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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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so merklich hervortreten machte, daß sie alle übrigen
überragte.

Zuletzt gab er mir noch, gleichsam als Beleg zu
seiner Charakterschilderung, eine Liste der bei mir
hauptsächlich hervorstehenden und gemeinschaftlich wir-
kenden Organe meines Schädels, die mir sein Urtheil
sehr wohl erklärten, die ich aber nicht ganz mitthei-
len mag, da man über sich selbst immer weislich noch
etwas zurückbehalten muß, wie die vertrauteste Dame
doch auch nicht alle Toilettengeheimnisse enthüllt. Oh-
nedieß kennst Du mich in mancher Hinsicht wahr-
scheinlich noch besser, als Deville, da Dir ein mäch-
tigerer Talisman dazu zu Gebote steht, als die
Cranologie -- ächte und wahre Liebe. Nur so viel
muß ich des Scherzes wegen anführen.

Organ des Wunderbaren, schwach -- weshalb
ein Gläubiger an mir verdorben ist, ohne deshalb
ein Schuldner werden zu müssen.

Idealität, sehr stark -- weshalb ich nie mit der
Gegenwart zufrieden bin.

Zablensinn, schwach -- weshalb ich sehr viel
Mühe habe, Einnahme und Ausgabe stets im richti-
gen Verhältniß zu erhalten, und überhaupt Adam
Rieß Rechenbuch nie geschrieben haben würde.

Zeitsinn ist auch schwach, weswegen ich gewöhn-
lich überall zu spät komme, als eine personifizirte
moutarde apres dine.

Eminentes Vergleichungsorgan. Wieder unglück-
lich für gläubigen und blinden Gehorsam.

ſo merklich hervortreten machte, daß ſie alle übrigen
überragte.

Zuletzt gab er mir noch, gleichſam als Beleg zu
ſeiner Charakterſchilderung, eine Liſte der bei mir
hauptſächlich hervorſtehenden und gemeinſchaftlich wir-
kenden Organe meines Schädels, die mir ſein Urtheil
ſehr wohl erklärten, die ich aber nicht ganz mitthei-
len mag, da man über ſich ſelbſt immer weislich noch
etwas zurückbehalten muß, wie die vertrauteſte Dame
doch auch nicht alle Toilettengeheimniſſe enthüllt. Oh-
nedieß kennſt Du mich in mancher Hinſicht wahr-
ſcheinlich noch beſſer, als Deville, da Dir ein mäch-
tigerer Talisman dazu zu Gebote ſteht, als die
Cranologie — ächte und wahre Liebe. Nur ſo viel
muß ich des Scherzes wegen anführen.

Organ des Wunderbaren, ſchwach — weshalb
ein Gläubiger an mir verdorben iſt, ohne deshalb
ein Schuldner werden zu müſſen.

Idealität, ſehr ſtark — weshalb ich nie mit der
Gegenwart zufrieden bin.

Zablenſinn, ſchwach — weshalb ich ſehr viel
Mühe habe, Einnahme und Ausgabe ſtets im richti-
gen Verhältniß zu erhalten, und überhaupt Adam
Rieß Rechenbuch nie geſchrieben haben würde.

Zeitſinn iſt auch ſchwach, weswegen ich gewöhn-
lich überall zu ſpät komme, als eine perſonifizirte
moutarde apres diné.

Eminentes Vergleichungsorgan. Wieder unglück-
lich für gläubigen und blinden Gehorſam.

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[87/0103] ſo merklich hervortreten machte, daß ſie alle übrigen überragte. Zuletzt gab er mir noch, gleichſam als Beleg zu ſeiner Charakterſchilderung, eine Liſte der bei mir hauptſächlich hervorſtehenden und gemeinſchaftlich wir- kenden Organe meines Schädels, die mir ſein Urtheil ſehr wohl erklärten, die ich aber nicht ganz mitthei- len mag, da man über ſich ſelbſt immer weislich noch etwas zurückbehalten muß, wie die vertrauteſte Dame doch auch nicht alle Toilettengeheimniſſe enthüllt. Oh- nedieß kennſt Du mich in mancher Hinſicht wahr- ſcheinlich noch beſſer, als Deville, da Dir ein mäch- tigerer Talisman dazu zu Gebote ſteht, als die Cranologie — ächte und wahre Liebe. Nur ſo viel muß ich des Scherzes wegen anführen. Organ des Wunderbaren, ſchwach — weshalb ein Gläubiger an mir verdorben iſt, ohne deshalb ein Schuldner werden zu müſſen. Idealität, ſehr ſtark — weshalb ich nie mit der Gegenwart zufrieden bin. Zablenſinn, ſchwach — weshalb ich ſehr viel Mühe habe, Einnahme und Ausgabe ſtets im richti- gen Verhältniß zu erhalten, und überhaupt Adam Rieß Rechenbuch nie geſchrieben haben würde. Zeitſinn iſt auch ſchwach, weswegen ich gewöhn- lich überall zu ſpät komme, als eine perſonifizirte moutarde apres diné. Eminentes Vergleichungsorgan. Wieder unglück- lich für gläubigen und blinden Gehorſam.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/103>, abgerufen am 27.04.2024.