Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Gefühlen geirrt, und nach reiflicher Ueberlegung über-
zeugt sey, daß nicht die Große wie er früher geglaubt,
sondern nur die Kleine sein Glück machen könne,
um deren Hand er daher hiermit ergebenst bitte.
Nach langem Kampf siegte der weibliche Stolz über
den conventionellen, und Beide deprecirten die hohe
Allianz. Seitdem gehen sie nun zwar noch jeden
Winter nach London, geben zu essen und zu trinken,
überbieten das Pariser Modejournal in ihren Toi-
letten, sprechen viel von Landgütern und Bankobli-
gationen, wozu die Eine Klavier hämmert, die Andre
ohne Stimme singt -- sind aber dennoch bis jetzt le-
dig geblieben. Ueberhaupt ist es sonderbar, daß
man nirgends, auch nur die Hälfte so viel alter
Jungfern antrifft, als in England, und sehr häufig
sind sie reich. Die übertriebene Eitelkeit auf ihr
Geld, die damit nie Größe und Rang genug zu er-
langen glaubt, oder die überspannt romanhafte Er-
ziehung der Mädchen, welche durchaus und allein um
ihrer selbst Willen geliebt werden wollen (woran
z. B. eine Französin sich gar nicht kehrt, weil sie
ganz richtig meint: dies werde schon in der Ehe
kommen, wenn überhaupt Stoff dazu da wäre, sey
aber dies nicht der Fall, würde es doch nicht blei-
ben
, selbst wenn es der Zukünftige, jetzt zu fühlen
glaube) -- sind die Hauptgründe dieser Erscheinung.
Die Engländer halten übrigens, als wahre Türken,
ihre Mädchen und Weiber so beschränkt in intellek-
tueller Hinsicht als möglich, weil sie glauben, sich
dadurch mehr ihren eigenthümlichen Besitz zu ver-

Gefühlen geirrt, und nach reiflicher Ueberlegung über-
zeugt ſey, daß nicht die Große wie er früher geglaubt,
ſondern nur die Kleine ſein Glück machen könne,
um deren Hand er daher hiermit ergebenſt bitte.
Nach langem Kampf ſiegte der weibliche Stolz über
den conventionellen, und Beide deprecirten die hohe
Allianz. Seitdem gehen ſie nun zwar noch jeden
Winter nach London, geben zu eſſen und zu trinken,
überbieten das Pariſer Modejournal in ihren Toi-
letten, ſprechen viel von Landgütern und Bankobli-
gationen, wozu die Eine Klavier hämmert, die Andre
ohne Stimme ſingt — ſind aber dennoch bis jetzt le-
dig geblieben. Ueberhaupt iſt es ſonderbar, daß
man nirgends, auch nur die Hälfte ſo viel alter
Jungfern antrifft, als in England, und ſehr häufig
ſind ſie reich. Die übertriebene Eitelkeit auf ihr
Geld, die damit nie Größe und Rang genug zu er-
langen glaubt, oder die überſpannt romanhafte Er-
ziehung der Mädchen, welche durchaus und allein um
ihrer ſelbſt Willen geliebt werden wollen (woran
z. B. eine Franzöſin ſich gar nicht kehrt, weil ſie
ganz richtig meint: dies werde ſchon in der Ehe
kommen, wenn überhaupt Stoff dazu da wäre, ſey
aber dies nicht der Fall, würde es doch nicht blei-
ben
, ſelbſt wenn es der Zukünftige, jetzt zu fühlen
glaube) — ſind die Hauptgründe dieſer Erſcheinung.
Die Engländer halten übrigens, als wahre Türken,
ihre Mädchen und Weiber ſo beſchränkt in intellek-
tueller Hinſicht als möglich, weil ſie glauben, ſich
dadurch mehr ihren eigenthümlichen Beſitz zu ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0181" n="159"/>
Gefühlen geirrt, und nach reiflicher Ueberlegung über-<lb/>
zeugt &#x017F;ey, daß nicht die Große wie er früher geglaubt,<lb/>
&#x017F;ondern nur die Kleine &#x017F;ein Glück machen könne,<lb/>
um deren Hand er daher hiermit ergeben&#x017F;t bitte.<lb/>
Nach langem Kampf &#x017F;iegte der weibliche Stolz über<lb/>
den conventionellen, und Beide deprecirten die hohe<lb/>
Allianz. Seitdem gehen &#x017F;ie nun zwar noch jeden<lb/>
Winter nach London, geben zu e&#x017F;&#x017F;en und zu trinken,<lb/>
überbieten das Pari&#x017F;er Modejournal in ihren Toi-<lb/>
letten, &#x017F;prechen viel von Landgütern und Bankobli-<lb/>
gationen, wozu die Eine Klavier hämmert, die Andre<lb/>
ohne Stimme &#x017F;ingt &#x2014; &#x017F;ind aber dennoch bis jetzt le-<lb/>
dig geblieben. Ueberhaupt i&#x017F;t es &#x017F;onderbar, daß<lb/>
man nirgends, auch nur die <choice><sic>Ha&#x0307;lfte</sic><corr>Hälfte</corr></choice> &#x017F;o viel alter<lb/>
Jungfern antrifft, als in England, und &#x017F;ehr häufig<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ie reich. Die übertriebene Eitelkeit auf ihr<lb/>
Geld, die damit nie Größe und Rang genug zu er-<lb/>
langen glaubt, oder die über&#x017F;pannt romanhafte Er-<lb/>
ziehung der Mädchen, welche durchaus und allein um<lb/>
ihrer &#x017F;elb&#x017F;t Willen geliebt werden wollen (woran<lb/>
z. B. eine Franzö&#x017F;in &#x017F;ich gar nicht kehrt, weil &#x017F;ie<lb/>
ganz richtig meint: dies werde &#x017F;chon in der Ehe<lb/>
kommen, wenn überhaupt Stoff dazu da wäre, &#x017F;ey<lb/>
aber dies nicht der Fall, würde es doch nicht <hi rendition="#g">blei-<lb/>
ben</hi>, &#x017F;elb&#x017F;t wenn es der Zukünftige, jetzt zu fühlen<lb/>
glaube) &#x2014; &#x017F;ind die Hauptgründe die&#x017F;er Er&#x017F;cheinung.<lb/>
Die Engländer halten übrigens, als wahre Türken,<lb/>
ihre Mädchen und Weiber &#x017F;o be&#x017F;chränkt in intellek-<lb/>
tueller Hin&#x017F;icht als möglich, weil &#x017F;ie glauben, &#x017F;ich<lb/>
dadurch mehr ihren eigenthümlichen Be&#x017F;itz zu ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0181] Gefühlen geirrt, und nach reiflicher Ueberlegung über- zeugt ſey, daß nicht die Große wie er früher geglaubt, ſondern nur die Kleine ſein Glück machen könne, um deren Hand er daher hiermit ergebenſt bitte. Nach langem Kampf ſiegte der weibliche Stolz über den conventionellen, und Beide deprecirten die hohe Allianz. Seitdem gehen ſie nun zwar noch jeden Winter nach London, geben zu eſſen und zu trinken, überbieten das Pariſer Modejournal in ihren Toi- letten, ſprechen viel von Landgütern und Bankobli- gationen, wozu die Eine Klavier hämmert, die Andre ohne Stimme ſingt — ſind aber dennoch bis jetzt le- dig geblieben. Ueberhaupt iſt es ſonderbar, daß man nirgends, auch nur die Hälfte ſo viel alter Jungfern antrifft, als in England, und ſehr häufig ſind ſie reich. Die übertriebene Eitelkeit auf ihr Geld, die damit nie Größe und Rang genug zu er- langen glaubt, oder die überſpannt romanhafte Er- ziehung der Mädchen, welche durchaus und allein um ihrer ſelbſt Willen geliebt werden wollen (woran z. B. eine Franzöſin ſich gar nicht kehrt, weil ſie ganz richtig meint: dies werde ſchon in der Ehe kommen, wenn überhaupt Stoff dazu da wäre, ſey aber dies nicht der Fall, würde es doch nicht blei- ben, ſelbſt wenn es der Zukünftige, jetzt zu fühlen glaube) — ſind die Hauptgründe dieſer Erſcheinung. Die Engländer halten übrigens, als wahre Türken, ihre Mädchen und Weiber ſo beſchränkt in intellek- tueller Hinſicht als möglich, weil ſie glauben, ſich dadurch mehr ihren eigenthümlichen Beſitz zu ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/181
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/181>, abgerufen am 25.11.2024.