Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

heißt nun freilich Schlafrock, aber ich traute in der
That meinen Augen kaum, als Macready in einem
modernen Schlafrock von geblümtem Ziz (wahrschein-
lich seinen eigenen zum täglichen Gebrauch), den er
blos über seine vorige Stahlrüstung geworfen, die
darunter bei jeder Bewegung hervorblickte, heraus
kam, und in diesem ergötzlichen Costüme den Degen
zog, um die Kammerherren zu erstechen, die bei'm
König schlafen.

Es war nicht bemerkbar, daß dies irgend Jemand
aufgefallen wäre. Freilich war die Theilnahme über-
haupt eben so gering, als Lärm und Unfug fortwäh-
rend andauernd, so daß man wirklich kaum begreift,
wie sich so ausgezeichnete Künstler bei einem so un-
gezogenen, indifferenten und unwissenden Publikum
bilden können, als sie hier fast immer vor sich ha-
ben, denn wie ich Dir schon sagte, das englische Thea-
ter ist nicht fashionable, und die sogenannte gute Ge-
sellschaft besucht es fast nie. Das einzige Vortheil-
hafte dabei für die Schauspieler ist: sie werden nicht
verwöhnt -- ein Umstand, dessen Gegentheil sie in
Deutschland gänzlich verdorben zu haben scheint.

Nach dem Macbeth wurde noch der Freischütz an
demselben Abend aufgeführt. Auch Weber wie Mozart
muß es sich gefallen lassen, mit Verkürzungen und Zu-
sätzen von Herrn Bischoff bearbeitet zu werden. Es
ist ein wahrer Jammer, und nicht allein der Musik,
selbst der Fabel des Stücks ist ihr ganzer Charakter
benommen. Nicht Agathens Liebhaber, sondern der
Schützenkönig kömmt in die Wolfsschlucht und singt

heißt nun freilich Schlafrock, aber ich traute in der
That meinen Augen kaum, als Macready in einem
modernen Schlafrock von geblümtem Ziz (wahrſchein-
lich ſeinen eigenen zum täglichen Gebrauch), den er
blos über ſeine vorige Stahlrüſtung geworfen, die
darunter bei jeder Bewegung hervorblickte, heraus
kam, und in dieſem ergötzlichen Coſtüme den Degen
zog, um die Kammerherren zu erſtechen, die bei’m
König ſchlafen.

Es war nicht bemerkbar, daß dies irgend Jemand
aufgefallen wäre. Freilich war die Theilnahme über-
haupt eben ſo gering, als Lärm und Unfug fortwäh-
rend andauernd, ſo daß man wirklich kaum begreift,
wie ſich ſo ausgezeichnete Künſtler bei einem ſo un-
gezogenen, indifferenten und unwiſſenden Publikum
bilden können, als ſie hier faſt immer vor ſich ha-
ben, denn wie ich Dir ſchon ſagte, das engliſche Thea-
ter iſt nicht faſhionable, und die ſogenannte gute Ge-
ſellſchaft beſucht es faſt nie. Das einzige Vortheil-
hafte dabei für die Schauſpieler iſt: ſie werden nicht
verwöhnt — ein Umſtand, deſſen Gegentheil ſie in
Deutſchland gänzlich verdorben zu haben ſcheint.

Nach dem Macbeth wurde noch der Freiſchütz an
demſelben Abend aufgeführt. Auch Weber wie Mozart
muß es ſich gefallen laſſen, mit Verkürzungen und Zu-
ſätzen von Herrn Biſchoff bearbeitet zu werden. Es
iſt ein wahrer Jammer, und nicht allein der Muſik,
ſelbſt der Fabel des Stücks iſt ihr ganzer Charakter
benommen. Nicht Agathens Liebhaber, ſondern der
Schützenkönig kömmt in die Wolfsſchlucht und ſingt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0279" n="263"/>
heißt nun freilich Schlafrock, aber ich traute in der<lb/>
That meinen Augen kaum, als Macready in einem<lb/>
modernen Schlafrock von geblümtem Ziz (wahr&#x017F;chein-<lb/>
lich &#x017F;einen eigenen zum täglichen Gebrauch), den er<lb/>
blos über &#x017F;eine vorige Stahlrü&#x017F;tung geworfen, die<lb/>
darunter bei jeder Bewegung hervorblickte, heraus<lb/>
kam, und in die&#x017F;em ergötzlichen Co&#x017F;tüme den Degen<lb/>
zog, um die Kammerherren zu er&#x017F;techen, die bei&#x2019;m<lb/>
König &#x017F;chlafen.</p><lb/>
          <p>Es war nicht bemerkbar, daß dies irgend Jemand<lb/>
aufgefallen wäre. Freilich war die Theilnahme über-<lb/>
haupt eben &#x017F;o gering, als Lärm und Unfug fortwäh-<lb/>
rend andauernd, &#x017F;o daß man wirklich kaum begreift,<lb/>
wie &#x017F;ich &#x017F;o ausgezeichnete Kün&#x017F;tler bei einem &#x017F;o un-<lb/>
gezogenen, indifferenten und unwi&#x017F;&#x017F;enden Publikum<lb/>
bilden können, als &#x017F;ie hier fa&#x017F;t immer vor &#x017F;ich ha-<lb/>
ben, denn wie ich Dir &#x017F;chon &#x017F;agte, das engli&#x017F;che Thea-<lb/>
ter i&#x017F;t nicht fa&#x017F;hionable, und die &#x017F;ogenannte gute Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft be&#x017F;ucht es fa&#x017F;t nie. Das einzige Vortheil-<lb/>
hafte dabei für die Schau&#x017F;pieler i&#x017F;t: &#x017F;ie werden nicht<lb/>
verwöhnt &#x2014; ein Um&#x017F;tand, de&#x017F;&#x017F;en Gegentheil &#x017F;ie in<lb/>
Deut&#x017F;chland gänzlich verdorben zu haben &#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>Nach dem Macbeth wurde noch der Frei&#x017F;chütz an<lb/>
dem&#x017F;elben Abend aufgeführt. Auch Weber wie Mozart<lb/>
muß es &#x017F;ich gefallen la&#x017F;&#x017F;en, mit Verkürzungen und Zu-<lb/>
&#x017F;ätzen von Herrn Bi&#x017F;choff bearbeitet zu werden. Es<lb/>
i&#x017F;t ein wahrer Jammer, und nicht allein der Mu&#x017F;ik,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t der Fabel des Stücks i&#x017F;t ihr ganzer Charakter<lb/>
benommen. Nicht Agathens Liebhaber, &#x017F;ondern der<lb/>
Schützenkönig kömmt in die Wolfs&#x017F;chlucht und &#x017F;ingt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0279] heißt nun freilich Schlafrock, aber ich traute in der That meinen Augen kaum, als Macready in einem modernen Schlafrock von geblümtem Ziz (wahrſchein- lich ſeinen eigenen zum täglichen Gebrauch), den er blos über ſeine vorige Stahlrüſtung geworfen, die darunter bei jeder Bewegung hervorblickte, heraus kam, und in dieſem ergötzlichen Coſtüme den Degen zog, um die Kammerherren zu erſtechen, die bei’m König ſchlafen. Es war nicht bemerkbar, daß dies irgend Jemand aufgefallen wäre. Freilich war die Theilnahme über- haupt eben ſo gering, als Lärm und Unfug fortwäh- rend andauernd, ſo daß man wirklich kaum begreift, wie ſich ſo ausgezeichnete Künſtler bei einem ſo un- gezogenen, indifferenten und unwiſſenden Publikum bilden können, als ſie hier faſt immer vor ſich ha- ben, denn wie ich Dir ſchon ſagte, das engliſche Thea- ter iſt nicht faſhionable, und die ſogenannte gute Ge- ſellſchaft beſucht es faſt nie. Das einzige Vortheil- hafte dabei für die Schauſpieler iſt: ſie werden nicht verwöhnt — ein Umſtand, deſſen Gegentheil ſie in Deutſchland gänzlich verdorben zu haben ſcheint. Nach dem Macbeth wurde noch der Freiſchütz an demſelben Abend aufgeführt. Auch Weber wie Mozart muß es ſich gefallen laſſen, mit Verkürzungen und Zu- ſätzen von Herrn Biſchoff bearbeitet zu werden. Es iſt ein wahrer Jammer, und nicht allein der Muſik, ſelbſt der Fabel des Stücks iſt ihr ganzer Charakter benommen. Nicht Agathens Liebhaber, ſondern der Schützenkönig kömmt in die Wolfsſchlucht und ſingt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/279
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/279>, abgerufen am 12.05.2024.