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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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diger Laye, mich für ihre Versöhnung bemühen mußte.
Dieser Streit entspann sich darüber, ob bei der er-
wähnten Catastrophe die Menschen sofort gerichtet
und dann verbrannt, oder erst verbrannt und dann
gerichtet werden würden. Die Tochter fragte entrüstet
(et je vous jure que je ne brode pas), ob unser Hei-
land, wenn er käme, mit dem Richten erst warten
solle bis die Welt verbrannt sey? es stünde deutlich
in der Schrift: daß er kommen würde zu richten über
die Lebenden und die Todten, was nicht möglich
sey, wenn vorher Alle schon verbrannt worden wären!
Die Welt würde also offenbar erst nachher, wenn Alle
gerichtet wären, verbrannt. Die Mutter erklärte dies,
eben so heftig, als einen wahren nonsense, Menschen
müßten nothwendig erst sterben, ehe sie selig oder
verdammt werden könnten, und die angeführte Stelle
bezöge sich, wo sie von Lebenden und Todten spräche,
nur, eines Theils auf die, welche bei der Ankunft des
Feuers noch lebten, und andrerseits auf die, schon
längst vorher im Grabe Liegenden. Sie blieb also
dabei: erst verbrannt und dann gerichtet! Beide
wünschten nun meine Meinung zu wissen, um sich,
durch meinen Beitritt, im Kampfe zu verstärken. Ich
wagte zu antworten: daß ich in diesen Details nicht
allzugut bewandert wäre, und daß mir ihr Streit fast
so vorkäme, als der, bei Madame du Deffant, über
den heiligen Dionysius: ob dieser nämlich eine, oder
sechs Meilen ohne Kopf gegangen sey? worauf Frau
von Deffant bekanntlich entschied: dans ces sortes de
choses, il n'y a que le premier pas qui coute.

diger Laye, mich für ihre Verſöhnung bemühen mußte.
Dieſer Streit entſpann ſich darüber, ob bei der er-
wähnten Cataſtrophe die Menſchen ſofort gerichtet
und dann verbrannt, oder erſt verbrannt und dann
gerichtet werden würden. Die Tochter fragte entrüſtet
(et je vous jure que je ne brode pas), ob unſer Hei-
land, wenn er käme, mit dem Richten erſt warten
ſolle bis die Welt verbrannt ſey? es ſtünde deutlich
in der Schrift: daß er kommen würde zu richten über
die Lebenden und die Todten, was nicht möglich
ſey, wenn vorher Alle ſchon verbrannt worden wären!
Die Welt würde alſo offenbar erſt nachher, wenn Alle
gerichtet wären, verbrannt. Die Mutter erklärte dies,
eben ſo heftig, als einen wahren nonsense, Menſchen
müßten nothwendig erſt ſterben, ehe ſie ſelig oder
verdammt werden könnten, und die angeführte Stelle
bezöge ſich, wo ſie von Lebenden und Todten ſpräche,
nur, eines Theils auf die, welche bei der Ankunft des
Feuers noch lebten, und andrerſeits auf die, ſchon
längſt vorher im Grabe Liegenden. Sie blieb alſo
dabei: erſt verbrannt und dann gerichtet! Beide
wünſchten nun meine Meinung zu wiſſen, um ſich,
durch meinen Beitritt, im Kampfe zu verſtärken. Ich
wagte zu antworten: daß ich in dieſen Details nicht
allzugut bewandert wäre, und daß mir ihr Streit faſt
ſo vorkäme, als der, bei Madame du Déffant, über
den heiligen Dionyſius: ob dieſer nämlich eine, oder
ſechs Meilen ohne Kopf gegangen ſey? worauf Frau
von Deffant bekanntlich entſchied: dans ces sortes de
choses, il n’y a que le premier pas qui coute.

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[36/0058] diger Laye, mich für ihre Verſöhnung bemühen mußte. Dieſer Streit entſpann ſich darüber, ob bei der er- wähnten Cataſtrophe die Menſchen ſofort gerichtet und dann verbrannt, oder erſt verbrannt und dann gerichtet werden würden. Die Tochter fragte entrüſtet (et je vous jure que je ne brode pas), ob unſer Hei- land, wenn er käme, mit dem Richten erſt warten ſolle bis die Welt verbrannt ſey? es ſtünde deutlich in der Schrift: daß er kommen würde zu richten über die Lebenden und die Todten, was nicht möglich ſey, wenn vorher Alle ſchon verbrannt worden wären! Die Welt würde alſo offenbar erſt nachher, wenn Alle gerichtet wären, verbrannt. Die Mutter erklärte dies, eben ſo heftig, als einen wahren nonsense, Menſchen müßten nothwendig erſt ſterben, ehe ſie ſelig oder verdammt werden könnten, und die angeführte Stelle bezöge ſich, wo ſie von Lebenden und Todten ſpräche, nur, eines Theils auf die, welche bei der Ankunft des Feuers noch lebten, und andrerſeits auf die, ſchon längſt vorher im Grabe Liegenden. Sie blieb alſo dabei: erſt verbrannt und dann gerichtet! Beide wünſchten nun meine Meinung zu wiſſen, um ſich, durch meinen Beitritt, im Kampfe zu verſtärken. Ich wagte zu antworten: daß ich in dieſen Details nicht allzugut bewandert wäre, und daß mir ihr Streit faſt ſo vorkäme, als der, bei Madame du Déffant, über den heiligen Dionyſius: ob dieſer nämlich eine, oder ſechs Meilen ohne Kopf gegangen ſey? worauf Frau von Deffant bekanntlich entſchied: dans ces sortes de choses, il n’y a que le premier pas qui coute.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/58>, abgerufen am 25.11.2024.