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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
Bürgerschaft Befehlsweise zu eben der Religion
hätte zwingen wollen; würde es gewiß vergeblich
gewesen seyn. Das war aber auch nirgend der
Fall. Umgekehrt war an vielen Orten, wo die
Bürgerschaft eine Reformation der Kirche wünschte,
die Obrigkeit derselben entgegen. Alsdann kam es
darauf an, ob die Bürgerschaft Mittel fand, die
Obrigkeit auf andere Gesinnungen zu bringen; sonst
blieb es dann beym catholischen Gottesdienste, zu-
mal wenn etwa ein Bischof oder ein Capitel oder
Kloster die Obrigkeit unterstützte. Oder wo end-
lich vielleicht selbst die Obrigkeit einer Stadt, oder
auch die Bürgerschaft unter sich nicht einig, son-
dern ein Theil der Obrigkeit und Bürgerschaft für,
ein anderer wider die Reformation war, da kam
an manchen Orten ein vermischter Zustand heraus;
es sey nun, daß ein Religionstheil dem andern,
wo nicht völlig, doch ungefähr das Gleichgewicht
hielt, oder daß ein Theil zwar der überwiegende
oder herrschende blieb, aber dem andern doch die
Duldung mit mehr oder weniger Einschränkungen
zu gestatten sich genöthiget sah.


VIII.

So war zum Theil der Fall auch in ganzen
Ländern, die sonst in Verbindung mit einander stan-
den, wie in der Schweiz und in den Niederlanden,
da einige Cantons oder Provinzen sich zur evan-
gelischen Religion bekannten, andere bey der catho-
lischen blieben. Auch in auswärtigen Reichen war
der Fall häufig, daß ein großer Theil der Unter-
thanen, wie z. B in Frankreich mehrere Millionen,
die evangelische Religion annahmen, aber die ca-
tholische Religion doch bey dem regierenden Hause
und dem größern Theile der Nation die Oberhand

behielt.

V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
Buͤrgerſchaft Befehlsweiſe zu eben der Religion
haͤtte zwingen wollen; wuͤrde es gewiß vergeblich
geweſen ſeyn. Das war aber auch nirgend der
Fall. Umgekehrt war an vielen Orten, wo die
Buͤrgerſchaft eine Reformation der Kirche wuͤnſchte,
die Obrigkeit derſelben entgegen. Alsdann kam es
darauf an, ob die Buͤrgerſchaft Mittel fand, die
Obrigkeit auf andere Geſinnungen zu bringen; ſonſt
blieb es dann beym catholiſchen Gottesdienſte, zu-
mal wenn etwa ein Biſchof oder ein Capitel oder
Kloſter die Obrigkeit unterſtuͤtzte. Oder wo end-
lich vielleicht ſelbſt die Obrigkeit einer Stadt, oder
auch die Buͤrgerſchaft unter ſich nicht einig, ſon-
dern ein Theil der Obrigkeit und Buͤrgerſchaft fuͤr,
ein anderer wider die Reformation war, da kam
an manchen Orten ein vermiſchter Zuſtand heraus;
es ſey nun, daß ein Religionstheil dem andern,
wo nicht voͤllig, doch ungefaͤhr das Gleichgewicht
hielt, oder daß ein Theil zwar der uͤberwiegende
oder herrſchende blieb, aber dem andern doch die
Duldung mit mehr oder weniger Einſchraͤnkungen
zu geſtatten ſich genoͤthiget ſah.


VIII.

So war zum Theil der Fall auch in ganzen
Laͤndern, die ſonſt in Verbindung mit einander ſtan-
den, wie in der Schweiz und in den Niederlanden,
da einige Cantons oder Provinzen ſich zur evan-
geliſchen Religion bekannten, andere bey der catho-
liſchen blieben. Auch in auswaͤrtigen Reichen war
der Fall haͤufig, daß ein großer Theil der Unter-
thanen, wie z. B in Frankreich mehrere Millionen,
die evangeliſche Religion annahmen, aber die ca-
tholiſche Religion doch bey dem regierenden Hauſe
und dem groͤßern Theile der Nation die Oberhand

behielt.
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[376/0410] V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558. Buͤrgerſchaft Befehlsweiſe zu eben der Religion haͤtte zwingen wollen; wuͤrde es gewiß vergeblich geweſen ſeyn. Das war aber auch nirgend der Fall. Umgekehrt war an vielen Orten, wo die Buͤrgerſchaft eine Reformation der Kirche wuͤnſchte, die Obrigkeit derſelben entgegen. Alsdann kam es darauf an, ob die Buͤrgerſchaft Mittel fand, die Obrigkeit auf andere Geſinnungen zu bringen; ſonſt blieb es dann beym catholiſchen Gottesdienſte, zu- mal wenn etwa ein Biſchof oder ein Capitel oder Kloſter die Obrigkeit unterſtuͤtzte. Oder wo end- lich vielleicht ſelbſt die Obrigkeit einer Stadt, oder auch die Buͤrgerſchaft unter ſich nicht einig, ſon- dern ein Theil der Obrigkeit und Buͤrgerſchaft fuͤr, ein anderer wider die Reformation war, da kam an manchen Orten ein vermiſchter Zuſtand heraus; es ſey nun, daß ein Religionstheil dem andern, wo nicht voͤllig, doch ungefaͤhr das Gleichgewicht hielt, oder daß ein Theil zwar der uͤberwiegende oder herrſchende blieb, aber dem andern doch die Duldung mit mehr oder weniger Einſchraͤnkungen zu geſtatten ſich genoͤthiget ſah. So war zum Theil der Fall auch in ganzen Laͤndern, die ſonſt in Verbindung mit einander ſtan- den, wie in der Schweiz und in den Niederlanden, da einige Cantons oder Provinzen ſich zur evan- geliſchen Religion bekannten, andere bey der catho- liſchen blieben. Auch in auswaͤrtigen Reichen war der Fall haͤufig, daß ein großer Theil der Unter- thanen, wie z. B in Frankreich mehrere Millionen, die evangeliſche Religion annahmen, aber die ca- tholiſche Religion doch bey dem regierenden Hauſe und dem groͤßern Theile der Nation die Oberhand behielt.

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/410>, abgerufen am 19.05.2024.