Madame Mallibran Garcia (man gab Ceneren- tola) erreicht in dieser Rolle, meines Erachtens, die Sontag nicht; sie hat aber einen ihr eignen genre, der immer mehr anzieht, je länger man ihn hört, und ich zweifle nicht, daß auch sie Rollen hat, in denen ihr die Palme vor allen andern gebühren würde. Sie hat einen Amerikaner geheirathet, und auch ihr Gesangstyl kam mir ganz amerikanisch vor, d. h. frei, kühn und republikanisch, während die Pasta, wie ein Aristokrat, oder gar ein Autokrat, despotisch mit sich fortreißt, und die Sontag schmel- zend und mezza voce, wie im himmlischen Reiche, flötet. Der Tenor Bordogni hatte die schwere Auf- gabe ohne Stimme zu singen, und er that unter die- sen Umständen was er vermochte; Zuchelli war, wie immer, vortrefflich, und Santini sein würdiger Rival. Spiel und Gesang hatten überhaupt, fast durchgängig, Leben, Kraft und Grazie, mehr als auf andern ausländisch-italienischen Bühnen.
Als ich in mein Hotel zurückkam, wurde ich mit einer der Pariser Annehmlichkeiten überrascht, die doch einer solchen Stadt wahrhaft zur Schande ge- reichen. Ich glaubte, obgleich mein Hotel ein ange- sehenes ist, und im belebtesten Stadttheile liegt, in eine Cloake gerathen zu seyn, denn man hatte eben das Ausräumen gewisser Fundgruben begonnen, mit welcher Operation die Häuser hier zweimal des Jah- res verpestet werden.
Madame Mallibran Garcia (man gab Ceneren- tola) erreicht in dieſer Rolle, meines Erachtens, die Sontag nicht; ſie hat aber einen ihr eignen genre, der immer mehr anzieht, je länger man ihn hört, und ich zweifle nicht, daß auch ſie Rollen hat, in denen ihr die Palme vor allen andern gebühren würde. Sie hat einen Amerikaner geheirathet, und auch ihr Geſangſtyl kam mir ganz amerikaniſch vor, d. h. frei, kühn und republikaniſch, während die Paſta, wie ein Ariſtokrat, oder gar ein Autokrat, despotiſch mit ſich fortreißt, und die Sontag ſchmel- zend und mezza voce, wie im himmliſchen Reiche, flötet. Der Tenor Bordogni hatte die ſchwere Auf- gabe ohne Stimme zu ſingen, und er that unter die- ſen Umſtänden was er vermochte; Zuchelli war, wie immer, vortrefflich, und Santini ſein würdiger Rival. Spiel und Geſang hatten überhaupt, faſt durchgängig, Leben, Kraft und Grazie, mehr als auf andern ausländiſch-italieniſchen Bühnen.
Als ich in mein Hotel zurückkam, wurde ich mit einer der Pariſer Annehmlichkeiten überraſcht, die doch einer ſolchen Stadt wahrhaft zur Schande ge- reichen. Ich glaubte, obgleich mein Hotel ein ange- ſehenes iſt, und im belebteſten Stadttheile liegt, in eine Cloake gerathen zu ſeyn, denn man hatte eben das Ausräumen gewiſſer Fundgruben begonnen, mit welcher Operation die Häuſer hier zweimal des Jah- res verpeſtet werden.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0408"n="386"/><p>Madame Mallibran Garcia (man gab Ceneren-<lb/>
tola) erreicht in dieſer Rolle, meines Erachtens, die<lb/>
Sontag nicht; ſie hat aber einen ihr eignen <hirendition="#aq">genre,</hi><lb/>
der immer mehr anzieht, je länger man ihn hört,<lb/>
und ich zweifle nicht, daß auch ſie Rollen hat, in<lb/>
denen ihr die Palme vor allen andern gebühren<lb/>
würde. Sie hat einen Amerikaner geheirathet, und<lb/>
auch ihr Geſangſtyl kam mir ganz amerikaniſch vor,<lb/>
d. h. frei, kühn und republikaniſch, während die<lb/>
Paſta, wie ein Ariſtokrat, oder gar ein Autokrat,<lb/>
despotiſch mit ſich fortreißt, und die Sontag ſchmel-<lb/>
zend und <hirendition="#aq">mezza voce,</hi> wie im himmliſchen Reiche,<lb/>
flötet. Der Tenor Bordogni hatte die ſchwere Auf-<lb/>
gabe ohne Stimme zu ſingen, und er that unter die-<lb/>ſen Umſtänden was er vermochte; Zuchelli war, wie<lb/>
immer, vortrefflich, und Santini ſein würdiger<lb/>
Rival. Spiel und Geſang hatten überhaupt, faſt<lb/>
durchgängig, Leben, Kraft und Grazie, mehr als<lb/>
auf andern ausländiſch-italieniſchen Bühnen.</p><lb/><p>Als ich in mein Hotel zurückkam, wurde ich mit<lb/>
einer der Pariſer Annehmlichkeiten überraſcht, die<lb/>
doch einer ſolchen Stadt wahrhaft zur Schande ge-<lb/>
reichen. Ich glaubte, obgleich mein Hotel ein ange-<lb/>ſehenes iſt, und im belebteſten Stadttheile liegt, in<lb/>
eine Cloake gerathen zu ſeyn, denn man hatte eben<lb/>
das Ausräumen gewiſſer Fundgruben begonnen, mit<lb/>
welcher Operation die Häuſer hier zweimal des Jah-<lb/>
res verpeſtet werden.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[386/0408]
Madame Mallibran Garcia (man gab Ceneren-
tola) erreicht in dieſer Rolle, meines Erachtens, die
Sontag nicht; ſie hat aber einen ihr eignen genre,
der immer mehr anzieht, je länger man ihn hört,
und ich zweifle nicht, daß auch ſie Rollen hat, in
denen ihr die Palme vor allen andern gebühren
würde. Sie hat einen Amerikaner geheirathet, und
auch ihr Geſangſtyl kam mir ganz amerikaniſch vor,
d. h. frei, kühn und republikaniſch, während die
Paſta, wie ein Ariſtokrat, oder gar ein Autokrat,
despotiſch mit ſich fortreißt, und die Sontag ſchmel-
zend und mezza voce, wie im himmliſchen Reiche,
flötet. Der Tenor Bordogni hatte die ſchwere Auf-
gabe ohne Stimme zu ſingen, und er that unter die-
ſen Umſtänden was er vermochte; Zuchelli war, wie
immer, vortrefflich, und Santini ſein würdiger
Rival. Spiel und Geſang hatten überhaupt, faſt
durchgängig, Leben, Kraft und Grazie, mehr als
auf andern ausländiſch-italieniſchen Bühnen.
Als ich in mein Hotel zurückkam, wurde ich mit
einer der Pariſer Annehmlichkeiten überraſcht, die
doch einer ſolchen Stadt wahrhaft zur Schande ge-
reichen. Ich glaubte, obgleich mein Hotel ein ange-
ſehenes iſt, und im belebteſten Stadttheile liegt, in
eine Cloake gerathen zu ſeyn, denn man hatte eben
das Ausräumen gewiſſer Fundgruben begonnen, mit
welcher Operation die Häuſer hier zweimal des Jah-
res verpeſtet werden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/408>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.