bon enfant, und gefällig, mehr wie Andere seines Standes, sobald er nur nicht selbst etwas dabei zu riskiren glaubt, was man ihm auch keineswegs ver- denken kann. Bei dem Religionsgespräch war er übrigens gewissermaßen im Vortheil, da seine Glau- bensgenossen von älterem Religionsadel sind, als wir Christen. Sie sind die wahren Aristokraten in die- sem Fach, die durchaus noch nie eine Neuerung passiren lassen wollten. Ich sagte endlich mit Göthe: Alle Ansichten sind zu loben, und fuhr in einem höchst zerbrechlichen Fiaker wieder nach dem Westend of the town zurück, wo es weder Christen noch Ju- den, sondern nur Fashionables und Nobodys gibt, um bei Mistriß P... die Pasta wieder singen zu hö- ren, und mit der Freundin des Lords H. de moitie Ecarte zu spielen.
Als ich endlich um 4 Uhr zu Haus kam und beim rosigen Tageslicht eingeschlafen war, bildete ich mir ein, mein Lager sey das Moos eines Waldes. Da weckte mich ein klägliches Geschrei. Ich sah mich um und erblickte einen armen Teufel, der eben von der Spitze eines hohen Baumes schräg durch die Luft fuhr, und neben mir zur Erde stürzte. Stöhnend und leichenblaß raffte er sich auf und jammerte schmerz- lich: nun sey es aus mit ihm! Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, als ein Wesen, das einem zugestöpselten Tintenfaß glich, herbeikam, und dem halbtodten Men- schen unter Flüchen noch mehrere Stöße mit dem Stöpsel gab. Ich packte es aber, zog den Stöpsel heraus, und wie die Tinte nachströmte, verwandelte
bon enfant, und gefällig, mehr wie Andere ſeines Standes, ſobald er nur nicht ſelbſt etwas dabei zu riskiren glaubt, was man ihm auch keineswegs ver- denken kann. Bei dem Religionsgeſpräch war er übrigens gewiſſermaßen im Vortheil, da ſeine Glau- bensgenoſſen von älterem Religionsadel ſind, als wir Chriſten. Sie ſind die wahren Ariſtokraten in die- ſem Fach, die durchaus noch nie eine Neuerung paſſiren laſſen wollten. Ich ſagte endlich mit Göthe: Alle Anſichten ſind zu loben, und fuhr in einem höchſt zerbrechlichen Fiaker wieder nach dem Westend of the town zurück, wo es weder Chriſten noch Ju- den, ſondern nur Faſhionables und Nobodys gibt, um bei Miſtriß P… die Paſta wieder ſingen zu hö- ren, und mit der Freundin des Lords H. de moitié Ecarté zu ſpielen.
Als ich endlich um 4 Uhr zu Haus kam und beim roſigen Tageslicht eingeſchlafen war, bildete ich mir ein, mein Lager ſey das Moos eines Waldes. Da weckte mich ein klägliches Geſchrei. Ich ſah mich um und erblickte einen armen Teufel, der eben von der Spitze eines hohen Baumes ſchräg durch die Luft fuhr, und neben mir zur Erde ſtürzte. Stöhnend und leichenblaß raffte er ſich auf und jammerte ſchmerz- lich: nun ſey es aus mit ihm! Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, als ein Weſen, das einem zugeſtöpſelten Tintenfaß glich, herbeikam, und dem halbtodten Men- ſchen unter Flüchen noch mehrere Stöße mit dem Stöpſel gab. Ich packte es aber, zog den Stöpſel heraus, und wie die Tinte nachſtrömte, verwandelte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0060"n="44"/>
bon enfant,</hi> und gefällig, mehr wie Andere ſeines<lb/>
Standes, ſobald er nur nicht ſelbſt etwas dabei zu<lb/>
riskiren glaubt, was man ihm auch keineswegs ver-<lb/>
denken kann. Bei dem Religionsgeſpräch war <hirendition="#g">er</hi><lb/>
übrigens gewiſſermaßen im Vortheil, da ſeine Glau-<lb/>
bensgenoſſen von älterem Religionsadel ſind, als wir<lb/>
Chriſten. Sie ſind die wahren Ariſtokraten in <hirendition="#g">die-<lb/>ſem</hi> Fach, die durchaus noch nie eine Neuerung<lb/>
paſſiren laſſen wollten. Ich ſagte endlich mit Göthe:<lb/>
Alle Anſichten ſind zu loben, und fuhr in einem<lb/>
höchſt zerbrechlichen Fiaker wieder nach dem <hirendition="#aq">Westend<lb/>
of the town</hi> zurück, wo es weder Chriſten noch Ju-<lb/>
den, ſondern nur Faſhionables und Nobodys gibt,<lb/>
um bei Miſtriß P… die Paſta wieder ſingen zu hö-<lb/>
ren, und mit der Freundin des Lords H. <hirendition="#aq">de moitié<lb/>
Ecarté</hi> zu ſpielen.</p><lb/><p>Als ich endlich um 4 Uhr zu Haus kam und beim<lb/>
roſigen Tageslicht eingeſchlafen war, bildete ich mir<lb/>
ein, mein Lager ſey das Moos eines Waldes. Da<lb/>
weckte mich ein klägliches Geſchrei. Ich ſah mich<lb/>
um und erblickte einen armen Teufel, der eben von<lb/>
der Spitze eines hohen Baumes ſchräg durch die Luft<lb/>
fuhr, und neben mir zur Erde ſtürzte. Stöhnend<lb/>
und leichenblaß raffte er ſich auf und jammerte ſchmerz-<lb/>
lich: nun ſey es aus mit ihm! Ich wollte ihm zu<lb/>
Hilfe eilen, als ein Weſen, das einem zugeſtöpſelten<lb/>
Tintenfaß glich, herbeikam, und dem halbtodten Men-<lb/>ſchen unter Flüchen noch mehrere Stöße mit dem<lb/>
Stöpſel gab. Ich packte es aber, zog den Stöpſel<lb/>
heraus, und wie die Tinte nachſtrömte, verwandelte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[44/0060]
bon enfant, und gefällig, mehr wie Andere ſeines
Standes, ſobald er nur nicht ſelbſt etwas dabei zu
riskiren glaubt, was man ihm auch keineswegs ver-
denken kann. Bei dem Religionsgeſpräch war er
übrigens gewiſſermaßen im Vortheil, da ſeine Glau-
bensgenoſſen von älterem Religionsadel ſind, als wir
Chriſten. Sie ſind die wahren Ariſtokraten in die-
ſem Fach, die durchaus noch nie eine Neuerung
paſſiren laſſen wollten. Ich ſagte endlich mit Göthe:
Alle Anſichten ſind zu loben, und fuhr in einem
höchſt zerbrechlichen Fiaker wieder nach dem Westend
of the town zurück, wo es weder Chriſten noch Ju-
den, ſondern nur Faſhionables und Nobodys gibt,
um bei Miſtriß P… die Paſta wieder ſingen zu hö-
ren, und mit der Freundin des Lords H. de moitié
Ecarté zu ſpielen.
Als ich endlich um 4 Uhr zu Haus kam und beim
roſigen Tageslicht eingeſchlafen war, bildete ich mir
ein, mein Lager ſey das Moos eines Waldes. Da
weckte mich ein klägliches Geſchrei. Ich ſah mich
um und erblickte einen armen Teufel, der eben von
der Spitze eines hohen Baumes ſchräg durch die Luft
fuhr, und neben mir zur Erde ſtürzte. Stöhnend
und leichenblaß raffte er ſich auf und jammerte ſchmerz-
lich: nun ſey es aus mit ihm! Ich wollte ihm zu
Hilfe eilen, als ein Weſen, das einem zugeſtöpſelten
Tintenfaß glich, herbeikam, und dem halbtodten Men-
ſchen unter Flüchen noch mehrere Stöße mit dem
Stöpſel gab. Ich packte es aber, zog den Stöpſel
heraus, und wie die Tinte nachſtrömte, verwandelte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/60>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.