am Ende selbst zu halbem Vieh werden. Ich spreche von den ganz sinnlosen Schauspielen, die hier darge- stellt werden -- die einzelnen equilibristischen Uebun- gen sind dagegen oft recht sehenswerth. Besonders erfreute mich der Seilschwinger, Diavolo betitelt, der gewiß alle seine Mitbewerber so sehr überflügelt, als Vestris einst seine Collegen. Eine schönere Gestalt, größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere Grazie scheinen in dieser Art kaum denkbar. Er ist der fliegende Merkur, der von Neuem eine mensch- liche Form angenommen hat; die Luft scheint sein wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel, um sich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi- ren. Im wildesten Schwunge sieht man ihn, haus- hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem classischen Anstand einer Antike vorüberschweben, und gleich darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten, und den Beinen nach oben, ein entrechat in den Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er sich wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig- keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden sich in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei- nem Fuß daran hängend umherschwenken kann, ver- steht sich von selbst. Er verdient seinen Namen durch die That. Je Diavolo non puo far meglio.
Briefe eines Verstorbenen. II. 25
am Ende ſelbſt zu halbem Vieh werden. Ich ſpreche von den ganz ſinnloſen Schauſpielen, die hier darge- ſtellt werden — die einzelnen equilibriſtiſchen Uebun- gen ſind dagegen oft recht ſehenswerth. Beſonders erfreute mich der Seilſchwinger, Diavolo betitelt, der gewiß alle ſeine Mitbewerber ſo ſehr überflügelt, als Vestris einſt ſeine Collegen. Eine ſchönere Geſtalt, größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere Grazie ſcheinen in dieſer Art kaum denkbar. Er iſt der fliegende Merkur, der von Neuem eine menſch- liche Form angenommen hat; die Luft ſcheint ſein wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel, um ſich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi- ren. Im wildeſten Schwunge ſieht man ihn, haus- hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem claſſiſchen Anſtand einer Antike vorüberſchweben, und gleich darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten, und den Beinen nach oben, ein entrechat in den Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er ſich wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig- keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden ſich in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei- nem Fuß daran hängend umherſchwenken kann, ver- ſteht ſich von ſelbſt. Er verdient ſeinen Namen durch die That. Je Diavolo non puo far meglio.
Briefe eines Verſtorbenen. II. 25
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0405"n="383"/>
am Ende ſelbſt zu halbem Vieh werden. Ich ſpreche<lb/>
von den ganz ſinnloſen Schauſpielen, die hier darge-<lb/>ſtellt werden — die einzelnen equilibriſtiſchen Uebun-<lb/>
gen ſind dagegen oft recht ſehenswerth. Beſonders<lb/>
erfreute mich der Seilſchwinger, Diavolo betitelt, der<lb/>
gewiß alle ſeine Mitbewerber ſo ſehr überflügelt, als<lb/>
Vestris einſt ſeine Collegen. Eine ſchönere Geſtalt,<lb/>
größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere<lb/>
Grazie ſcheinen in dieſer Art kaum denkbar. Er iſt<lb/>
der fliegende Merkur, der von Neuem eine menſch-<lb/>
liche Form angenommen hat; die Luft ſcheint ſein<lb/>
wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel,<lb/>
um ſich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi-<lb/>
ren. Im wildeſten Schwunge ſieht man ihn, haus-<lb/>
hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile<lb/>
liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem claſſiſchen<lb/>
Anſtand einer Antike vorüberſchweben, und gleich<lb/>
darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten,<lb/>
und den Beinen nach oben, ein <hirendition="#aq">entrechat</hi> in den<lb/>
Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er ſich<lb/>
wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig-<lb/>
keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden ſich<lb/>
in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei-<lb/>
nem Fuß daran hängend umherſchwenken kann, ver-<lb/>ſteht ſich von ſelbſt. Er verdient ſeinen Namen durch<lb/>
die That. <hirendition="#aq">Je Diavolo non puo far meglio</hi>.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><fwplace="bottom"type="sig">Briefe eines Verſtorbenen. <hirendition="#aq">II.</hi> 25</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[383/0405]
am Ende ſelbſt zu halbem Vieh werden. Ich ſpreche
von den ganz ſinnloſen Schauſpielen, die hier darge-
ſtellt werden — die einzelnen equilibriſtiſchen Uebun-
gen ſind dagegen oft recht ſehenswerth. Beſonders
erfreute mich der Seilſchwinger, Diavolo betitelt, der
gewiß alle ſeine Mitbewerber ſo ſehr überflügelt, als
Vestris einſt ſeine Collegen. Eine ſchönere Geſtalt,
größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere
Grazie ſcheinen in dieſer Art kaum denkbar. Er iſt
der fliegende Merkur, der von Neuem eine menſch-
liche Form angenommen hat; die Luft ſcheint ſein
wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel,
um ſich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi-
ren. Im wildeſten Schwunge ſieht man ihn, haus-
hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile
liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem claſſiſchen
Anſtand einer Antike vorüberſchweben, und gleich
darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten,
und den Beinen nach oben, ein entrechat in den
Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er ſich
wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig-
keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden ſich
in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei-
nem Fuß daran hängend umherſchwenken kann, ver-
ſteht ſich von ſelbſt. Er verdient ſeinen Namen durch
die That. Je Diavolo non puo far meglio.
Briefe eines Verſtorbenen. II. 25
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/405>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.