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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786.

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4) Zustand des Cammergerichts.

Von 70. tausend Rthlrn. konnte man aberXIII.
nicht mehr als 17. Assessoren besolden. Denn für
diese Anzahl mit Inbegriff der übrigen Besoldun-
gen ward jährlich eine Summe von 69.989. Rthlrn.
70. Kr. erfordert. Also waren, des Reichsschlus-
ses von 1719. und 1720. ungeachtet, doch immer
nur 17. Assessoren. -- Eine bey weitem der Ar-
beit nicht gewachsene Anzahl. Denn wenn man
auch ein Jahr ins andere auf einen jeden Assessor
jährlich 10. Relationen zu Endurtheilen rechnete,
womit jährlich 170. Sachen abgethan werden konn-
ten; so kamen doch jährlich meist 230. bis 250.
Sachen von neuem in Gang, ohne was noch von
einer unübersehlichen Menge älterer bisher liegen
gebliebener Sachen von neuem betrieben wurde.
Also konnte man gewiß darauf rechnen, daß von
den 230. bis 250. neuen Sachen 50. bis 70. nie
zum Urtheile kommen würden. Desto ängstlicher
bemühte sich jetzt ein jeder, dem doch daran gele-
gen war, ein Urtheil zu bekommen, allenfalls Him-
mel und Erde zu bewegen, um diesen Zweck zu er-
reichen. Daraus erwuchs ein neues Uebel. Wer
nicht sollicitirte, d. i. wer nicht alles in der Welt
anwandte, um es dahin zu bringen, daß seine
Sache vor andern vorgenommen werden möchte,
der durfte nie hoffen ein Urtheil zu erhalten. Was
waren aber da nicht für Künste zu erwarten, wo-
durch eine jede Parthey ihre Sollicitatur vor an-
dern eindringender zu machen suchte? (g)


Um
(g) In einer im Jahre 1736. von sämmtlichen
Procuratoren am Cammergerichte übergebenen Vor-
stellung beschwerten sich dieselben, daß die heilsa-
me Justitz durch solche Personen, welche auf die
Cam-
4) Zuſtand des Cammergerichts.

Von 70. tauſend Rthlrn. konnte man aberXIII.
nicht mehr als 17. Aſſeſſoren beſolden. Denn fuͤr
dieſe Anzahl mit Inbegriff der uͤbrigen Beſoldun-
gen ward jaͤhrlich eine Summe von 69.989. Rthlrn.
70. Kr. erfordert. Alſo waren, des Reichsſchluſ-
ſes von 1719. und 1720. ungeachtet, doch immer
nur 17. Aſſeſſoren. — Eine bey weitem der Ar-
beit nicht gewachſene Anzahl. Denn wenn man
auch ein Jahr ins andere auf einen jeden Aſſeſſor
jaͤhrlich 10. Relationen zu Endurtheilen rechnete,
womit jaͤhrlich 170. Sachen abgethan werden konn-
ten; ſo kamen doch jaͤhrlich meiſt 230. bis 250.
Sachen von neuem in Gang, ohne was noch von
einer unuͤberſehlichen Menge aͤlterer bisher liegen
gebliebener Sachen von neuem betrieben wurde.
Alſo konnte man gewiß darauf rechnen, daß von
den 230. bis 250. neuen Sachen 50. bis 70. nie
zum Urtheile kommen wuͤrden. Deſto aͤngſtlicher
bemuͤhte ſich jetzt ein jeder, dem doch daran gele-
gen war, ein Urtheil zu bekommen, allenfalls Him-
mel und Erde zu bewegen, um dieſen Zweck zu er-
reichen. Daraus erwuchs ein neues Uebel. Wer
nicht ſollicitirte, d. i. wer nicht alles in der Welt
anwandte, um es dahin zu bringen, daß ſeine
Sache vor andern vorgenommen werden moͤchte,
der durfte nie hoffen ein Urtheil zu erhalten. Was
waren aber da nicht fuͤr Kuͤnſte zu erwarten, wo-
durch eine jede Parthey ihre Sollicitatur vor an-
dern eindringender zu machen ſuchte? (g)


Um
(g) In einer im Jahre 1736. von ſaͤmmtlichen
Procuratoren am Cammergerichte uͤbergebenen Vor-
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me Juſtitz durch ſolche Perſonen, welche auf die
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[415/0457] 4) Zuſtand des Cammergerichts. Von 70. tauſend Rthlrn. konnte man aber nicht mehr als 17. Aſſeſſoren beſolden. Denn fuͤr dieſe Anzahl mit Inbegriff der uͤbrigen Beſoldun- gen ward jaͤhrlich eine Summe von 69.989. Rthlrn. 70. Kr. erfordert. Alſo waren, des Reichsſchluſ- ſes von 1719. und 1720. ungeachtet, doch immer nur 17. Aſſeſſoren. — Eine bey weitem der Ar- beit nicht gewachſene Anzahl. Denn wenn man auch ein Jahr ins andere auf einen jeden Aſſeſſor jaͤhrlich 10. Relationen zu Endurtheilen rechnete, womit jaͤhrlich 170. Sachen abgethan werden konn- ten; ſo kamen doch jaͤhrlich meiſt 230. bis 250. Sachen von neuem in Gang, ohne was noch von einer unuͤberſehlichen Menge aͤlterer bisher liegen gebliebener Sachen von neuem betrieben wurde. Alſo konnte man gewiß darauf rechnen, daß von den 230. bis 250. neuen Sachen 50. bis 70. nie zum Urtheile kommen wuͤrden. Deſto aͤngſtlicher bemuͤhte ſich jetzt ein jeder, dem doch daran gele- gen war, ein Urtheil zu bekommen, allenfalls Him- mel und Erde zu bewegen, um dieſen Zweck zu er- reichen. Daraus erwuchs ein neues Uebel. Wer nicht ſollicitirte, d. i. wer nicht alles in der Welt anwandte, um es dahin zu bringen, daß ſeine Sache vor andern vorgenommen werden moͤchte, der durfte nie hoffen ein Urtheil zu erhalten. Was waren aber da nicht fuͤr Kuͤnſte zu erwarten, wo- durch eine jede Parthey ihre Sollicitatur vor an- dern eindringender zu machen ſuchte? (g) XIII. Um (g) In einer im Jahre 1736. von ſaͤmmtlichen Procuratoren am Cammergerichte uͤbergebenen Vor- ſtellung beſchwerten ſich dieſelben, daß die heilſa- me Juſtitz durch ſolche Perſonen, welche auf die Cam-

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786/457>, abgerufen am 22.11.2024.