Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Secirmesser zu nahe käme (denn die Resurrection
men
müssen auch leben!) Die Gesetze schreiben bei
allen dergleichen Bestimmungen Verstorbener die scru-
pulöseste Genauigkeit vor, und wäre es noch so toll,
verstößt es nur nicht gegen diese Gesetze selbst, so
muß es ausgeführt werden. Es giebt ein Schloß in
England, wo seit einem halben Jahrhundert ein
Leichnam, wohl angezogen, am Fenster steht, und
sich ohne Störung noch immer sein einstiges Eigen-
thum besieht. Wie sehr muß dieser Mann die Häus-
lichkeit geliebt haben!

Eben als ich noch mehr englische Originalitäten an-
führen will, tritt mein lang ersehnter Garteninspek-
tor in die Stube, und bringt mir Deine Briefe. Wie
Schade, daß Du Dich nicht selbst (versteht sich mit
aller Deiner Fraicheur, und nicht wie Lord Hastings
Hand) in das große Paket mit einlegen konntest,
oder in einem zierlichen Kästchen wohnen, wie Gö-
the's lieblicher Erdgeist, damit ich Dich rufen möchte,
wenn ich Dich brauchte, und jeden Genuß auf fri-
scher That mit Dir theilen könnte, ohne eines so
langen Zwischenweges zu gebrauchen, wo Du erst
durch meine Briefe trübe gestimmt wirst, wenn ich
es vor 14 Tagen war, oder auf Freudiges Deine
lustige Antwort ankömmt, wenn ich schon wieder am
stärksten Spleen-Anfall laborire. Wie Du sehr rich-
tig sagst, ist wirklich ein solcher alter Brief oft einem
todten Leichnam zu vergleichen, der, längst verges-
sen, wieder aus dem Meere gefischt wird.

Secirmeſſer zu nahe käme (denn die Resurrection
men
müſſen auch leben!) Die Geſetze ſchreiben bei
allen dergleichen Beſtimmungen Verſtorbener die ſcru-
pulöſeſte Genauigkeit vor, und wäre es noch ſo toll,
verſtößt es nur nicht gegen dieſe Geſetze ſelbſt, ſo
muß es ausgeführt werden. Es giebt ein Schloß in
England, wo ſeit einem halben Jahrhundert ein
Leichnam, wohl angezogen, am Fenſter ſteht, und
ſich ohne Störung noch immer ſein einſtiges Eigen-
thum beſieht. Wie ſehr muß dieſer Mann die Häus-
lichkeit geliebt haben!

Eben als ich noch mehr engliſche Originalitäten an-
führen will, tritt mein lang erſehnter Garteninſpek-
tor in die Stube, und bringt mir Deine Briefe. Wie
Schade, daß Du Dich nicht ſelbſt (verſteht ſich mit
aller Deiner Fraicheur, und nicht wie Lord Haſtings
Hand) in das große Paket mit einlegen konnteſt,
oder in einem zierlichen Käſtchen wohnen, wie Gö-
the’s lieblicher Erdgeiſt, damit ich Dich rufen möchte,
wenn ich Dich brauchte, und jeden Genuß auf fri-
ſcher That mit Dir theilen könnte, ohne eines ſo
langen Zwiſchenweges zu gebrauchen, wo Du erſt
durch meine Briefe trübe geſtimmt wirſt, wenn ich
es vor 14 Tagen war, oder auf Freudiges Deine
luſtige Antwort ankömmt, wenn ich ſchon wieder am
ſtärkſten Spleen-Anfall laborire. Wie Du ſehr rich-
tig ſagſt, iſt wirklich ein ſolcher alter Brief oft einem
todten Leichnam zu vergleichen, der, längſt vergeſ-
ſen, wieder aus dem Meere gefiſcht wird.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="192"/>
Secirme&#x017F;&#x017F;er zu nahe käme (denn die <hi rendition="#aq">Resurrection<lb/>
men</hi>&#x017F;&#x017F;en auch leben!) Die Ge&#x017F;etze &#x017F;chreiben bei<lb/>
allen dergleichen Be&#x017F;timmungen Ver&#x017F;torbener die &#x017F;cru-<lb/>
pulö&#x017F;e&#x017F;te Genauigkeit vor, und wäre es noch &#x017F;o toll,<lb/>
ver&#x017F;tößt es nur nicht gegen die&#x017F;e Ge&#x017F;etze &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
muß es ausgeführt werden. Es giebt ein Schloß in<lb/>
England, wo &#x017F;eit einem halben Jahrhundert ein<lb/>
Leichnam, wohl angezogen, am Fen&#x017F;ter &#x017F;teht, und<lb/>
&#x017F;ich ohne Störung noch immer &#x017F;ein ein&#x017F;tiges Eigen-<lb/>
thum be&#x017F;ieht. Wie &#x017F;ehr muß die&#x017F;er Mann die Häus-<lb/>
lichkeit geliebt haben!</p><lb/>
          <p>Eben als ich noch mehr engli&#x017F;che Originalitäten an-<lb/>
führen will, tritt mein lang er&#x017F;ehnter Gartenin&#x017F;pek-<lb/>
tor in die Stube, und bringt mir Deine Briefe. Wie<lb/>
Schade, daß Du Dich nicht &#x017F;elb&#x017F;t (ver&#x017F;teht &#x017F;ich mit<lb/>
aller Deiner Fraicheur, und nicht wie Lord Ha&#x017F;tings<lb/>
Hand) in das große Paket mit einlegen konnte&#x017F;t,<lb/>
oder in einem zierlichen Kä&#x017F;tchen wohnen, wie Gö-<lb/>
the&#x2019;s lieblicher Erdgei&#x017F;t, damit ich Dich rufen möchte,<lb/>
wenn ich Dich brauchte, und jeden Genuß auf fri-<lb/>
&#x017F;cher That mit Dir theilen könnte, ohne eines &#x017F;o<lb/>
langen Zwi&#x017F;chenweges zu gebrauchen, wo <hi rendition="#g">Du</hi> er&#x017F;t<lb/>
durch meine Briefe trübe ge&#x017F;timmt wir&#x017F;t, wenn ich<lb/>
es vor 14 Tagen war, oder auf Freudiges Deine<lb/>
lu&#x017F;tige Antwort ankömmt, wenn ich &#x017F;chon wieder am<lb/>
&#x017F;tärk&#x017F;ten Spleen-Anfall laborire. Wie Du &#x017F;ehr rich-<lb/>
tig &#x017F;ag&#x017F;t, i&#x017F;t wirklich ein &#x017F;olcher alter Brief oft einem<lb/>
todten Leichnam zu vergleichen, der, läng&#x017F;t verge&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, wieder aus dem Meere gefi&#x017F;cht wird.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0236] Secirmeſſer zu nahe käme (denn die Resurrection men müſſen auch leben!) Die Geſetze ſchreiben bei allen dergleichen Beſtimmungen Verſtorbener die ſcru- pulöſeſte Genauigkeit vor, und wäre es noch ſo toll, verſtößt es nur nicht gegen dieſe Geſetze ſelbſt, ſo muß es ausgeführt werden. Es giebt ein Schloß in England, wo ſeit einem halben Jahrhundert ein Leichnam, wohl angezogen, am Fenſter ſteht, und ſich ohne Störung noch immer ſein einſtiges Eigen- thum beſieht. Wie ſehr muß dieſer Mann die Häus- lichkeit geliebt haben! Eben als ich noch mehr engliſche Originalitäten an- führen will, tritt mein lang erſehnter Garteninſpek- tor in die Stube, und bringt mir Deine Briefe. Wie Schade, daß Du Dich nicht ſelbſt (verſteht ſich mit aller Deiner Fraicheur, und nicht wie Lord Haſtings Hand) in das große Paket mit einlegen konnteſt, oder in einem zierlichen Käſtchen wohnen, wie Gö- the’s lieblicher Erdgeiſt, damit ich Dich rufen möchte, wenn ich Dich brauchte, und jeden Genuß auf fri- ſcher That mit Dir theilen könnte, ohne eines ſo langen Zwiſchenweges zu gebrauchen, wo Du erſt durch meine Briefe trübe geſtimmt wirſt, wenn ich es vor 14 Tagen war, oder auf Freudiges Deine luſtige Antwort ankömmt, wenn ich ſchon wieder am ſtärkſten Spleen-Anfall laborire. Wie Du ſehr rich- tig ſagſt, iſt wirklich ein ſolcher alter Brief oft einem todten Leichnam zu vergleichen, der, längſt vergeſ- ſen, wieder aus dem Meere gefiſcht wird.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/236
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/236>, abgerufen am 06.05.2024.