Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.

VIII.

Noch bediente sich Innocenz der III. des Vor-
wandes, damit nicht ketzerische Hirten in den Schaaf-
stall der Kirche sich einschleichen möchten, um so-
wohl Bisthümer und Abteyen als andere Pfrün-
den unmittelbar von Rom aus zu vergeben. Selbst
über Kaiser und Könige hielt er sich nicht weniger
berechtiget, ihre Würdigkeit erst genau zu unter-
suchen, ehe sie sich im Besitz ihrer Kronen gesichert
halten könnten. Schien es aber nicht hinlänglich,
einzelne Personen mit dem Kirchenbanne zu bele-
gen, um seinen Verfügungen den nöthigen Nach-
druck zu geben; so brachte er das fürchterliche
Interdict in Gang, wodurch ganzen Städten
oder Ländern und Völkern der öffentliche Gottes-
dienst untersagt wurde (g).


So
(g) "Ein schauervoller Anblick, wenn ein gan-
zes Land mit dem Interdicte beleget wurde.
Aller äußere Gottesdienst mußte auf einmal auf-
hören; die Altäre wurden entkleidet; alle Statüen
der Heiligen, alle Kreuze wurden zu Boden gewor-
fen; keine Glocke könte mehr; kein Sacrament
wurde ausgetheilt; kein Todter kam auf die heilige
Erde des Gottesackers, er wurde ohne Gebet und
Gesang in unheiliges Land eingescharrt. Ehen
wurden nicht vor dem Altare, sondern in dem
Todtengarten eingesegnet. Niemand durfte den
andern auf der Straße grüßen; jeder Anblick
sollte verkündigen, daß das ganze Land ein Land
des Fluches sey. Welchen unauslöschlichtiefen
Eindruck mußte das nicht auf ein Zeitalter voll
Aberglaubens machen, welches den ganzen Got-
tesdienst in jene äußere Ceremonien setzte? Wie
mußte ein Volk nicht seinen Regenten verfluchen,
der durch seine Sünden ein ganzes Land auf sol-
che Art um zeitliche und ewige Glückseligkeit
brachte?" Spittlers Kirchengesch. S. 305.
II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.

VIII.

Noch bediente ſich Innocenz der III. des Vor-
wandes, damit nicht ketzeriſche Hirten in den Schaaf-
ſtall der Kirche ſich einſchleichen moͤchten, um ſo-
wohl Biſthuͤmer und Abteyen als andere Pfruͤn-
den unmittelbar von Rom aus zu vergeben. Selbſt
uͤber Kaiſer und Koͤnige hielt er ſich nicht weniger
berechtiget, ihre Wuͤrdigkeit erſt genau zu unter-
ſuchen, ehe ſie ſich im Beſitz ihrer Kronen geſichert
halten koͤnnten. Schien es aber nicht hinlaͤnglich,
einzelne Perſonen mit dem Kirchenbanne zu bele-
gen, um ſeinen Verfuͤgungen den noͤthigen Nach-
druck zu geben; ſo brachte er das fuͤrchterliche
Interdict in Gang, wodurch ganzen Staͤdten
oder Laͤndern und Voͤlkern der oͤffentliche Gottes-
dienſt unterſagt wurde (g).


So
(g) “Ein ſchauervoller Anblick, wenn ein gan-
zes Land mit dem Interdicte beleget wurde.
Aller aͤußere Gottesdienſt mußte auf einmal auf-
hoͤren; die Altaͤre wurden entkleidet; alle Statuͤen
der Heiligen, alle Kreuze wurden zu Boden gewor-
fen; keine Glocke koͤnte mehr; kein Sacrament
wurde ausgetheilt; kein Todter kam auf die heilige
Erde des Gottesackers, er wurde ohne Gebet und
Geſang in unheiliges Land eingeſcharrt. Ehen
wurden nicht vor dem Altare, ſondern in dem
Todtengarten eingeſegnet. Niemand durfte den
andern auf der Straße gruͤßen; jeder Anblick
ſollte verkuͤndigen, daß das ganze Land ein Land
des Fluches ſey. Welchen unausloͤſchlichtiefen
Eindruck mußte das nicht auf ein Zeitalter voll
Aberglaubens machen, welches den ganzen Got-
tesdienſt in jene aͤußere Ceremonien ſetzte? Wie
mußte ein Volk nicht ſeinen Regenten verfluchen,
der durch ſeine Suͤnden ein ganzes Land auf ſol-
che Art um zeitliche und ewige Gluͤckſeligkeit
brachte?” Spittlers Kirchengeſch. S. 305.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0236" n="202"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Mittlere Zeiten <hi rendition="#aq">a</hi>) 888-1235.</hi> </fw><lb/>
          <note place="left"> <hi rendition="#aq">VIII.</hi> </note>
          <p>Noch bediente &#x017F;ich Innocenz der <hi rendition="#aq">III.</hi> des Vor-<lb/>
wandes, damit nicht ketzeri&#x017F;che Hirten in den Schaaf-<lb/>
&#x017F;tall der Kirche &#x017F;ich ein&#x017F;chleichen mo&#x0364;chten, um &#x017F;o-<lb/>
wohl Bi&#x017F;thu&#x0364;mer und Abteyen als andere Pfru&#x0364;n-<lb/>
den unmittelbar von Rom aus zu vergeben. Selb&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;ber Kai&#x017F;er und Ko&#x0364;nige hielt er &#x017F;ich nicht weniger<lb/>
berechtiget, ihre Wu&#x0364;rdigkeit er&#x017F;t genau zu unter-<lb/>
&#x017F;uchen, ehe &#x017F;ie &#x017F;ich im Be&#x017F;itz ihrer Kronen ge&#x017F;ichert<lb/>
halten ko&#x0364;nnten. Schien es aber nicht hinla&#x0364;nglich,<lb/>
einzelne Per&#x017F;onen mit dem Kirchenbanne zu bele-<lb/>
gen, um &#x017F;einen Verfu&#x0364;gungen den no&#x0364;thigen Nach-<lb/>
druck zu geben; &#x017F;o brachte er das fu&#x0364;rchterliche<lb/><hi rendition="#fr">Interdict</hi> in Gang, wodurch ganzen Sta&#x0364;dten<lb/>
oder La&#x0364;ndern und Vo&#x0364;lkern der o&#x0364;ffentliche Gottes-<lb/>
dien&#x017F;t unter&#x017F;agt wurde <note place="foot" n="(g)">&#x201C;Ein &#x017F;chauervoller Anblick, wenn ein gan-<lb/>
zes Land mit dem <hi rendition="#fr">Interdicte</hi> beleget wurde.<lb/>
Aller a&#x0364;ußere Gottesdien&#x017F;t mußte auf einmal auf-<lb/>
ho&#x0364;ren; die Alta&#x0364;re wurden entkleidet; alle Statu&#x0364;en<lb/>
der Heiligen, alle Kreuze wurden zu Boden gewor-<lb/>
fen; keine Glocke ko&#x0364;nte mehr; kein Sacrament<lb/>
wurde ausgetheilt; kein Todter kam auf die heilige<lb/>
Erde des Gottesackers, er wurde ohne Gebet und<lb/>
Ge&#x017F;ang in unheiliges Land einge&#x017F;charrt. Ehen<lb/>
wurden nicht vor dem Altare, &#x017F;ondern in dem<lb/>
Todtengarten einge&#x017F;egnet. Niemand durfte den<lb/>
andern auf der Straße gru&#x0364;ßen; jeder Anblick<lb/>
&#x017F;ollte verku&#x0364;ndigen, daß das ganze Land ein Land<lb/>
des Fluches &#x017F;ey. Welchen unauslo&#x0364;&#x017F;chlichtiefen<lb/>
Eindruck mußte das nicht auf ein Zeitalter voll<lb/>
Aberglaubens machen, welches den ganzen Got-<lb/>
tesdien&#x017F;t in jene a&#x0364;ußere Ceremonien &#x017F;etzte? Wie<lb/>
mußte ein Volk nicht &#x017F;einen Regenten verfluchen,<lb/>
der durch &#x017F;eine Su&#x0364;nden ein ganzes Land auf &#x017F;ol-<lb/>
che Art um zeitliche und ewige Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit<lb/>
brachte?&#x201D; <hi rendition="#fr">Spittlers</hi> Kirchenge&#x017F;ch. S. 305.</note>.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0236] II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Noch bediente ſich Innocenz der III. des Vor- wandes, damit nicht ketzeriſche Hirten in den Schaaf- ſtall der Kirche ſich einſchleichen moͤchten, um ſo- wohl Biſthuͤmer und Abteyen als andere Pfruͤn- den unmittelbar von Rom aus zu vergeben. Selbſt uͤber Kaiſer und Koͤnige hielt er ſich nicht weniger berechtiget, ihre Wuͤrdigkeit erſt genau zu unter- ſuchen, ehe ſie ſich im Beſitz ihrer Kronen geſichert halten koͤnnten. Schien es aber nicht hinlaͤnglich, einzelne Perſonen mit dem Kirchenbanne zu bele- gen, um ſeinen Verfuͤgungen den noͤthigen Nach- druck zu geben; ſo brachte er das fuͤrchterliche Interdict in Gang, wodurch ganzen Staͤdten oder Laͤndern und Voͤlkern der oͤffentliche Gottes- dienſt unterſagt wurde (g). So (g) “Ein ſchauervoller Anblick, wenn ein gan- zes Land mit dem Interdicte beleget wurde. Aller aͤußere Gottesdienſt mußte auf einmal auf- hoͤren; die Altaͤre wurden entkleidet; alle Statuͤen der Heiligen, alle Kreuze wurden zu Boden gewor- fen; keine Glocke koͤnte mehr; kein Sacrament wurde ausgetheilt; kein Todter kam auf die heilige Erde des Gottesackers, er wurde ohne Gebet und Geſang in unheiliges Land eingeſcharrt. Ehen wurden nicht vor dem Altare, ſondern in dem Todtengarten eingeſegnet. Niemand durfte den andern auf der Straße gruͤßen; jeder Anblick ſollte verkuͤndigen, daß das ganze Land ein Land des Fluches ſey. Welchen unausloͤſchlichtiefen Eindruck mußte das nicht auf ein Zeitalter voll Aberglaubens machen, welches den ganzen Got- tesdienſt in jene aͤußere Ceremonien ſetzte? Wie mußte ein Volk nicht ſeinen Regenten verfluchen, der durch ſeine Suͤnden ein ganzes Land auf ſol- che Art um zeitliche und ewige Gluͤckſeligkeit brachte?” Spittlers Kirchengeſch. S. 305.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/236
Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/236>, abgerufen am 03.05.2024.