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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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uns umfaßbaren Gotte unsern geheimnißvollen Ur-
sprung in Demuth verdanken will, aber eben weil
eine göttliche Befruchtung uns hervorrief, müssen wir
von nun an auch selbstständig in Gott fortleben.
Höre, was Angelus Silescus, der fromme Catholik,
darüber sagt:

Soll ich mein letztes End, und ersten Anfang finden,
So muß ich mich in Gott, und Gott in mir ergründen,
Und werden das, was er, ich muß ein Schein im Schein,
Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte seyn.

Eben deshalb ist mir auch jener Lehrsatz unerträg-
lich: daß früher der Mensch höher gestanden und
besser gewesen, sich aber nach und nach verschlech-
tert habe, und nun wieder eben so nach und nach,
durch Sünde und Noth sich zur ersten Vollkommen-
heit wieder durcharbeiten müsse. Wie viel mehr allen
Gesetzen der Natur und des Seyns angemessen, wie
viel mehr einer ewigen, höchsten, über Alles walten-
den Liebe und Gerechtigkeit entsprechend, ist es an-
zunehmen, daß die Menschheit (die ich überhaupt als
ein wahres Individuum, einen Körper, ansehe),
aus dem nothwendig unvollkommenern Anfang fort
und fort einer stets weiter schreitenden Vervollkomm-
nung, einer höhern geistigen Ausbildung aus eigner
Kraft entgegengeht, obgleich der Keim dazu durch
die Liebe des Höchsten erschaffend hineingelegt wurde.
Das goldne Zeitalter der Menschen, sagt der Graf
St. Simon sehr richtig, ist nicht hinter uns, sondern
vor uns. Das Unsrige könnte man (mehr des Wol-
lens als des Vermögens wegen) das mystische nen-

uns umfaßbaren Gotte unſern geheimnißvollen Ur-
ſprung in Demuth verdanken will, aber eben weil
eine göttliche Befruchtung uns hervorrief, müſſen wir
von nun an auch ſelbſtſtändig in Gott fortleben.
Höre, was Angelus Sileſcus, der fromme Catholik,
darüber ſagt:

Soll ich mein letztes End, und erſten Anfang finden,
So muß ich mich in Gott, und Gott in mir ergründen,
Und werden das, was er, ich muß ein Schein im Schein,
Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte ſeyn.

Eben deshalb iſt mir auch jener Lehrſatz unerträg-
lich: daß früher der Menſch höher geſtanden und
beſſer geweſen, ſich aber nach und nach verſchlech-
tert habe, und nun wieder eben ſo nach und nach,
durch Sünde und Noth ſich zur erſten Vollkommen-
heit wieder durcharbeiten müſſe. Wie viel mehr allen
Geſetzen der Natur und des Seyns angemeſſen, wie
viel mehr einer ewigen, höchſten, über Alles walten-
den Liebe und Gerechtigkeit entſprechend, iſt es an-
zunehmen, daß die Menſchheit (die ich überhaupt als
ein wahres Individuum, einen Körper, anſehe),
aus dem nothwendig unvollkommenern Anfang fort
und fort einer ſtets weiter ſchreitenden Vervollkomm-
nung, einer höhern geiſtigen Ausbildung aus eigner
Kraft entgegengeht, obgleich der Keim dazu durch
die Liebe des Höchſten erſchaffend hineingelegt wurde.
Das goldne Zeitalter der Menſchen, ſagt der Graf
St. Simon ſehr richtig, iſt nicht hinter uns, ſondern
vor uns. Das Unſrige könnte man (mehr des Wol-
lens als des Vermögens wegen) das myſtiſche nen-

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[286/0304] uns umfaßbaren Gotte unſern geheimnißvollen Ur- ſprung in Demuth verdanken will, aber eben weil eine göttliche Befruchtung uns hervorrief, müſſen wir von nun an auch ſelbſtſtändig in Gott fortleben. Höre, was Angelus Sileſcus, der fromme Catholik, darüber ſagt: Soll ich mein letztes End, und erſten Anfang finden, So muß ich mich in Gott, und Gott in mir ergründen, Und werden das, was er, ich muß ein Schein im Schein, Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte ſeyn. Eben deshalb iſt mir auch jener Lehrſatz unerträg- lich: daß früher der Menſch höher geſtanden und beſſer geweſen, ſich aber nach und nach verſchlech- tert habe, und nun wieder eben ſo nach und nach, durch Sünde und Noth ſich zur erſten Vollkommen- heit wieder durcharbeiten müſſe. Wie viel mehr allen Geſetzen der Natur und des Seyns angemeſſen, wie viel mehr einer ewigen, höchſten, über Alles walten- den Liebe und Gerechtigkeit entſprechend, iſt es an- zunehmen, daß die Menſchheit (die ich überhaupt als ein wahres Individuum, einen Körper, anſehe), aus dem nothwendig unvollkommenern Anfang fort und fort einer ſtets weiter ſchreitenden Vervollkomm- nung, einer höhern geiſtigen Ausbildung aus eigner Kraft entgegengeht, obgleich der Keim dazu durch die Liebe des Höchſten erſchaffend hineingelegt wurde. Das goldne Zeitalter der Menſchen, ſagt der Graf St. Simon ſehr richtig, iſt nicht hinter uns, ſondern vor uns. Das Unſrige könnte man (mehr des Wol- lens als des Vermögens wegen) das myſtiſche nen-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/304>, abgerufen am 27.11.2024.