da ein Theil der Bürgerschaft und Obrigkeit die- ser, ein anderer der andern Religion zugethan blieb. Da war das vernünftigste, daß ein jeder den an- dern bey seiner Gewissensfreyheit ließ. Das war also auch der wahre Geist dieses Religionsfrie- dens. Für Teutschland im Ganzen betrachtet, sollten catholische und evangelische Reichsstände mit ihren Ländern einander sowohl in ihrer Religion als in ihrem ganzen übrigen Zustande ungestöhrt laßen, und ferner alle Pflichten als Mitglieder eines Reichs gegen einander beobachten. In jeder Reichsstadt, wo beiderley Religionsverwandten wä- ren, sollten diese als Mitglieder einer Republik sich auf gleiche Art gegen einander betragen.
Das schlimmste war, daß das catholisch hierar-VI. chische System immer von dem Grundsatze der Einheit der Kirche ausgieng, um allen anderen, die sich nicht dazu hielten, die Seligkeit abzuspre- chen, und sich hingegen ein Verdienst daraus zu machen, einen jeden von Verlaßung dieses Systems nicht nur zurückzuhalten, sondern auch durch alle mögliche Mittel, wenn er es schon verlaßen hätte, wieder dahin zurückzubringen. Mit diesem Sy- steme war es schwer den Geist der Duldung und brüderlichen Betragens gegen andere Religionsver- wandten zu vereinbaren.
Dazu kam eine unrichtige Vorstellung vomVII. Verhältnisse der beiden Religionen, die bis auf den heutigen Tag bey vielen sich kaum heben läßt. Man glaubte nehmlich, und glaubt es häufig noch jetzt, die Römischcatholische Religion sey die einmal im Teutschen Reiche eingeführte herrschende Reli-
gion,
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6) Relig. Fr. 1555. a) uͤberh.
da ein Theil der Buͤrgerſchaft und Obrigkeit die- ſer, ein anderer der andern Religion zugethan blieb. Da war das vernuͤnftigſte, daß ein jeder den an- dern bey ſeiner Gewiſſensfreyheit ließ. Das war alſo auch der wahre Geiſt dieſes Religionsfrie- dens. Fuͤr Teutſchland im Ganzen betrachtet, ſollten catholiſche und evangeliſche Reichsſtaͤnde mit ihren Laͤndern einander ſowohl in ihrer Religion als in ihrem ganzen uͤbrigen Zuſtande ungeſtoͤhrt laßen, und ferner alle Pflichten als Mitglieder eines Reichs gegen einander beobachten. In jeder Reichsſtadt, wo beiderley Religionsverwandten waͤ- ren, ſollten dieſe als Mitglieder einer Republik ſich auf gleiche Art gegen einander betragen.
Das ſchlimmſte war, daß das catholiſch hierar-VI. chiſche Syſtem immer von dem Grundſatze der Einheit der Kirche ausgieng, um allen anderen, die ſich nicht dazu hielten, die Seligkeit abzuſpre- chen, und ſich hingegen ein Verdienſt daraus zu machen, einen jeden von Verlaßung dieſes Syſtems nicht nur zuruͤckzuhalten, ſondern auch durch alle moͤgliche Mittel, wenn er es ſchon verlaßen haͤtte, wieder dahin zuruͤckzubringen. Mit dieſem Sy- ſteme war es ſchwer den Geiſt der Duldung und bruͤderlichen Betragens gegen andere Religionsver- wandten zu vereinbaren.
Dazu kam eine unrichtige Vorſtellung vomVII. Verhaͤltniſſe der beiden Religionen, die bis auf den heutigen Tag bey vielen ſich kaum heben laͤßt. Man glaubte nehmlich, und glaubt es haͤufig noch jetzt, die Roͤmiſchcatholiſche Religion ſey die einmal im Teutſchen Reiche eingefuͤhrte herrſchende Reli-
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6) Relig. Fr. 1555. a) uͤberh.
da ein Theil der Buͤrgerſchaft und Obrigkeit die-
ſer, ein anderer der andern Religion zugethan blieb.
Da war das vernuͤnftigſte, daß ein jeder den an-
dern bey ſeiner Gewiſſensfreyheit ließ. Das war
alſo auch der wahre Geiſt dieſes Religionsfrie-
dens. Fuͤr Teutſchland im Ganzen betrachtet,
ſollten catholiſche und evangeliſche Reichsſtaͤnde mit
ihren Laͤndern einander ſowohl in ihrer Religion
als in ihrem ganzen uͤbrigen Zuſtande ungeſtoͤhrt
laßen, und ferner alle Pflichten als Mitglieder
eines Reichs gegen einander beobachten. In jeder
Reichsſtadt, wo beiderley Religionsverwandten waͤ-
ren, ſollten dieſe als Mitglieder einer Republik ſich
auf gleiche Art gegen einander betragen.
Das ſchlimmſte war, daß das catholiſch hierar-
chiſche Syſtem immer von dem Grundſatze der
Einheit der Kirche ausgieng, um allen anderen,
die ſich nicht dazu hielten, die Seligkeit abzuſpre-
chen, und ſich hingegen ein Verdienſt daraus zu
machen, einen jeden von Verlaßung dieſes Syſtems
nicht nur zuruͤckzuhalten, ſondern auch durch alle
moͤgliche Mittel, wenn er es ſchon verlaßen haͤtte,
wieder dahin zuruͤckzubringen. Mit dieſem Sy-
ſteme war es ſchwer den Geiſt der Duldung und
bruͤderlichen Betragens gegen andere Religionsver-
wandten zu vereinbaren.
VI.
Dazu kam eine unrichtige Vorſtellung vom
Verhaͤltniſſe der beiden Religionen, die bis auf den
heutigen Tag bey vielen ſich kaum heben laͤßt.
Man glaubte nehmlich, und glaubt es haͤufig noch
jetzt, die Roͤmiſchcatholiſche Religion ſey die einmal
im Teutſchen Reiche eingefuͤhrte herrſchende Reli-
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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/443>, abgerufen am 22.07.2024.
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