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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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sten Genie begabte Künstlerin, am hiesigen Theater,
wo sie lange spielte, ganz vernachläßigt blieb, ja fast
für nichts geachtet wurde! dabei war sie so arm, daß
sie, wenn sie, nach angestrengtem Spiel, Abends zu
Haus kam, dort nichts zur Erfrischung, als eine
Schüssel Kartoffeln fand, und ein elendes Bett, das
sie mit drei Geschwistern theilte. Lady M .... be-
suchte sie einmal, und fand das arme Mädchen ihre
zwei paar alten Strümpfe stopfen, die sie täglich
wusch, um darin reinlich auf dem Theater erscheinen
zu können. Lady M .... verschaffte ihr hierauf aller-
lei Kleidungsstücke, und nahm sich überhaupt ein
wenig ihrer Toilette an, die bisher in allen Stücken,
wo sie spielte, ganz vernachläßigt worden war. Seit-
dem erhielt sie etwas mehr, doch nur geringen Bei-
fall. Um diese Zeit kam zufällig einer der Direktoren
der Londner Theater nach Dublin, sah sie, und enga-
girte sie, als ein besserer Kenner, sogleich für die
Hauptstadt. Hier machte sie schon beim ersten Er-
scheinen furore, und ward im Augenblick, von einem
ungekannten armen Schauspielermädchen, das, ganz
England überstrahlende, erste Gestirn an seinem
Theaterhimmel. Noch immer erinnere ich mich mit
Entzücken ihrer Darstellungen in London. Nie habe
ich seitdem die Rolle der Juliet, von einer andern
Schauspielerin, selbst unsern besten, ertragen können.
Alles schien mir nur Manier, Affektation, Unnatur.
Man mußte sehen, wie in den wenigen Stunden sich
das ganze Leben der Shakespear'schen Juliet -- so
naturwahr vor den Zuschauern abspann. Zuerst er-

ſten Genie begabte Künſtlerin, am hieſigen Theater,
wo ſie lange ſpielte, ganz vernachläßigt blieb, ja faſt
für nichts geachtet wurde! dabei war ſie ſo arm, daß
ſie, wenn ſie, nach angeſtrengtem Spiel, Abends zu
Haus kam, dort nichts zur Erfriſchung, als eine
Schüſſel Kartoffeln fand, und ein elendes Bett, das
ſie mit drei Geſchwiſtern theilte. Lady M .... be-
ſuchte ſie einmal, und fand das arme Mädchen ihre
zwei paar alten Strümpfe ſtopfen, die ſie täglich
wuſch, um darin reinlich auf dem Theater erſcheinen
zu können. Lady M .... verſchaffte ihr hierauf aller-
lei Kleidungsſtücke, und nahm ſich überhaupt ein
wenig ihrer Toilette an, die bisher in allen Stücken,
wo ſie ſpielte, ganz vernachläßigt worden war. Seit-
dem erhielt ſie etwas mehr, doch nur geringen Bei-
fall. Um dieſe Zeit kam zufällig einer der Direktoren
der Londner Theater nach Dublin, ſah ſie, und enga-
girte ſie, als ein beſſerer Kenner, ſogleich für die
Hauptſtadt. Hier machte ſie ſchon beim erſten Er-
ſcheinen furore, und ward im Augenblick, von einem
ungekannten armen Schauſpielermädchen, das, ganz
England überſtrahlende, erſte Geſtirn an ſeinem
Theaterhimmel. Noch immer erinnere ich mich mit
Entzücken ihrer Darſtellungen in London. Nie habe
ich ſeitdem die Rolle der Juliet, von einer andern
Schauſpielerin, ſelbſt unſern beſten, ertragen können.
Alles ſchien mir nur Manier, Affektation, Unnatur.
Man mußte ſehen, wie in den wenigen Stunden ſich
das ganze Leben der Shakeſpear’ſchen Juliet — ſo
naturwahr vor den Zuſchauern abſpann. Zuerſt er-

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[200/0222] ſten Genie begabte Künſtlerin, am hieſigen Theater, wo ſie lange ſpielte, ganz vernachläßigt blieb, ja faſt für nichts geachtet wurde! dabei war ſie ſo arm, daß ſie, wenn ſie, nach angeſtrengtem Spiel, Abends zu Haus kam, dort nichts zur Erfriſchung, als eine Schüſſel Kartoffeln fand, und ein elendes Bett, das ſie mit drei Geſchwiſtern theilte. Lady M .... be- ſuchte ſie einmal, und fand das arme Mädchen ihre zwei paar alten Strümpfe ſtopfen, die ſie täglich wuſch, um darin reinlich auf dem Theater erſcheinen zu können. Lady M .... verſchaffte ihr hierauf aller- lei Kleidungsſtücke, und nahm ſich überhaupt ein wenig ihrer Toilette an, die bisher in allen Stücken, wo ſie ſpielte, ganz vernachläßigt worden war. Seit- dem erhielt ſie etwas mehr, doch nur geringen Bei- fall. Um dieſe Zeit kam zufällig einer der Direktoren der Londner Theater nach Dublin, ſah ſie, und enga- girte ſie, als ein beſſerer Kenner, ſogleich für die Hauptſtadt. Hier machte ſie ſchon beim erſten Er- ſcheinen furore, und ward im Augenblick, von einem ungekannten armen Schauſpielermädchen, das, ganz England überſtrahlende, erſte Geſtirn an ſeinem Theaterhimmel. Noch immer erinnere ich mich mit Entzücken ihrer Darſtellungen in London. Nie habe ich ſeitdem die Rolle der Juliet, von einer andern Schauſpielerin, ſelbſt unſern beſten, ertragen können. Alles ſchien mir nur Manier, Affektation, Unnatur. Man mußte ſehen, wie in den wenigen Stunden ſich das ganze Leben der Shakeſpear’ſchen Juliet — ſo naturwahr vor den Zuſchauern abſpann. Zuerſt er-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/222>, abgerufen am 22.11.2024.