Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

wünschen übrig lassen, und selbst das erreichte Glück,
wäre es überhaupt möglich, doch immer noch den
herben Gedanken mit sich führen müßte: Wie lange
wird es dauern? Drum sagt wohl Schiller: "Ernst
ist das Leben, heiter ist die Kunst." Also die Kunst
allein, die Gebilde der Phantasie gewähren eigentlich
das wahre Glück -- und darum laß uns, gute Julie,
immer ein wenig frohlocken, daß auch in uns eine rege,
bildende Phantasie lebt, die uns zuweilen Genüsse
schenkt, welche die Wirklichkeit nicht hat.

Soll ich mir gleich ein solches harmloses Fest bereiten,
und über das Meer zu Dir hinüberfliegen? -- Denn
gar zu lange schon waren wir getrennt!

Ach wie schön finde ich Alles! Es ist Frühling, die
Veilchen duften nach dem Gewitter bezaubernd süß,
Schwalben schwirren durch die Lüfte und gute kleine
Bachstelzen schwänzeln lustig am See. Hinter der
letzten schwarzen Wolke tritt eben in aller ihrer Pracht
die Sonne hervor, und zeichnet mit leuchtender Schrift
seltsame Charaktere auf die entfernten Berge. Die
alten Linden um uns glänzen wie Smaragd, bunte
Schmetterlinge versuchen zum erstenmal ihre leichten
Schwingen, und gaukeln wie trunken über den Na-
senteppich hin, Bienen summen emsig um tausendfache
Blüthen, und grüne Käfer glittern im Sonnenlicht.
Aus dem Abend aber erhebt sich ein prachtvoller Bo-
gen, spannt sich am blauen Himmel über das Schloß
hin, und versinkt jenseits im schwarzen Föhrenwald.
Da wird das freundliche, weiß gedeckte Tischchen mit
hellpolirtem Silber besetzt, herbeigebracht, und mitten

wünſchen übrig laſſen, und ſelbſt das erreichte Glück,
wäre es überhaupt möglich, doch immer noch den
herben Gedanken mit ſich führen müßte: Wie lange
wird es dauern? Drum ſagt wohl Schiller: „Ernſt
iſt das Leben, heiter iſt die Kunſt.“ Alſo die Kunſt
allein, die Gebilde der Phantaſie gewähren eigentlich
das wahre Glück — und darum laß uns, gute Julie,
immer ein wenig frohlocken, daß auch in uns eine rege,
bildende Phantaſie lebt, die uns zuweilen Genüſſe
ſchenkt, welche die Wirklichkeit nicht hat.

Soll ich mir gleich ein ſolches harmloſes Feſt bereiten,
und über das Meer zu Dir hinüberfliegen? — Denn
gar zu lange ſchon waren wir getrennt!

Ach wie ſchön finde ich Alles! Es iſt Frühling, die
Veilchen duften nach dem Gewitter bezaubernd ſüß,
Schwalben ſchwirren durch die Lüfte und gute kleine
Bachſtelzen ſchwänzeln luſtig am See. Hinter der
letzten ſchwarzen Wolke tritt eben in aller ihrer Pracht
die Sonne hervor, und zeichnet mit leuchtender Schrift
ſeltſame Charaktere auf die entfernten Berge. Die
alten Linden um uns glänzen wie Smaragd, bunte
Schmetterlinge verſuchen zum erſtenmal ihre leichten
Schwingen, und gaukeln wie trunken über den Na-
ſenteppich hin, Bienen ſummen emſig um tauſendfache
Blüthen, und grüne Käfer glittern im Sonnenlicht.
Aus dem Abend aber erhebt ſich ein prachtvoller Bo-
gen, ſpannt ſich am blauen Himmel über das Schloß
hin, und verſinkt jenſeits im ſchwarzen Föhrenwald.
Da wird das freundliche, weiß gedeckte Tiſchchen mit
hellpolirtem Silber beſetzt, herbeigebracht, und mitten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0459" n="413"/>
wün&#x017F;chen übrig la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;elb&#x017F;t das erreichte <hi rendition="#g">Glück</hi>,<lb/>
wäre es überhaupt möglich, doch immer noch <hi rendition="#g">den</hi><lb/>
herben Gedanken mit &#x017F;ich führen müßte: Wie lange<lb/>
wird es dauern? Drum &#x017F;agt wohl Schiller: &#x201E;Ern&#x017F;t<lb/>
i&#x017F;t das Leben, heiter i&#x017F;t die Kun&#x017F;t.&#x201C; Al&#x017F;o die Kun&#x017F;t<lb/>
allein, die Gebilde der Phanta&#x017F;ie gewähren eigentlich<lb/>
das wahre Glück &#x2014; und darum laß uns, gute Julie,<lb/>
immer ein wenig frohlocken, daß auch in uns eine rege,<lb/>
bildende Phanta&#x017F;ie lebt, die uns zuweilen Genü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chenkt, welche die Wirklichkeit nicht hat.</p><lb/>
          <p>Soll ich mir gleich ein &#x017F;olches harmlo&#x017F;es Fe&#x017F;t bereiten,<lb/>
und über das Meer zu Dir hinüberfliegen? &#x2014; Denn<lb/>
gar zu lange &#x017F;chon waren wir getrennt!</p><lb/>
          <p>Ach wie &#x017F;chön finde ich Alles! Es i&#x017F;t Frühling, die<lb/>
Veilchen duften nach dem Gewitter bezaubernd &#x017F;üß,<lb/>
Schwalben &#x017F;chwirren durch die Lüfte und gute kleine<lb/>
Bach&#x017F;telzen &#x017F;chwänzeln lu&#x017F;tig am See. Hinter der<lb/>
letzten &#x017F;chwarzen Wolke tritt eben in aller ihrer Pracht<lb/>
die Sonne hervor, und zeichnet mit leuchtender Schrift<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;ame Charaktere auf die entfernten Berge. Die<lb/>
alten Linden um uns glänzen wie Smaragd, bunte<lb/>
Schmetterlinge ver&#x017F;uchen zum er&#x017F;tenmal ihre leichten<lb/>
Schwingen, und gaukeln wie trunken über den Na-<lb/>
&#x017F;enteppich hin, Bienen &#x017F;ummen em&#x017F;ig um tau&#x017F;endfache<lb/>
Blüthen, und grüne Käfer glittern im Sonnenlicht.<lb/>
Aus dem Abend aber erhebt &#x017F;ich ein prachtvoller Bo-<lb/>
gen, &#x017F;pannt &#x017F;ich am blauen Himmel über das Schloß<lb/>
hin, und ver&#x017F;inkt jen&#x017F;eits im &#x017F;chwarzen Föhrenwald.<lb/>
Da wird das freundliche, weiß gedeckte Ti&#x017F;chchen mit<lb/>
hellpolirtem Silber be&#x017F;etzt, herbeigebracht, und mitten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0459] wünſchen übrig laſſen, und ſelbſt das erreichte Glück, wäre es überhaupt möglich, doch immer noch den herben Gedanken mit ſich führen müßte: Wie lange wird es dauern? Drum ſagt wohl Schiller: „Ernſt iſt das Leben, heiter iſt die Kunſt.“ Alſo die Kunſt allein, die Gebilde der Phantaſie gewähren eigentlich das wahre Glück — und darum laß uns, gute Julie, immer ein wenig frohlocken, daß auch in uns eine rege, bildende Phantaſie lebt, die uns zuweilen Genüſſe ſchenkt, welche die Wirklichkeit nicht hat. Soll ich mir gleich ein ſolches harmloſes Feſt bereiten, und über das Meer zu Dir hinüberfliegen? — Denn gar zu lange ſchon waren wir getrennt! Ach wie ſchön finde ich Alles! Es iſt Frühling, die Veilchen duften nach dem Gewitter bezaubernd ſüß, Schwalben ſchwirren durch die Lüfte und gute kleine Bachſtelzen ſchwänzeln luſtig am See. Hinter der letzten ſchwarzen Wolke tritt eben in aller ihrer Pracht die Sonne hervor, und zeichnet mit leuchtender Schrift ſeltſame Charaktere auf die entfernten Berge. Die alten Linden um uns glänzen wie Smaragd, bunte Schmetterlinge verſuchen zum erſtenmal ihre leichten Schwingen, und gaukeln wie trunken über den Na- ſenteppich hin, Bienen ſummen emſig um tauſendfache Blüthen, und grüne Käfer glittern im Sonnenlicht. Aus dem Abend aber erhebt ſich ein prachtvoller Bo- gen, ſpannt ſich am blauen Himmel über das Schloß hin, und verſinkt jenſeits im ſchwarzen Föhrenwald. Da wird das freundliche, weiß gedeckte Tiſchchen mit hellpolirtem Silber beſetzt, herbeigebracht, und mitten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/459
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/459>, abgerufen am 23.11.2024.