erste bel esprit der hohen Gesellschaft ist, so muß ich ihnen wohl auch eine kurze Aufmerksamkeit schenken.
Nur in der Unschuldsepoche der englischen Mode- herrschaft, wo man noch das Ausland für seine Sit- ten copirte, und nicht die jetzige Selbstständigkeit, die nun sogar als Muster für andere Länder aufzu- treten anfängt, erlangt hatte, regierte ein Dandy hauptsächlich durch seine Kleidung, und der berühmte Brummel tyrannisirte mit diesem einzigen Mittel be- kanntlich Jahre lang town and country. Jetzt ist dies nicht mehr der Fall; der höhere Exclusiv affek- tirt im Gegentheil eine gewisse Unaufmerksamkeit auf seine Kleidung, die sich fast immer gleich ist, und, weit entfernt jeder Mode zu folgen oder solche zu er- finden, bleibt sein Anzug höchstens nur durch Fein- heit und Sauberkeit ausgezeichnet. Es gehört jetzt allerdings schon mehr dazu, der Mann nach der Mode zu seyn. Man muß unter andern, wie einst in Frank- reich, den Ruf eines herzlosen Weiberverführers ha- ben, und ein gefährlicher Mensch seyn. Da man es aber den ehemaligen Franzosen an glänzender Lie- benswürdigkeit und einnehmender Gewandtheit, mit einem undistinguirten Aeußern und unbezwinglich holprigen Manieren, auch bei dem besten Willen nicht gleich zu thun im Stande ist, so muß man sich da- für, wie Tartuffe, als ein gleich süßer und giftiger Heuchler geltend zu machen wissen, mit leisem Ge- spräch, welches jetzt Mode ist, und falschen Worten sich die Bahn zu jeder gewissenlosen Handlung im Dunkeln brechen, als da sind falsches Spiel und
erſte bel esprit der hohen Geſellſchaft iſt, ſo muß ich ihnen wohl auch eine kurze Aufmerkſamkeit ſchenken.
Nur in der Unſchuldsepoche der engliſchen Mode- herrſchaft, wo man noch das Ausland für ſeine Sit- ten copirte, und nicht die jetzige Selbſtſtändigkeit, die nun ſogar als Muſter für andere Länder aufzu- treten anfängt, erlangt hatte, regierte ein Dandy hauptſächlich durch ſeine Kleidung, und der berühmte Brummel tyranniſirte mit dieſem einzigen Mittel be- kanntlich Jahre lang town and country. Jetzt iſt dies nicht mehr der Fall; der höhere Excluſiv affek- tirt im Gegentheil eine gewiſſe Unaufmerkſamkeit auf ſeine Kleidung, die ſich faſt immer gleich iſt, und, weit entfernt jeder Mode zu folgen oder ſolche zu er- finden, bleibt ſein Anzug höchſtens nur durch Fein- heit und Sauberkeit ausgezeichnet. Es gehört jetzt allerdings ſchon mehr dazu, der Mann nach der Mode zu ſeyn. Man muß unter andern, wie einſt in Frank- reich, den Ruf eines herzloſen Weiberverführers ha- ben, und ein gefährlicher Menſch ſeyn. Da man es aber den ehemaligen Franzoſen an glänzender Lie- benswürdigkeit und einnehmender Gewandtheit, mit einem undiſtinguirten Aeußern und unbezwinglich holprigen Manieren, auch bei dem beſten Willen nicht gleich zu thun im Stande iſt, ſo muß man ſich da- für, wie Tartuffe, als ein gleich ſüßer und giftiger Heuchler geltend zu machen wiſſen, mit leiſem Ge- ſpräch, welches jetzt Mode iſt, und falſchen Worten ſich die Bahn zu jeder gewiſſenloſen Handlung im Dunkeln brechen, als da ſind falſches Spiel und
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[411/0431]
erſte bel esprit der hohen Geſellſchaft iſt, ſo muß ich
ihnen wohl auch eine kurze Aufmerkſamkeit ſchenken.
Nur in der Unſchuldsepoche der engliſchen Mode-
herrſchaft, wo man noch das Ausland für ſeine Sit-
ten copirte, und nicht die jetzige Selbſtſtändigkeit,
die nun ſogar als Muſter für andere Länder aufzu-
treten anfängt, erlangt hatte, regierte ein Dandy
hauptſächlich durch ſeine Kleidung, und der berühmte
Brummel tyranniſirte mit dieſem einzigen Mittel be-
kanntlich Jahre lang town and country. Jetzt iſt
dies nicht mehr der Fall; der höhere Excluſiv affek-
tirt im Gegentheil eine gewiſſe Unaufmerkſamkeit auf
ſeine Kleidung, die ſich faſt immer gleich iſt, und,
weit entfernt jeder Mode zu folgen oder ſolche zu er-
finden, bleibt ſein Anzug höchſtens nur durch Fein-
heit und Sauberkeit ausgezeichnet. Es gehört jetzt
allerdings ſchon mehr dazu, der Mann nach der Mode
zu ſeyn. Man muß unter andern, wie einſt in Frank-
reich, den Ruf eines herzloſen Weiberverführers ha-
ben, und ein gefährlicher Menſch ſeyn. Da man
es aber den ehemaligen Franzoſen an glänzender Lie-
benswürdigkeit und einnehmender Gewandtheit, mit
einem undiſtinguirten Aeußern und unbezwinglich
holprigen Manieren, auch bei dem beſten Willen nicht
gleich zu thun im Stande iſt, ſo muß man ſich da-
für, wie Tartuffe, als ein gleich ſüßer und giftiger
Heuchler geltend zu machen wiſſen, mit leiſem Ge-
ſpräch, welches jetzt Mode iſt, und falſchen Worten
ſich die Bahn zu jeder gewiſſenloſen Handlung im
Dunkeln brechen, als da ſind falſches Spiel und
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/431>, abgerufen am 24.11.2024.
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