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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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von ihnen verlangt wird, als den Leuten ein wenig
Staub in die Augen zu streuen, oder ein Despot
seyn zu dürfen, der blos nach seiner Laune Millio-
nen dirigirt. Die Sache der menschlichen Gesell-
schaft
ist es aber, es wo möglich so einzurichten,
daß wir Alle, auch mit dem besten Willen dazu,
eine solche Sinecure weder erlangen, noch solche
Despoten werden können.


Sonst, als Kind, geschah es mir oft, daß ich keine
Ruhe über das Schicksal Hannibal's finden konnte,
oder in Verzweiflung über die Schlacht von Pultava
war; heute jammerte ich über Columbus! Wir sind
dem geistreichen Amerikaner Washington Irving viel
Dank für diese Geschichte schuldig. Es ist ein schö-
ner Tribut, dem großen Seefahrer aus dem Lande
dargebracht, das er der civilisirten Welt geschenkt,
und das bestimmt scheint, die letzte Station zu seyn,
die der Cyclus menschlicher Perfektibilität durchläuft.

Welch ein Mann, dieser erhabne Dulder! der zu
groß für seine Zeit, ihr vierzig Jahre lang nur als
ein Narr erschien, und den Rest seines Lebens ihrer
Feindschaft preis gegeben war, der er auch zuletzt in
Noth und Kummer unterliegen mußte! Aber so ist
die Welt, und es wäre darüber selbst närrisch zu
werden, wenn man sich nur beim Einzelnen auf-
hielte, und uns Nachdenken nicht bald belehrte: daß

von ihnen verlangt wird, als den Leuten ein wenig
Staub in die Augen zu ſtreuen, oder ein Deſpot
ſeyn zu dürfen, der blos nach ſeiner Laune Millio-
nen dirigirt. Die Sache der menſchlichen Geſell-
ſchaft
iſt es aber, es wo möglich ſo einzurichten,
daß wir Alle, auch mit dem beſten Willen dazu,
eine ſolche Sinecure weder erlangen, noch ſolche
Deſpoten werden können.


Sonſt, als Kind, geſchah es mir oft, daß ich keine
Ruhe über das Schickſal Hannibal’s finden konnte,
oder in Verzweiflung über die Schlacht von Pultava
war; heute jammerte ich über Columbus! Wir ſind
dem geiſtreichen Amerikaner Waſhington Irving viel
Dank für dieſe Geſchichte ſchuldig. Es iſt ein ſchö-
ner Tribut, dem großen Seefahrer aus dem Lande
dargebracht, das er der civiliſirten Welt geſchenkt,
und das beſtimmt ſcheint, die letzte Station zu ſeyn,
die der Cyclus menſchlicher Perfektibilität durchläuft.

Welch ein Mann, dieſer erhabne Dulder! der zu
groß für ſeine Zeit, ihr vierzig Jahre lang nur als
ein Narr erſchien, und den Reſt ſeines Lebens ihrer
Feindſchaft preis gegeben war, der er auch zuletzt in
Noth und Kummer unterliegen mußte! Aber ſo iſt
die Welt, und es wäre darüber ſelbſt närriſch zu
werden, wenn man ſich nur beim Einzelnen auf-
hielte, und uns Nachdenken nicht bald belehrte: daß

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[220/0242] von ihnen verlangt wird, als den Leuten ein wenig Staub in die Augen zu ſtreuen, oder ein Deſpot ſeyn zu dürfen, der blos nach ſeiner Laune Millio- nen dirigirt. Die Sache der menſchlichen Geſell- ſchaft iſt es aber, es wo möglich ſo einzurichten, daß wir Alle, auch mit dem beſten Willen dazu, eine ſolche Sinecure weder erlangen, noch ſolche Deſpoten werden können. Sonſt, als Kind, geſchah es mir oft, daß ich keine Ruhe über das Schickſal Hannibal’s finden konnte, oder in Verzweiflung über die Schlacht von Pultava war; heute jammerte ich über Columbus! Wir ſind dem geiſtreichen Amerikaner Waſhington Irving viel Dank für dieſe Geſchichte ſchuldig. Es iſt ein ſchö- ner Tribut, dem großen Seefahrer aus dem Lande dargebracht, das er der civiliſirten Welt geſchenkt, und das beſtimmt ſcheint, die letzte Station zu ſeyn, die der Cyclus menſchlicher Perfektibilität durchläuft. Welch ein Mann, dieſer erhabne Dulder! der zu groß für ſeine Zeit, ihr vierzig Jahre lang nur als ein Narr erſchien, und den Reſt ſeines Lebens ihrer Feindſchaft preis gegeben war, der er auch zuletzt in Noth und Kummer unterliegen mußte! Aber ſo iſt die Welt, und es wäre darüber ſelbſt närriſch zu werden, wenn man ſich nur beim Einzelnen auf- hielte, und uns Nachdenken nicht bald belehrte: daß

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/242>, abgerufen am 03.05.2024.