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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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2) D. Luther bis 1525.
ken gehabt haben sollte, die nur darum das Kir-
chenwesen in ihren Ländern auf einen andern Fuß
gesetzt hätten, um die Vortheile von eingezogenen
Klöstern und eine größere Gewalt in Kirchensachen
sich zu eigen zu machen. (Nach dem wahren Ver-
laufe der Geschichte war die Kirchenreformation,
wie sie nach so vielen vergeblichen Concilien jetzt
würklich in Gang kam, nicht Befehlsweise von
Landesfürsten und Obrigkeiten, sondern auf Ver-
langen und eignen Betrieb der Unterthanen, also
nicht von oben herunter, sondern von unten hin-
auf, in Gang gebracht. Ganz irrig ist also die
Vorstellung, wie sie von vielen gemacht wird, als
ob der Churfürst von Sachsen, der Landgraf von
Hessen, und andere, die ihren Beyspielen gefolgt
wären, nur durch ihr Interesse geleitet, gut gefun-
den hätten, Luthers Lehre anzunehmen und in ihren
Ländern einzuführen; daß also mit gleichem Rechte
auch nachher catholische Landesherren evangelischer
Länder und Unterthanen diese wieder catholisch zu
machen befugt gewesen wären und noch seyn müß-
ten. Nein, nicht Landesherren, nicht Obrigkeiten
waren es, welche zu den damaligen Veränderun-
gen in der Kirche den Ton gaben, oder sie Be-
fehlsweise vorschrieben. Die Unterthanen waren
es, die jetzt nach veränderten Einsichten und Ge-
sinnungen von dem Joche, das sie bisher gedrückt
hatte, in Freyheit zu kommen, und den Gottes-
dienst ihrer nunmehrigen Ueberzeugung nach ein-
gerichtet zu haben wünschten. Wo nun Obrigkei-
ten und Landesherren diesen Wünschen Gehör ga-
ben, da kam die Sache zu Stande. Nur da fand
sie Hinderniß, wo die Obrigkeit den Unterthanen
nicht nachgeben wollte.)


Frey-

2) D. Luther bis 1525.
ken gehabt haben ſollte, die nur darum das Kir-
chenweſen in ihren Laͤndern auf einen andern Fuß
geſetzt haͤtten, um die Vortheile von eingezogenen
Kloͤſtern und eine groͤßere Gewalt in Kirchenſachen
ſich zu eigen zu machen. (Nach dem wahren Ver-
laufe der Geſchichte war die Kirchenreformation,
wie ſie nach ſo vielen vergeblichen Concilien jetzt
wuͤrklich in Gang kam, nicht Befehlsweiſe von
Landesfuͤrſten und Obrigkeiten, ſondern auf Ver-
langen und eignen Betrieb der Unterthanen, alſo
nicht von oben herunter, ſondern von unten hin-
auf, in Gang gebracht. Ganz irrig iſt alſo die
Vorſtellung, wie ſie von vielen gemacht wird, als
ob der Churfuͤrſt von Sachſen, der Landgraf von
Heſſen, und andere, die ihren Beyſpielen gefolgt
waͤren, nur durch ihr Intereſſe geleitet, gut gefun-
den haͤtten, Luthers Lehre anzunehmen und in ihren
Laͤndern einzufuͤhren; daß alſo mit gleichem Rechte
auch nachher catholiſche Landesherren evangeliſcher
Laͤnder und Unterthanen dieſe wieder catholiſch zu
machen befugt geweſen waͤren und noch ſeyn muͤß-
ten. Nein, nicht Landesherren, nicht Obrigkeiten
waren es, welche zu den damaligen Veraͤnderun-
gen in der Kirche den Ton gaben, oder ſie Be-
fehlsweiſe vorſchrieben. Die Unterthanen waren
es, die jetzt nach veraͤnderten Einſichten und Ge-
ſinnungen von dem Joche, das ſie bisher gedruͤckt
hatte, in Freyheit zu kommen, und den Gottes-
dienſt ihrer nunmehrigen Ueberzeugung nach ein-
gerichtet zu haben wuͤnſchten. Wo nun Obrigkei-
ten und Landesherren dieſen Wuͤnſchen Gehoͤr ga-
ben, da kam die Sache zu Stande. Nur da fand
ſie Hinderniß, wo die Obrigkeit den Unterthanen
nicht nachgeben wollte.)


Frey-
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[363/0397] 2) D. Luther bis 1525. ken gehabt haben ſollte, die nur darum das Kir- chenweſen in ihren Laͤndern auf einen andern Fuß geſetzt haͤtten, um die Vortheile von eingezogenen Kloͤſtern und eine groͤßere Gewalt in Kirchenſachen ſich zu eigen zu machen. (Nach dem wahren Ver- laufe der Geſchichte war die Kirchenreformation, wie ſie nach ſo vielen vergeblichen Concilien jetzt wuͤrklich in Gang kam, nicht Befehlsweiſe von Landesfuͤrſten und Obrigkeiten, ſondern auf Ver- langen und eignen Betrieb der Unterthanen, alſo nicht von oben herunter, ſondern von unten hin- auf, in Gang gebracht. Ganz irrig iſt alſo die Vorſtellung, wie ſie von vielen gemacht wird, als ob der Churfuͤrſt von Sachſen, der Landgraf von Heſſen, und andere, die ihren Beyſpielen gefolgt waͤren, nur durch ihr Intereſſe geleitet, gut gefun- den haͤtten, Luthers Lehre anzunehmen und in ihren Laͤndern einzufuͤhren; daß alſo mit gleichem Rechte auch nachher catholiſche Landesherren evangeliſcher Laͤnder und Unterthanen dieſe wieder catholiſch zu machen befugt geweſen waͤren und noch ſeyn muͤß- ten. Nein, nicht Landesherren, nicht Obrigkeiten waren es, welche zu den damaligen Veraͤnderun- gen in der Kirche den Ton gaben, oder ſie Be- fehlsweiſe vorſchrieben. Die Unterthanen waren es, die jetzt nach veraͤnderten Einſichten und Ge- ſinnungen von dem Joche, das ſie bisher gedruͤckt hatte, in Freyheit zu kommen, und den Gottes- dienſt ihrer nunmehrigen Ueberzeugung nach ein- gerichtet zu haben wuͤnſchten. Wo nun Obrigkei- ten und Landesherren dieſen Wuͤnſchen Gehoͤr ga- ben, da kam die Sache zu Stande. Nur da fand ſie Hinderniß, wo die Obrigkeit den Unterthanen nicht nachgeben wollte.) Frey-

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/397>, abgerufen am 17.05.2024.