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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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der katholischen Kirche vermocht wurde. Er war, wie
er mir selbst sagte, ein eben so eifriger Protestant,
als Orangemann, und ging eines Tags, in Dublin,
in die katholische Kirche, mehr um sich über die dort
statt findenden Ceremonien lustig zu machen, als aus
einem andern Grunde. Dennoch rührte ihn wider
Willen die schöne Musik, und als er jetzt den Blick
auf den Hochaltar zurückwarf, siehe -- da stand der
Erlöser selbst leibhaftig vor ihm, mit Engelsmilde
das Auge fest auf ihn gerichtet, lächelte ihn freund-
lich an, winkte mit der Hand, und schwebte dann
langsam ihn fortwährend fest anblickend, zur Kuppel
empor, bis er dort, von Engeln getragen, verschwand.
Von diesem Augenblick an war B ..... überzeugt,
ein besonderer Liebling Gottes zu seyn, und wenige
Tage darauf trat er zu einer andern alleinseligma-
chenden Kirche über (denn die orthodoxe englisch pro-
testantische glaubt dieses Privilegium auch zu be-
sitzen). Wie philosophisch urtheilten meine gläubigen
Freunde über diese Bekehrung! Ist es möglich, rie-
fen sie, welcher crasse Aberglaube! gewiß, das war
entweder eine Fieberphantasie oder der Mensch ist ein
Heuchler und hatte andere Gründe; entweder ist er
toll, oder er erfand das Mährchen nur zu seinem
Vortheil.

O Menschen, Menschen! wie recht hat Christus,
wenn er sagt: Ihr seht den Splitter im fremden
Auge, und den Balken im eignen nicht! Gewiß, es
geht uns Allen so, mehr oder weniger, und ich neh-

der katholiſchen Kirche vermocht wurde. Er war, wie
er mir ſelbſt ſagte, ein eben ſo eifriger Proteſtant,
als Orangemann, und ging eines Tags, in Dublin,
in die katholiſche Kirche, mehr um ſich über die dort
ſtatt findenden Ceremonien luſtig zu machen, als aus
einem andern Grunde. Dennoch rührte ihn wider
Willen die ſchöne Muſik, und als er jetzt den Blick
auf den Hochaltar zurückwarf, ſiehe — da ſtand der
Erlöſer ſelbſt leibhaftig vor ihm, mit Engelsmilde
das Auge feſt auf ihn gerichtet, lächelte ihn freund-
lich an, winkte mit der Hand, und ſchwebte dann
langſam ihn fortwährend feſt anblickend, zur Kuppel
empor, bis er dort, von Engeln getragen, verſchwand.
Von dieſem Augenblick an war B ..... überzeugt,
ein beſonderer Liebling Gottes zu ſeyn, und wenige
Tage darauf trat er zu einer andern alleinſeligma-
chenden Kirche über (denn die orthodoxe engliſch pro-
teſtantiſche glaubt dieſes Privilegium auch zu be-
ſitzen). Wie philoſophiſch urtheilten meine gläubigen
Freunde über dieſe Bekehrung! Iſt es möglich, rie-
fen ſie, welcher craſſe Aberglaube! gewiß, das war
entweder eine Fieberphantaſie oder der Menſch iſt ein
Heuchler und hatte andere Gründe; entweder iſt er
toll, oder er erfand das Mährchen nur zu ſeinem
Vortheil.

O Menſchen, Menſchen! wie recht hat Chriſtus,
wenn er ſagt: Ihr ſeht den Splitter im fremden
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[56/0078] der katholiſchen Kirche vermocht wurde. Er war, wie er mir ſelbſt ſagte, ein eben ſo eifriger Proteſtant, als Orangemann, und ging eines Tags, in Dublin, in die katholiſche Kirche, mehr um ſich über die dort ſtatt findenden Ceremonien luſtig zu machen, als aus einem andern Grunde. Dennoch rührte ihn wider Willen die ſchöne Muſik, und als er jetzt den Blick auf den Hochaltar zurückwarf, ſiehe — da ſtand der Erlöſer ſelbſt leibhaftig vor ihm, mit Engelsmilde das Auge feſt auf ihn gerichtet, lächelte ihn freund- lich an, winkte mit der Hand, und ſchwebte dann langſam ihn fortwährend feſt anblickend, zur Kuppel empor, bis er dort, von Engeln getragen, verſchwand. Von dieſem Augenblick an war B ..... überzeugt, ein beſonderer Liebling Gottes zu ſeyn, und wenige Tage darauf trat er zu einer andern alleinſeligma- chenden Kirche über (denn die orthodoxe engliſch pro- teſtantiſche glaubt dieſes Privilegium auch zu be- ſitzen). Wie philoſophiſch urtheilten meine gläubigen Freunde über dieſe Bekehrung! Iſt es möglich, rie- fen ſie, welcher craſſe Aberglaube! gewiß, das war entweder eine Fieberphantaſie oder der Menſch iſt ein Heuchler und hatte andere Gründe; entweder iſt er toll, oder er erfand das Mährchen nur zu ſeinem Vortheil. O Menſchen, Menſchen! wie recht hat Chriſtus, wenn er ſagt: Ihr ſeht den Splitter im fremden Auge, und den Balken im eignen nicht! Gewiß, es geht uns Allen ſo, mehr oder weniger, und ich neh-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/78>, abgerufen am 30.04.2024.