man ein grosses Hals- oder Sacktuch, noch
besser dient eine gewirkte Seiden- oder Wollmütze, die be[i]
grösseren Gletschertouren unentbehrlich ist. Kleinere Gegenstände,
wie Messer, Trinkbecher, Schneebrillen, Karten, legt man am
Besten in den Hut, auch die übrigen Sachen versorge man derart,
dass man sie beim Aufstehen sofort bei der Hand hat.

Bivouaks - sei ihr Verlauf nun befriedigend oder weniger
befriedigend - gehören zu den interessantesten und denk-
würdigsten Ereignissen einer Bergfahrt. Die aussergewöhnlichen
Umstände, die ein Nachtlager im Freien herbeiführen, der Zauber
der Stunde und des Ortes, der Blick in die Tiefe, auf das er-
sterbende und neu erwachende Licht, die Einsamkeit und Stille,
welche höchstens von einem fallenden Steine oder einer Lawine
unterbrochen wird: Alles trägt dazu bei, Geist, Gemüth und
Phantasie in gleich nachhaltiger Weise anzuregen.



Immer mehr und mehr gestalten sich die Alpen zu einem
grossen Erholungs- und Pilgerfahrtsziele der modernen euro-
päischen Welt. Auf den Bergen erhebt sich der Geist zu dem
Unendlichen, Unwandelbaren, ewig Schönen und Grossen, sie
wirken auf die Jugend belehrend, auf den Mann weltversöhnend,
auf den Greis tröstend und neubelebend. Der Alpinismus kann
uns - mehr als alle Weisheit und alles Gold der Welt - Eines
geben: Gesundheit und Lebensfreude, Kraft und körperliche
Wiedergeburt, Liebe zur Natur und Menschheit, Ausdauer und
Seelenstärke im Kampfe mit Schwierigkeiten. Und so wollen wir
auch in Zukunft in warmer Begeisterung und in treuem Festhalten
an unserem Alpenverein, als dem Träger und Vermittler dieser
Ideen und Aufgaben, unseren Freunden und Volksgenossen die
Wege zeigen nach den stolzen, sonnig verklärten Höhen, damit
der Alpinismus das bleibe, was er stets im Sinne seiner Begründer
gewesen: ein Element gesunder Lebensäusserung, ästhetischen
Genusses und innerer Herzensbefriedigung.



L. Purtscheller. Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
nur die Schuhe sind auszuziehen, die Füsse steckt man am Besten
in den Rucksack. Selbstverständlich hat man die durchfeuchtete
Leibwäsche sofort nach Ankunft auf dem Bivouakplatze zu
wechseln und zum Trocknen auszubreiten. Ueber den Kopf und
die Ohren binde man ein grosses Hals- oder Sacktuch, noch
besser dient eine gewirkte Seiden- oder Wollmütze, die be[i]
grösseren Gletschertouren unentbehrlich ist. Kleinere Gegenstände,
wie Messer, Trinkbecher, Schneebrillen, Karten, legt man am
Besten in den Hut, auch die übrigen Sachen versorge man derart,
dass man sie beim Aufstehen sofort bei der Hand hat.

Bivouaks – sei ihr Verlauf nun befriedigend oder weniger
befriedigend – gehören zu den interessantesten und denk-
würdigsten Ereignissen einer Bergfahrt. Die aussergewöhnlichen
Umstände, die ein Nachtlager im Freien herbeiführen, der Zauber
der Stunde und des Ortes, der Blick in die Tiefe, auf das er-
sterbende und neu erwachende Licht, die Einsamkeit und Stille,
welche höchstens von einem fallenden Steine oder einer Lawine
unterbrochen wird: Alles trägt dazu bei, Geist, Gemüth und
Phantasie in gleich nachhaltiger Weise anzuregen.



Immer mehr und mehr gestalten sich die Alpen zu einem
grossen Erholungs- und Pilgerfahrtsziele der modernen euro-
päischen Welt. Auf den Bergen erhebt sich der Geist zu dem
Unendlichen, Unwandelbaren, ewig Schönen und Grossen, sie
wirken auf die Jugend belehrend, auf den Mann weltversöhnend,
auf den Greis tröstend und neubelebend. Der Alpinismus kann
uns – mehr als alle Weisheit und alles Gold der Welt – Eines
geben: Gesundheit und Lebensfreude, Kraft und körperliche
Wiedergeburt, Liebe zur Natur und Menschheit, Ausdauer und
Seelenstärke im Kampfe mit Schwierigkeiten. Und so wollen wir
auch in Zukunft in warmer Begeisterung und in treuem Festhalten
an unserem Alpenverein, als dem Träger und Vermittler dieser
Ideen und Aufgaben, unseren Freunden und Volksgenossen die
Wege zeigen nach den stolzen, sonnig verklärten Höhen, damit
der Alpinismus das bleibe, was er stets im Sinne seiner Begründer
gewesen: ein Element gesunder Lebensäusserung, ästhetischen
Genusses und innerer Herzensbefriedigung.



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[176/0082] L. Purtscheller. Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. nur die Schuhe sind auszuziehen, die Füsse steckt man am Besten in den Rucksack. Selbstverständlich hat man die durchfeuchtete Leibwäsche sofort nach Ankunft auf dem Bivouakplatze zu wechseln und zum Trocknen auszubreiten. Ueber den Kopf und die Ohren binde man ein grosses Hals- oder Sacktuch, noch besser dient eine gewirkte Seiden- oder Wollmütze, die bei grösseren Gletschertouren unentbehrlich ist. Kleinere Gegenstände, wie Messer, Trinkbecher, Schneebrillen, Karten, legt man am Besten in den Hut, auch die übrigen Sachen versorge man derart, dass man sie beim Aufstehen sofort bei der Hand hat. Bivouaks – sei ihr Verlauf nun befriedigend oder weniger befriedigend – gehören zu den interessantesten und denk- würdigsten Ereignissen einer Bergfahrt. Die aussergewöhnlichen Umstände, die ein Nachtlager im Freien herbeiführen, der Zauber der Stunde und des Ortes, der Blick in die Tiefe, auf das er- sterbende und neu erwachende Licht, die Einsamkeit und Stille, welche höchstens von einem fallenden Steine oder einer Lawine unterbrochen wird: Alles trägt dazu bei, Geist, Gemüth und Phantasie in gleich nachhaltiger Weise anzuregen. Immer mehr und mehr gestalten sich die Alpen zu einem grossen Erholungs- und Pilgerfahrtsziele der modernen euro- päischen Welt. Auf den Bergen erhebt sich der Geist zu dem Unendlichen, Unwandelbaren, ewig Schönen und Grossen, sie wirken auf die Jugend belehrend, auf den Mann weltversöhnend, auf den Greis tröstend und neubelebend. Der Alpinismus kann uns – mehr als alle Weisheit und alles Gold der Welt – Eines geben: Gesundheit und Lebensfreude, Kraft und körperliche Wiedergeburt, Liebe zur Natur und Menschheit, Ausdauer und Seelenstärke im Kampfe mit Schwierigkeiten. Und so wollen wir auch in Zukunft in warmer Begeisterung und in treuem Festhalten an unserem Alpenverein, als dem Träger und Vermittler dieser Ideen und Aufgaben, unseren Freunden und Volksgenossen die Wege zeigen nach den stolzen, sonnig verklärten Höhen, damit der Alpinismus das bleibe, was er stets im Sinne seiner Begründer gewesen: ein Element gesunder Lebensäusserung, ästhetischen Genusses und innerer Herzensbefriedigung.

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/82>, abgerufen am 02.05.2024.