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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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sie ein Stück Kartoffelfeld in Pacht genommen, wa-
ren von höchst auffallendem und recht nationalem
Ansehen. Der Eine, ein schlanker, etwa 40jähriger,
schöner Mann, mit einer wilden, aber imponirenden
Physiognomie, stellte, selbst in seinen Lumpen, noch
ein höchst pittoreskes Bild dar. Verachtung jeder
Gefahr war auf seiner edlen Stirn ausgedrückt,
Gleichgültigkeit gegen jede Schande spielte höhnisch
um den frechen Mund. Seine Geschichte bestätigte
diese Sprache seiner Züge. Er trug drei bis vier
Militair-Medaillen, die er als Soldat in Spanien
und Frankreich erworben. Wegen vielfach bewiesener
Tapferkeit hatte man ihn schon einmal zum Unter-
offizier avancirt, wegen lüderlicher Streiche aber wie-
der degradirt; darauf hatte er zum zweitenmale ge-
dient, sich wieder ausgezeichnet, war aber auch von
neuem aus demselben Grunde verabschiedet worden,
ohne daß man jedoch im Stande gewesen, ihn eines
Capital-Verbrechens zu überführen. Jetzt hat man
ihn im strengsten Verdacht, der Anführer der Räu-
berbanden zu seyn, welche das Galtee-Gebürge so
sehr beunruhigen, und bereits verschiedene Mordtha-
ten begangen haben. Sein Gefährte war äußerlich
ganz das Gegentheil -- für einen irländischen Far-
mer selten "wohl gekleidet" d. h. nichts Zerrissenes
tragend, 60 Jahre alt, kurz und untersetzt, und im
Benehmen fast einem Quäcker ähnlich. In den schein-
heiligen Zügen lauschte aber dennoch ein solcher Grad
von List und schonungsloser Entschlossenheit, daß er
viel furchtbarer noch als der Andre erschien. Vor

ſie ein Stück Kartoffelfeld in Pacht genommen, wa-
ren von höchſt auffallendem und recht nationalem
Anſehen. Der Eine, ein ſchlanker, etwa 40jähriger,
ſchöner Mann, mit einer wilden, aber imponirenden
Phyſiognomie, ſtellte, ſelbſt in ſeinen Lumpen, noch
ein höchſt pittoreskes Bild dar. Verachtung jeder
Gefahr war auf ſeiner edlen Stirn ausgedrückt,
Gleichgültigkeit gegen jede Schande ſpielte höhniſch
um den frechen Mund. Seine Geſchichte beſtätigte
dieſe Sprache ſeiner Züge. Er trug drei bis vier
Militair-Medaillen, die er als Soldat in Spanien
und Frankreich erworben. Wegen vielfach bewieſener
Tapferkeit hatte man ihn ſchon einmal zum Unter-
offizier avancirt, wegen lüderlicher Streiche aber wie-
der degradirt; darauf hatte er zum zweitenmale ge-
dient, ſich wieder ausgezeichnet, war aber auch von
neuem aus demſelben Grunde verabſchiedet worden,
ohne daß man jedoch im Stande geweſen, ihn eines
Capital-Verbrechens zu überführen. Jetzt hat man
ihn im ſtrengſten Verdacht, der Anführer der Räu-
berbanden zu ſeyn, welche das Galtee-Gebürge ſo
ſehr beunruhigen, und bereits verſchiedene Mordtha-
ten begangen haben. Sein Gefährte war äußerlich
ganz das Gegentheil — für einen irländiſchen Far-
mer ſelten „wohl gekleidet“ d. h. nichts Zerriſſenes
tragend, 60 Jahre alt, kurz und unterſetzt, und im
Benehmen faſt einem Quäcker ähnlich. In den ſchein-
heiligen Zügen lauſchte aber dennoch ein ſolcher Grad
von Liſt und ſchonungsloſer Entſchloſſenheit, daß er
viel furchtbarer noch als der Andre erſchien. Vor

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[120/0142] ſie ein Stück Kartoffelfeld in Pacht genommen, wa- ren von höchſt auffallendem und recht nationalem Anſehen. Der Eine, ein ſchlanker, etwa 40jähriger, ſchöner Mann, mit einer wilden, aber imponirenden Phyſiognomie, ſtellte, ſelbſt in ſeinen Lumpen, noch ein höchſt pittoreskes Bild dar. Verachtung jeder Gefahr war auf ſeiner edlen Stirn ausgedrückt, Gleichgültigkeit gegen jede Schande ſpielte höhniſch um den frechen Mund. Seine Geſchichte beſtätigte dieſe Sprache ſeiner Züge. Er trug drei bis vier Militair-Medaillen, die er als Soldat in Spanien und Frankreich erworben. Wegen vielfach bewieſener Tapferkeit hatte man ihn ſchon einmal zum Unter- offizier avancirt, wegen lüderlicher Streiche aber wie- der degradirt; darauf hatte er zum zweitenmale ge- dient, ſich wieder ausgezeichnet, war aber auch von neuem aus demſelben Grunde verabſchiedet worden, ohne daß man jedoch im Stande geweſen, ihn eines Capital-Verbrechens zu überführen. Jetzt hat man ihn im ſtrengſten Verdacht, der Anführer der Räu- berbanden zu ſeyn, welche das Galtee-Gebürge ſo ſehr beunruhigen, und bereits verſchiedene Mordtha- ten begangen haben. Sein Gefährte war äußerlich ganz das Gegentheil — für einen irländiſchen Far- mer ſelten „wohl gekleidet“ d. h. nichts Zerriſſenes tragend, 60 Jahre alt, kurz und unterſetzt, und im Benehmen faſt einem Quäcker ähnlich. In den ſchein- heiligen Zügen lauſchte aber dennoch ein ſolcher Grad von Liſt und ſchonungsloſer Entſchloſſenheit, daß er viel furchtbarer noch als der Andre erſchien. Vor

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/142>, abgerufen am 23.11.2024.