Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Schon früher hatte ich Brougham gehört und be-
wundert. Niemand hat wohl je mit größerer Leich-
tigkeit gesprochen, stundenlang in einem nie unter-
brochenen klaren Fluß der Rede, mit schönem und
deutlichem Organ, die Aufmerksamkeit fesselnd, ohne
irgendwo anzustoßen, nachzusinnen, zu wiederholen,
oder, sich versprechend, ein Wort für das andere zu
gebrauchen, welche störenden Fehler z. B. die Reden
Peel's oft verunstalten. Brougham spricht, wie ein
geübter Leser Gedrucktes vorliest -- demohngeachtet
sieht man darin nur außerordentliches Talent, beißen-
den, vernichtenden Witz und seltne Gegenwart des
Geistes, doch die jedes Herz erwärmende Kraft des
Genies, wie Canning sie ausströmt, besitzt er,
meines Erachtens, nur in weit geringerem Grade.

Jetzt erst trat Canning, der Held des Tages, selbst
auf. Wenn der Vorige einem geschickten und eleganten
geistigen Boxer zu vergleichen war, so gab Canning
das Bild eines vollendeten antiken Gladiators. Alles
war edel, fein, einfach, und dann plötzlich ein Glanz-
punkt, wie ein Blitz hervorbrechend, groß und hin-
reißend. Eine Art Ermattung und Schwäche, die,
als sey es die Folge der so kürzlich erlebten Krän-
kungen, so wie der überhäuften Arbeit, seiner Ener-
gie etwas zu entnehmen schien, gewann ihm vielleicht
in anderer Rücksicht noch mehr von Seiten des
Gefühls.

Seine Rede war in jeder Hinsicht das Gediegenste,
auch den Unbefangensten Ergreifende, der Culmina-

Schon früher hatte ich Brougham gehört und be-
wundert. Niemand hat wohl je mit größerer Leich-
tigkeit geſprochen, ſtundenlang in einem nie unter-
brochenen klaren Fluß der Rede, mit ſchönem und
deutlichem Organ, die Aufmerkſamkeit feſſelnd, ohne
irgendwo anzuſtoßen, nachzuſinnen, zu wiederholen,
oder, ſich verſprechend, ein Wort für das andere zu
gebrauchen, welche ſtörenden Fehler z. B. die Reden
Peel’s oft verunſtalten. Brougham ſpricht, wie ein
geübter Leſer Gedrucktes vorliest — demohngeachtet
ſieht man darin nur außerordentliches Talent, beißen-
den, vernichtenden Witz und ſeltne Gegenwart des
Geiſtes, doch die jedes Herz erwärmende Kraft des
Genies, wie Canning ſie ausſtrömt, beſitzt er,
meines Erachtens, nur in weit geringerem Grade.

Jetzt erſt trat Canning, der Held des Tages, ſelbſt
auf. Wenn der Vorige einem geſchickten und eleganten
geiſtigen Boxer zu vergleichen war, ſo gab Canning
das Bild eines vollendeten antiken Gladiators. Alles
war edel, fein, einfach, und dann plötzlich ein Glanz-
punkt, wie ein Blitz hervorbrechend, groß und hin-
reißend. Eine Art Ermattung und Schwäche, die,
als ſey es die Folge der ſo kürzlich erlebten Krän-
kungen, ſo wie der überhäuften Arbeit, ſeiner Ener-
gie etwas zu entnehmen ſchien, gewann ihm vielleicht
in anderer Rückſicht noch mehr von Seiten des
Gefühls.

Seine Rede war in jeder Hinſicht das Gediegenſte,
auch den Unbefangenſten Ergreifende, der Culmina-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0036" n="20"/>
          <p>Schon früher hatte ich Brougham gehört und be-<lb/>
wundert. Niemand hat wohl je mit größerer Leich-<lb/>
tigkeit ge&#x017F;prochen, &#x017F;tundenlang in einem nie unter-<lb/>
brochenen klaren Fluß der Rede, mit &#x017F;chönem und<lb/>
deutlichem Organ, die Aufmerk&#x017F;amkeit fe&#x017F;&#x017F;elnd, ohne<lb/>
irgendwo anzu&#x017F;toßen, nachzu&#x017F;innen, zu wiederholen,<lb/>
oder, &#x017F;ich ver&#x017F;prechend, ein Wort für das andere zu<lb/>
gebrauchen, welche &#x017F;törenden Fehler z. B. die Reden<lb/>
Peel&#x2019;s oft verun&#x017F;talten. Brougham &#x017F;pricht, wie ein<lb/>
geübter Le&#x017F;er Gedrucktes vorliest &#x2014; demohngeachtet<lb/>
&#x017F;ieht man darin nur außerordentliches Talent, beißen-<lb/>
den, vernichtenden Witz und &#x017F;eltne Gegenwart des<lb/>
Gei&#x017F;tes, doch die jedes Herz erwärmende Kraft des<lb/><hi rendition="#g">Genies</hi>, wie Canning &#x017F;ie aus&#x017F;trömt, be&#x017F;itzt er,<lb/>
meines Erachtens, nur in weit geringerem Grade.</p><lb/>
          <p>Jetzt er&#x017F;t trat Canning, der Held des Tages, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
auf. Wenn der Vorige einem ge&#x017F;chickten und eleganten<lb/>
gei&#x017F;tigen Boxer zu vergleichen war, &#x017F;o gab Canning<lb/>
das Bild eines vollendeten antiken Gladiators. Alles<lb/>
war edel, fein, einfach, und dann plötzlich ein Glanz-<lb/>
punkt, wie ein Blitz hervorbrechend, groß und hin-<lb/>
reißend. Eine Art Ermattung und Schwäche, die,<lb/>
als &#x017F;ey es die Folge der &#x017F;o kürzlich erlebten Krän-<lb/>
kungen, &#x017F;o wie der überhäuften Arbeit, &#x017F;einer Ener-<lb/>
gie etwas zu entnehmen &#x017F;chien, gewann ihm vielleicht<lb/>
in anderer Rück&#x017F;icht noch mehr von Seiten des<lb/>
Gefühls.</p><lb/>
          <p>Seine Rede war in jeder Hin&#x017F;icht das Gediegen&#x017F;te,<lb/>
auch den Unbefangen&#x017F;ten Ergreifende, der Culmina-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0036] Schon früher hatte ich Brougham gehört und be- wundert. Niemand hat wohl je mit größerer Leich- tigkeit geſprochen, ſtundenlang in einem nie unter- brochenen klaren Fluß der Rede, mit ſchönem und deutlichem Organ, die Aufmerkſamkeit feſſelnd, ohne irgendwo anzuſtoßen, nachzuſinnen, zu wiederholen, oder, ſich verſprechend, ein Wort für das andere zu gebrauchen, welche ſtörenden Fehler z. B. die Reden Peel’s oft verunſtalten. Brougham ſpricht, wie ein geübter Leſer Gedrucktes vorliest — demohngeachtet ſieht man darin nur außerordentliches Talent, beißen- den, vernichtenden Witz und ſeltne Gegenwart des Geiſtes, doch die jedes Herz erwärmende Kraft des Genies, wie Canning ſie ausſtrömt, beſitzt er, meines Erachtens, nur in weit geringerem Grade. Jetzt erſt trat Canning, der Held des Tages, ſelbſt auf. Wenn der Vorige einem geſchickten und eleganten geiſtigen Boxer zu vergleichen war, ſo gab Canning das Bild eines vollendeten antiken Gladiators. Alles war edel, fein, einfach, und dann plötzlich ein Glanz- punkt, wie ein Blitz hervorbrechend, groß und hin- reißend. Eine Art Ermattung und Schwäche, die, als ſey es die Folge der ſo kürzlich erlebten Krän- kungen, ſo wie der überhäuften Arbeit, ſeiner Ener- gie etwas zu entnehmen ſchien, gewann ihm vielleicht in anderer Rückſicht noch mehr von Seiten des Gefühls. Seine Rede war in jeder Hinſicht das Gediegenſte, auch den Unbefangenſten Ergreifende, der Culmina-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/36
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/36>, abgerufen am 27.11.2024.