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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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I. Alte Zeiten bis 888.
den und Anschuldigungen frey gesprochen, seine
Gegner und Ankläger hingegen ins Exilium geschickt
wurden. Wie nun zehn Tage hernach das Wei-
nachtfest einfiel, da Leo selbst den Gottesdienst ver-
richtete, und Carl vor ihm am Altare in seiner An-
dacht auf den Knieen lag; setzte Leo Carln ganz
unerwartet eine Krone auf, und rief zugleich:
Viuat Carolus Imperator Augustus; welchen
Ausruf sogleich ein allgemeiner Wiederhall in der
Kirche mit Frolocken wiederholte. Diese Ueberra-
schung ließ sich Carl endlich gefallen, und setzte
also von nun an vor seinen bisher geführten Frän-
kischen und Longobardischen königlichen Titeln noch
den eines Römischen Kaisers.


XIV.

Ob es in der That, oder vielleicht nur dem
äußern Scheine nach Ueberraschung war, und ob
die Sache nicht wohl gar schon von langer Hand
her abgeredet gewesen seyn möge, kann man gerne
dahin gestellt seyn laßen. Soviel ist gewiß, daß
von diesem Augenblicke an alles Ueberbleibsel eini-
ger Abhängigkeit vom Griechischkaiserlichen Hofe,
so bisher noch die Stadt Rom und selbst Carl als
Patricius der Römer vielleicht hätte zu erkennen
gehabt, auf einmal öffentlich gebrochen war. In
dieser Rücksicht war keine üble Zeit dazu gewehlet,
da eben seit 797. Irene des kaiserlichen Thrones,
der ihr eigentlich nicht gebührte, sich bemächtiget
hatte, und da allenfalls selbst eine Möglichkeit sich
denken ließ, daß Carl und Irene sich mit einander
vermählen, und also das bisher getrennt gewesene
östliche und westliche Kaiserthum von neuem ver-
einigen könnten. Die gegenseitige Beschickung
durch Gesandten, so schon zwischen beiden erfolgte,

macht

I. Alte Zeiten bis 888.
den und Anſchuldigungen frey geſprochen, ſeine
Gegner und Anklaͤger hingegen ins Exilium geſchickt
wurden. Wie nun zehn Tage hernach das Wei-
nachtfeſt einfiel, da Leo ſelbſt den Gottesdienſt ver-
richtete, und Carl vor ihm am Altare in ſeiner An-
dacht auf den Knieen lag; ſetzte Leo Carln ganz
unerwartet eine Krone auf, und rief zugleich:
Viuat Carolus Imperator Auguſtus; welchen
Ausruf ſogleich ein allgemeiner Wiederhall in der
Kirche mit Frolocken wiederholte. Dieſe Ueberra-
ſchung ließ ſich Carl endlich gefallen, und ſetzte
alſo von nun an vor ſeinen bisher gefuͤhrten Fraͤn-
kiſchen und Longobardiſchen koͤniglichen Titeln noch
den eines Roͤmiſchen Kaiſers.


XIV.

Ob es in der That, oder vielleicht nur dem
aͤußern Scheine nach Ueberraſchung war, und ob
die Sache nicht wohl gar ſchon von langer Hand
her abgeredet geweſen ſeyn moͤge, kann man gerne
dahin geſtellt ſeyn laßen. Soviel iſt gewiß, daß
von dieſem Augenblicke an alles Ueberbleibſel eini-
ger Abhaͤngigkeit vom Griechiſchkaiſerlichen Hofe,
ſo bisher noch die Stadt Rom und ſelbſt Carl als
Patricius der Roͤmer vielleicht haͤtte zu erkennen
gehabt, auf einmal oͤffentlich gebrochen war. In
dieſer Ruͤckſicht war keine uͤble Zeit dazu gewehlet,
da eben ſeit 797. Irene des kaiſerlichen Thrones,
der ihr eigentlich nicht gebuͤhrte, ſich bemaͤchtiget
hatte, und da allenfalls ſelbſt eine Moͤglichkeit ſich
denken ließ, daß Carl und Irene ſich mit einander
vermaͤhlen, und alſo das bisher getrennt geweſene
oͤſtliche und weſtliche Kaiſerthum von neuem ver-
einigen koͤnnten. Die gegenſeitige Beſchickung
durch Geſandten, ſo ſchon zwiſchen beiden erfolgte,

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[60/0094] I. Alte Zeiten bis 888. den und Anſchuldigungen frey geſprochen, ſeine Gegner und Anklaͤger hingegen ins Exilium geſchickt wurden. Wie nun zehn Tage hernach das Wei- nachtfeſt einfiel, da Leo ſelbſt den Gottesdienſt ver- richtete, und Carl vor ihm am Altare in ſeiner An- dacht auf den Knieen lag; ſetzte Leo Carln ganz unerwartet eine Krone auf, und rief zugleich: Viuat Carolus Imperator Auguſtus; welchen Ausruf ſogleich ein allgemeiner Wiederhall in der Kirche mit Frolocken wiederholte. Dieſe Ueberra- ſchung ließ ſich Carl endlich gefallen, und ſetzte alſo von nun an vor ſeinen bisher gefuͤhrten Fraͤn- kiſchen und Longobardiſchen koͤniglichen Titeln noch den eines Roͤmiſchen Kaiſers. Ob es in der That, oder vielleicht nur dem aͤußern Scheine nach Ueberraſchung war, und ob die Sache nicht wohl gar ſchon von langer Hand her abgeredet geweſen ſeyn moͤge, kann man gerne dahin geſtellt ſeyn laßen. Soviel iſt gewiß, daß von dieſem Augenblicke an alles Ueberbleibſel eini- ger Abhaͤngigkeit vom Griechiſchkaiſerlichen Hofe, ſo bisher noch die Stadt Rom und ſelbſt Carl als Patricius der Roͤmer vielleicht haͤtte zu erkennen gehabt, auf einmal oͤffentlich gebrochen war. In dieſer Ruͤckſicht war keine uͤble Zeit dazu gewehlet, da eben ſeit 797. Irene des kaiſerlichen Thrones, der ihr eigentlich nicht gebuͤhrte, ſich bemaͤchtiget hatte, und da allenfalls ſelbſt eine Moͤglichkeit ſich denken ließ, daß Carl und Irene ſich mit einander vermaͤhlen, und alſo das bisher getrennt geweſene oͤſtliche und weſtliche Kaiſerthum von neuem ver- einigen koͤnnten. Die gegenſeitige Beſchickung durch Geſandten, ſo ſchon zwiſchen beiden erfolgte, macht

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/94>, abgerufen am 22.11.2024.