men. Wenige sind in dem ersten, die Mehrheit stets im andern Falle. Dies erklärt leicht, wie sich die Macht der Kirche und Priester bilden mußte, und daß auf diese Weise Menschen Jahrhunderte, ja Jahr- tausende lang am Gängelbande gleich Kindern ge- führt werden können. Aber wenn dies gelingen soll, muß das Wissen zugleich zu Gunsten des Glau- bens unterdrückt werden. Wo die Forschung frei wird, da verschwindet endlich, wenn gleich langsam, ein Betrug nach dem andern, das Licht erleuchtet zu- letzt auch den entferntesten Winkel. Ist ein solches Ziel aber einmal erreicht, so hört auch der Gewissens- zwang auf, und ein Jeder verlangt unbeschränktes Feld für seinen Glauben, wie für sein Recht. Frei- lich, absolute Sultane, fette Derwische, und stolze Satrapen fallen dann miteinander zu Boden, wie der todte Satz im edlen Wein! Wie jämmerlich neh- men sich aber, bei der Morgendämmerung einer so herannahenden Zeit, Diejenigen aus, welche die Sonne am Aufgang verhindern zu können glauben, indem sie ihr den Rücken kehren, und ihrem Glanze den veralteten, morschen und wurmstichigen Schirm vor- halten, der selbst dem Mondlichte nicht mehr wider- stehen könnte. Im Trüben zu fischen wird ihnen noch eine Weile dabei gelingen, aber aufhalten kön- nen sie das Gestirn des Tages nicht -- im Gegen- theil, ihre eben so leidenschaftliche als schwache Reak- tion, ist der sicherste Vorbote seiner gewissen An- näherung."
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men. Wenige ſind in dem erſten, die Mehrheit ſtets im andern Falle. Dies erklärt leicht, wie ſich die Macht der Kirche und Prieſter bilden mußte, und daß auf dieſe Weiſe Menſchen Jahrhunderte, ja Jahr- tauſende lang am Gängelbande gleich Kindern ge- führt werden können. Aber wenn dies gelingen ſoll, muß das Wiſſen zugleich zu Gunſten des Glau- bens unterdrückt werden. Wo die Forſchung frei wird, da verſchwindet endlich, wenn gleich langſam, ein Betrug nach dem andern, das Licht erleuchtet zu- letzt auch den entfernteſten Winkel. Iſt ein ſolches Ziel aber einmal erreicht, ſo hört auch der Gewiſſens- zwang auf, und ein Jeder verlangt unbeſchränktes Feld für ſeinen Glauben, wie für ſein Recht. Frei- lich, abſolute Sultane, fette Derwiſche, und ſtolze Satrapen fallen dann miteinander zu Boden, wie der todte Satz im edlen Wein! Wie jämmerlich neh- men ſich aber, bei der Morgendämmerung einer ſo herannahenden Zeit, Diejenigen aus, welche die Sonne am Aufgang verhindern zu können glauben, indem ſie ihr den Rücken kehren, und ihrem Glanze den veralteten, morſchen und wurmſtichigen Schirm vor- halten, der ſelbſt dem Mondlichte nicht mehr wider- ſtehen könnte. Im Trüben zu fiſchen wird ihnen noch eine Weile dabei gelingen, aber aufhalten kön- nen ſie das Geſtirn des Tages nicht — im Gegen- theil, ihre eben ſo leidenſchaftliche als ſchwache Reak- tion, iſt der ſicherſte Vorbote ſeiner gewiſſen An- näherung.“
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men. Wenige ſind in dem erſten, die Mehrheit ſtets
im andern Falle. Dies erklärt leicht, wie ſich die
Macht der Kirche und Prieſter bilden mußte, und
daß auf dieſe Weiſe Menſchen Jahrhunderte, ja Jahr-
tauſende lang am Gängelbande gleich Kindern ge-
führt werden können. Aber wenn dies gelingen ſoll,
muß das Wiſſen zugleich zu Gunſten des Glau-
bens unterdrückt werden. Wo die Forſchung frei
wird, da verſchwindet endlich, wenn gleich langſam,
ein Betrug nach dem andern, das Licht erleuchtet zu-
letzt auch den entfernteſten Winkel. Iſt ein ſolches
Ziel aber einmal erreicht, ſo hört auch der Gewiſſens-
zwang auf, und ein Jeder verlangt unbeſchränktes
Feld für ſeinen Glauben, wie für ſein Recht. Frei-
lich, abſolute Sultane, fette Derwiſche, und ſtolze
Satrapen fallen dann miteinander zu Boden, wie
der todte Satz im edlen Wein! Wie jämmerlich neh-
men ſich aber, bei der Morgendämmerung einer ſo
herannahenden Zeit, Diejenigen aus, welche die Sonne
am Aufgang verhindern zu können glauben, indem
ſie ihr den Rücken kehren, und ihrem Glanze den
veralteten, morſchen und wurmſtichigen Schirm vor-
halten, der ſelbſt dem Mondlichte nicht mehr wider-
ſtehen könnte. Im Trüben zu fiſchen wird ihnen
noch eine Weile dabei gelingen, aber aufhalten kön-
nen ſie das Geſtirn des Tages nicht — im Gegen-
theil, ihre eben ſo leidenſchaftliche als ſchwache Reak-
tion, iſt der ſicherſte Vorbote ſeiner gewiſſen An-
näherung.“
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/217>, abgerufen am 23.11.2024.
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