Ueber diesen Vorfall, dergleichen es seitdem an beiden Reichsgerichten mehrere gegeben hat, kam es zu dreyerley Contestationen; erstlich über die Frage von der reichsgerichtlichen Gerichtbarkeit in evangelischen geistlichen Sachen überhaupt; her- nach insonderheit über die Frage, ob nicht wenig- stens in Nichtigkeitsklagen sie zu gestatten sey? und endlich, was ein nur vom evangelischen Religions- theile gefaßter Schluß in Ansehung der Reichsge- richte für rechtliche Wirkung haben könne?
IV.
Was den ersten Punct anbetrifft, behauptete man evangelischer Seits, daß der Westphälische Friede eben sowohl, und noch vollständiger, als der Religionsfriede 1555., alle geistliche Ge- richtbarkeit, wie sie bisher gewesen, über die evangelischen Reichsstände und ihre Unterthanen aufgehoben, aber keine andere an deren Stelle angeordnet habe; wie deswegen oben beym Reli- gionsfrieden schon vorgekommen ist, daß hierin der evangelische Religionstheil völlig seiner natürlichen Freyheit überlaßen worden (i).
V.
Auch der Westphälische Friede hatte dem Cammergerichte keine neue Art von Gerichtbarkeit übertragen, wie doch hätte geschehen müßen, wenn es berechtiget seyn sollte, eine ursprünglich nicht ge- habte Gerichtbarkeit nun erst auszuüben. Man konnte also unwiderleglich behaupten: Eine Ge- richtbarkeit, die dem Cammergerichte weder bey seiner ersten Errichtung, noch seitdem von Kaiser und Reichswegen verliehen worden, kann es auch jetzt nicht ausüben. Das ist aber offenbar der Fall
mit
(i) Oben Th. 1. S. 416-420.
X. Carl der VI. 1711-1740.
III.
Ueber dieſen Vorfall, dergleichen es ſeitdem an beiden Reichsgerichten mehrere gegeben hat, kam es zu dreyerley Conteſtationen; erſtlich uͤber die Frage von der reichsgerichtlichen Gerichtbarkeit in evangeliſchen geiſtlichen Sachen uͤberhaupt; her- nach inſonderheit uͤber die Frage, ob nicht wenig- ſtens in Nichtigkeitsklagen ſie zu geſtatten ſey? und endlich, was ein nur vom evangeliſchen Religions- theile gefaßter Schluß in Anſehung der Reichsge- richte fuͤr rechtliche Wirkung haben koͤnne?
IV.
Was den erſten Punct anbetrifft, behauptete man evangeliſcher Seits, daß der Weſtphaͤliſche Friede eben ſowohl, und noch vollſtaͤndiger, als der Religionsfriede 1555., alle geiſtliche Ge- richtbarkeit, wie ſie bisher geweſen, uͤber die evangeliſchen Reichsſtaͤnde und ihre Unterthanen aufgehoben, aber keine andere an deren Stelle angeordnet habe; wie deswegen oben beym Reli- gionsfrieden ſchon vorgekommen iſt, daß hierin der evangeliſche Religionstheil voͤllig ſeiner natuͤrlichen Freyheit uͤberlaßen worden (i).
V.
Auch der Weſtphaͤliſche Friede hatte dem Cammergerichte keine neue Art von Gerichtbarkeit uͤbertragen, wie doch haͤtte geſchehen muͤßen, wenn es berechtiget ſeyn ſollte, eine urſpruͤnglich nicht ge- habte Gerichtbarkeit nun erſt auszuuͤben. Man konnte alſo unwiderleglich behaupten: Eine Ge- richtbarkeit, die dem Cammergerichte weder bey ſeiner erſten Errichtung, noch ſeitdem von Kaiſer und Reichswegen verliehen worden, kann es auch jetzt nicht ausuͤben. Das iſt aber offenbar der Fall
mit
(i) Oben Th. 1. S. 416-420.
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X. Carl der VI. 1711-1740.
Ueber dieſen Vorfall, dergleichen es ſeitdem
an beiden Reichsgerichten mehrere gegeben hat,
kam es zu dreyerley Conteſtationen; erſtlich uͤber
die Frage von der reichsgerichtlichen Gerichtbarkeit
in evangeliſchen geiſtlichen Sachen uͤberhaupt; her-
nach inſonderheit uͤber die Frage, ob nicht wenig-
ſtens in Nichtigkeitsklagen ſie zu geſtatten ſey? und
endlich, was ein nur vom evangeliſchen Religions-
theile gefaßter Schluß in Anſehung der Reichsge-
richte fuͤr rechtliche Wirkung haben koͤnne?
Was den erſten Punct anbetrifft, behauptete
man evangeliſcher Seits, daß der Weſtphaͤliſche
Friede eben ſowohl, und noch vollſtaͤndiger, als
der Religionsfriede 1555., alle geiſtliche Ge-
richtbarkeit, wie ſie bisher geweſen, uͤber die
evangeliſchen Reichsſtaͤnde und ihre Unterthanen
aufgehoben, aber keine andere an deren Stelle
angeordnet habe; wie deswegen oben beym Reli-
gionsfrieden ſchon vorgekommen iſt, daß hierin der
evangeliſche Religionstheil voͤllig ſeiner natuͤrlichen
Freyheit uͤberlaßen worden (i).
Auch der Weſtphaͤliſche Friede hatte dem
Cammergerichte keine neue Art von Gerichtbarkeit
uͤbertragen, wie doch haͤtte geſchehen muͤßen, wenn
es berechtiget ſeyn ſollte, eine urſpruͤnglich nicht ge-
habte Gerichtbarkeit nun erſt auszuuͤben. Man
konnte alſo unwiderleglich behaupten: Eine Ge-
richtbarkeit, die dem Cammergerichte weder bey
ſeiner erſten Errichtung, noch ſeitdem von Kaiſer
und Reichswegen verliehen worden, kann es auch
jetzt nicht ausuͤben. Das iſt aber offenbar der Fall
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(i) Oben Th. 1. S. 416-420.
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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786/464>, abgerufen am 25.11.2024.
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