ausgewachsen, die gehörige Größe und Korpulenz erreichen; später aber werden sie Coriace. Der ge- schickte Austernökonom hat Bänke von jedem Alter, und nach Beschaffenheit des Bodens, Austern von verschiedenem Geschmack und Flavour. In den von der Kunst ungestörten Plätzen, wo sich die Austern im Naturzustande vermehren, erreichen sie nie die höchste Vollkommenheit. Auf folgende Art kömmt man ihnen zu Hülfe. Man fischt die Jungen, wenn sie nicht größer sind als ein Viergroschen-Stück, und sähet sie, wie Korn, in eine nicht zu weit vom Ufer entfernte Stelle des Meeres, deren Boden ein wei- cher Schlamm seyn muß, und die nicht mehr als höchstens 14 Fuß Tiefe haben darf. Nach drei Jah- ren fischt man sie wieder heraus, und sähet dann von neuem andere aus der Mutterbank. Natürlich hat man mehrere solche Schlammbänke im Gange, um jedes Jahr eine reif gewordene leeren zu können. Es scheint, daß die Austern sehr alt seyn müssen, ehe sie sich vermehren, da in den eben beschriebenen artificiellen Colonieen nie neue Geburten statt fin- den. Die Art dieser Geburt ist übrigens sonderbar, ein neues Beyspiel der unendlichen Mannichfaltigkeit der Natur. Wahrscheinlich ist die Auster ein Her- maphrodit, da keine Verschiedenheit des Geschlechts bemerkt werden kann, und sie sich nur dadurch fort- pflanzt, daß, außerhalb ihrer Schale, sich 15 -- 16 kleine Austern, wie Warzen, bilden, und wenn sie gehörige Consistenz erlangt haben, abfallen. Die Hervorbringung dieser 16 Kinder greift die alte Ma-
ausgewachſen, die gehörige Größe und Korpulenz erreichen; ſpäter aber werden ſie Coriace. Der ge- ſchickte Auſternökonom hat Bänke von jedem Alter, und nach Beſchaffenheit des Bodens, Auſtern von verſchiedenem Geſchmack und Flavour. In den von der Kunſt ungeſtörten Plätzen, wo ſich die Auſtern im Naturzuſtande vermehren, erreichen ſie nie die höchſte Vollkommenheit. Auf folgende Art kömmt man ihnen zu Hülfe. Man fiſcht die Jungen, wenn ſie nicht größer ſind als ein Viergroſchen-Stück, und ſähet ſie, wie Korn, in eine nicht zu weit vom Ufer entfernte Stelle des Meeres, deren Boden ein wei- cher Schlamm ſeyn muß, und die nicht mehr als höchſtens 14 Fuß Tiefe haben darf. Nach drei Jah- ren fiſcht man ſie wieder heraus, und ſähet dann von neuem andere aus der Mutterbank. Natürlich hat man mehrere ſolche Schlammbänke im Gange, um jedes Jahr eine reif gewordene leeren zu können. Es ſcheint, daß die Auſtern ſehr alt ſeyn müſſen, ehe ſie ſich vermehren, da in den eben beſchriebenen artificiellen Colonieen nie neue Geburten ſtatt fin- den. Die Art dieſer Geburt iſt übrigens ſonderbar, ein neues Beyſpiel der unendlichen Mannichfaltigkeit der Natur. Wahrſcheinlich iſt die Auſter ein Her- maphrodit, da keine Verſchiedenheit des Geſchlechts bemerkt werden kann, und ſie ſich nur dadurch fort- pflanzt, daß, außerhalb ihrer Schale, ſich 15 — 16 kleine Auſtern, wie Warzen, bilden, und wenn ſie gehörige Conſiſtenz erlangt haben, abfallen. Die Hervorbringung dieſer 16 Kinder greift die alte Ma-
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ausgewachſen, die gehörige Größe und Korpulenz
erreichen; ſpäter aber werden ſie Coriace. Der ge-
ſchickte Auſternökonom hat Bänke von jedem Alter,
und nach Beſchaffenheit des Bodens, Auſtern von
verſchiedenem Geſchmack und Flavour. In den von
der Kunſt ungeſtörten Plätzen, wo ſich die Auſtern
im Naturzuſtande vermehren, erreichen ſie nie die
höchſte Vollkommenheit. Auf folgende Art kömmt
man ihnen zu Hülfe. Man fiſcht die Jungen, wenn
ſie nicht größer ſind als ein Viergroſchen-Stück, und
ſähet ſie, wie Korn, in eine nicht zu weit vom Ufer
entfernte Stelle des Meeres, deren Boden ein wei-
cher Schlamm ſeyn muß, und die nicht mehr als
höchſtens 14 Fuß Tiefe haben darf. Nach drei Jah-
ren fiſcht man ſie wieder heraus, und ſähet dann von
neuem andere aus der Mutterbank. Natürlich hat
man mehrere ſolche Schlammbänke im Gange, um
jedes Jahr eine reif gewordene leeren zu können.
Es ſcheint, daß die Auſtern ſehr alt ſeyn müſſen,
ehe ſie ſich vermehren, da in den eben beſchriebenen
artificiellen Colonieen nie neue Geburten ſtatt fin-
den. Die Art dieſer Geburt iſt übrigens ſonderbar,
ein neues Beyſpiel der unendlichen Mannichfaltigkeit
der Natur. Wahrſcheinlich iſt die Auſter ein Her-
maphrodit, da keine Verſchiedenheit des Geſchlechts
bemerkt werden kann, und ſie ſich nur dadurch fort-
pflanzt, daß, außerhalb ihrer Schale, ſich 15 — 16
kleine Auſtern, wie Warzen, bilden, und wenn ſie
gehörige Conſiſtenz erlangt haben, abfallen. Die
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/144>, abgerufen am 23.11.2024.
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