Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

ger sich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen
keineswegs unterbrechen lassen, sondern comme si
de rien n'etait
ruhig fort deklamiren, oder mit der
Stimme wirbeln. Und solches fällt nicht ein-
mal, nein zwanzigmal während einer Vorstellung
vor, und belustigt Manche mehr als diese. Es ist
auch nichts Seitnes, daß Jemand die Reste seines
Goutes, welches nicht immer aus Orangenschaalen
besteht, ohne weiteres auf die Köpfe der Zuschauer
ins Parterre wirft, oder künstlich in eine Loge ab-
schießt, während Andere ihre Röcke und Westen über
den dritten Rang-Logen aushängen, und in Hemd-
ärmeln sitzen bleiben, kurz Alles, was bei dem be-
rühmten Wisotzky in Berlin unter den Handwerks-
burschen, zur bessern Aufregung einer phlegmatischen
Harmonie-Gesellschaft vorfallen soll, trifft man auch
in Großbritanniens Nationaltheater an.

Ein zweiter Grund, der anständige Familien ab-
halten muß, sich hier sehen zu lassen, ist die Con-
currenz mehrerer hundert Freudenmädchen, welche,
von der unterhaltenden Dame an, die 6000 £. St.
jährlich verzehrt und ihre eigne Loge hat, bis zu de-
nen, die auf der Straße unter freiem Himmel bivoua-
kiren, in allen Gradationen erscheinen, und in den
Zwischenakten die großen und ziemlich reich verzierten
Foyers anfüllen, wo sie alle ihre Effronterie schran-
kenlos zur Schau tragen.

Es ist sonderbar, daß diese Verhältnisse in keinem
Lande der Erde schamloser öffentlich affichirt werden,

9*

ger ſich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen
keineswegs unterbrechen laſſen, ſondern comme si
de rien n’était
ruhig fort deklamiren, oder mit der
Stimme wirbeln. Und ſolches fällt nicht ein-
mal, nein zwanzigmal während einer Vorſtellung
vor, und beluſtigt Manche mehr als dieſe. Es iſt
auch nichts Seitnes, daß Jemand die Reſte ſeines
Goutés, welches nicht immer aus Orangenſchaalen
beſteht, ohne weiteres auf die Köpfe der Zuſchauer
ins Parterre wirft, oder künſtlich in eine Loge ab-
ſchießt, während Andere ihre Röcke und Weſten über
den dritten Rang-Logen aushängen, und in Hemd-
ärmeln ſitzen bleiben, kurz Alles, was bei dem be-
rühmten Wiſotzky in Berlin unter den Handwerks-
burſchen, zur beſſern Aufregung einer phlegmatiſchen
Harmonie-Geſellſchaft vorfallen ſoll, trifft man auch
in Großbritanniens Nationaltheater an.

Ein zweiter Grund, der anſtändige Familien ab-
halten muß, ſich hier ſehen zu laſſen, iſt die Con-
currenz mehrerer hundert Freudenmädchen, welche,
von der unterhaltenden Dame an, die 6000 £. St.
jährlich verzehrt und ihre eigne Loge hat, bis zu de-
nen, die auf der Straße unter freiem Himmel bivoua-
kiren, in allen Gradationen erſcheinen, und in den
Zwiſchenakten die großen und ziemlich reich verzierten
Foyers anfüllen, wo ſie alle ihre Effronterie ſchran-
kenlos zur Schau tragen.

Es iſt ſonderbar, daß dieſe Verhältniſſe in keinem
Lande der Erde ſchamloſer öffentlich affichirt werden,

9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="131"/>
ger &#x017F;ich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen<lb/>
keineswegs unterbrechen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern <hi rendition="#aq">comme si<lb/>
de rien n&#x2019;était</hi> ruhig fort deklamiren, oder mit der<lb/>
Stimme wirbeln. Und &#x017F;olches fällt nicht <hi rendition="#g">ein</hi>-<lb/>
mal, nein zwanzigmal während einer Vor&#x017F;tellung<lb/>
vor, und belu&#x017F;tigt Manche mehr als die&#x017F;e. Es i&#x017F;t<lb/>
auch nichts Seitnes, daß Jemand die Re&#x017F;te &#x017F;eines<lb/>
Gout<hi rendition="#aq">é</hi>s, welches nicht immer aus Orangen&#x017F;chaalen<lb/>
be&#x017F;teht, ohne weiteres auf die Köpfe der Zu&#x017F;chauer<lb/>
ins Parterre wirft, oder kün&#x017F;tlich in eine Loge ab-<lb/>
&#x017F;chießt, während Andere ihre Röcke und We&#x017F;ten über<lb/>
den dritten Rang-Logen aushängen, und in Hemd-<lb/>
ärmeln &#x017F;itzen bleiben, kurz Alles, was bei dem be-<lb/>
rühmten Wi&#x017F;otzky in Berlin unter den Handwerks-<lb/>
bur&#x017F;chen, zur be&#x017F;&#x017F;ern Aufregung einer phlegmati&#x017F;chen<lb/>
Harmonie-Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft vorfallen &#x017F;oll, trifft man auch<lb/>
in Großbritanniens Nationaltheater an.</p><lb/>
          <p>Ein zweiter Grund, der an&#x017F;tändige Familien ab-<lb/>
halten muß, &#x017F;ich hier &#x017F;ehen zu la&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t die Con-<lb/>
currenz mehrerer hundert Freudenmädchen, welche,<lb/>
von der unterhaltenden Dame an, die 6000 £. St.<lb/>
jährlich verzehrt und ihre eigne Loge hat, bis zu de-<lb/>
nen, die auf der Straße unter freiem Himmel bivoua-<lb/>
kiren, in allen Gradationen er&#x017F;cheinen, und in den<lb/>
Zwi&#x017F;chenakten die großen und ziemlich reich verzierten<lb/>
Foyers anfüllen, wo &#x017F;ie alle ihre Effronterie &#x017F;chran-<lb/>
kenlos zur Schau tragen.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t &#x017F;onderbar, daß die&#x017F;e Verhältni&#x017F;&#x017F;e in keinem<lb/>
Lande der Erde &#x017F;chamlo&#x017F;er öffentlich affichirt werden,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0171] ger ſich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen keineswegs unterbrechen laſſen, ſondern comme si de rien n’était ruhig fort deklamiren, oder mit der Stimme wirbeln. Und ſolches fällt nicht ein- mal, nein zwanzigmal während einer Vorſtellung vor, und beluſtigt Manche mehr als dieſe. Es iſt auch nichts Seitnes, daß Jemand die Reſte ſeines Goutés, welches nicht immer aus Orangenſchaalen beſteht, ohne weiteres auf die Köpfe der Zuſchauer ins Parterre wirft, oder künſtlich in eine Loge ab- ſchießt, während Andere ihre Röcke und Weſten über den dritten Rang-Logen aushängen, und in Hemd- ärmeln ſitzen bleiben, kurz Alles, was bei dem be- rühmten Wiſotzky in Berlin unter den Handwerks- burſchen, zur beſſern Aufregung einer phlegmatiſchen Harmonie-Geſellſchaft vorfallen ſoll, trifft man auch in Großbritanniens Nationaltheater an. Ein zweiter Grund, der anſtändige Familien ab- halten muß, ſich hier ſehen zu laſſen, iſt die Con- currenz mehrerer hundert Freudenmädchen, welche, von der unterhaltenden Dame an, die 6000 £. St. jährlich verzehrt und ihre eigne Loge hat, bis zu de- nen, die auf der Straße unter freiem Himmel bivoua- kiren, in allen Gradationen erſcheinen, und in den Zwiſchenakten die großen und ziemlich reich verzierten Foyers anfüllen, wo ſie alle ihre Effronterie ſchran- kenlos zur Schau tragen. Es iſt ſonderbar, daß dieſe Verhältniſſe in keinem Lande der Erde ſchamloſer öffentlich affichirt werden, 9*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/171
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/171>, abgerufen am 02.05.2024.