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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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mehrte Selbstständigkeit und Sicherheit, welche die
Engländern vor andern Nationen, namentlich den
Deutschen voraushaben. Die Freude und bewegliche
Unruhe des Kindes, je mehr es sich dem väterlichen
Hause näherte, rührte und ergötzte mich. Es war so
etwas Natürliches und Inniges darin, das mich un-
willkührlich an meine eigne Kinderjahre erinnerte --
dies unschätzbare, und zu seiner Zeit ungeschätzte,
Glück, das wir nur im Rückblick zu erkennen im
Stande sind!



Gute Julie, heute habe ich wieder einen jener ro-
mantischen Tage erlebt, die ich lange entbehrt, einen
von den Tagen, deren mannichfache Bilder, wie Feen-
mährchen in der Kindheit, erfreuen. Der berühmten
Scenery des Flusses Wye verdanke ich sie, die, selbst
im Winter, auf den Namen einer der schönsten Ge-
genden Englands Anspruch machen kann.

Ehe ich Hereford verließ, besah ich noch sehr früh
die Cathedrale, die, außer einem schönen Portico,
nicht viel Sehenswerthes darbietet, hätte aber bald
darüber die Mail versäumt, welche in England auf
Niemand wartet. Sie war bereits im vollen Trabe,
und ich fing sie wörtlich im Fluge auf. Nur für die
dreizehn Meilen bis Roß, die wir außerordentlich

mehrte Selbſtſtändigkeit und Sicherheit, welche die
Engländern vor andern Nationen, namentlich den
Deutſchen voraushaben. Die Freude und bewegliche
Unruhe des Kindes, je mehr es ſich dem väterlichen
Hauſe näherte, rührte und ergötzte mich. Es war ſo
etwas Natürliches und Inniges darin, das mich un-
willkührlich an meine eigne Kinderjahre erinnerte —
dies unſchätzbare, und zu ſeiner Zeit ungeſchätzte,
Glück, das wir nur im Rückblick zu erkennen im
Stande ſind!



Gute Julie, heute habe ich wieder einen jener ro-
mantiſchen Tage erlebt, die ich lange entbehrt, einen
von den Tagen, deren mannichfache Bilder, wie Feen-
mährchen in der Kindheit, erfreuen. Der berühmten
Scenery des Fluſſes Wye verdanke ich ſie, die, ſelbſt
im Winter, auf den Namen einer der ſchönſten Ge-
genden Englands Anſpruch machen kann.

Ehe ich Hereford verließ, beſah ich noch ſehr früh
die Cathedrale, die, außer einem ſchönen Portico,
nicht viel Sehenswerthes darbietet, hätte aber bald
darüber die Mail verſäumt, welche in England auf
Niemand wartet. Sie war bereits im vollen Trabe,
und ich fing ſie wörtlich im Fluge auf. Nur für die
dreizehn Meilen bis Roß, die wir außerordentlich

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[245/0267] mehrte Selbſtſtändigkeit und Sicherheit, welche die Engländern vor andern Nationen, namentlich den Deutſchen voraushaben. Die Freude und bewegliche Unruhe des Kindes, je mehr es ſich dem väterlichen Hauſe näherte, rührte und ergötzte mich. Es war ſo etwas Natürliches und Inniges darin, das mich un- willkührlich an meine eigne Kinderjahre erinnerte — dies unſchätzbare, und zu ſeiner Zeit ungeſchätzte, Glück, das wir nur im Rückblick zu erkennen im Stande ſind! Monmouth, den 18ten. Gute Julie, heute habe ich wieder einen jener ro- mantiſchen Tage erlebt, die ich lange entbehrt, einen von den Tagen, deren mannichfache Bilder, wie Feen- mährchen in der Kindheit, erfreuen. Der berühmten Scenery des Fluſſes Wye verdanke ich ſie, die, ſelbſt im Winter, auf den Namen einer der ſchönſten Ge- genden Englands Anſpruch machen kann. Ehe ich Hereford verließ, beſah ich noch ſehr früh die Cathedrale, die, außer einem ſchönen Portico, nicht viel Sehenswerthes darbietet, hätte aber bald darüber die Mail verſäumt, welche in England auf Niemand wartet. Sie war bereits im vollen Trabe, und ich fing ſie wörtlich im Fluge auf. Nur für die dreizehn Meilen bis Roß, die wir außerordentlich

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/267>, abgerufen am 22.11.2024.