gerettet," rief froh der Protector, "denn einmal we- nigstens weiß ich es bestimmt, daß ich mich im Zu- stande der Gnade befunden!" So sind die Menschen, und daher wird mir auch nie eine Menschenauto- rität imponiren, wenn meine eigne Ansicht ihr, nach reiflichem Nachdenken, so weit es meine Fassungskraft vermag, nicht entspricht -- ja wären morgen alle Menschen der entgegengesetzten Meinung, so würde ich doch deshalb die meinige nicht ändern. Gottlob! wir sind alle individuelle Geister, und keine Schaaf- heerde, die dem Leithammel folgen muß. Und was ist denn allgemeine Meinung? man sollte glauben, sie sey nur ein fortlaufender Irrthum, weil sie fast alle Jahrhunderte sich ändert. Von Ort und Zeit scheint sie allein abzuhängen. Bist Du in Constan- tinopel geboren, so schwörst Du auf Mohammed, im übrigen Europa, auf Christus oder Moses, in Indien auf Brama. Kamst Du einst, ein Unterthan des Augustus zur Welt, so warst Du ein Heide, im Mittelalter hieltest Du das Faustrecht für das Recht, und heute verlangst Du die Freiheit der Presse, *)
*) Ein für sein Land sehr gebildeter Maure, der sich lange in England aufgehalten, sagte zu dem Capt. L.. Ich möchte nie einem so ohnmächtigen Monarchen die- nen als der König von England ist. Welches andre Gefühl giebt es mir, eines Herren Diener zu seyn, dessen Allmacht Gottes Bild auf Erden ist, und auf dessen Wink tausend Köpfe fliegen müssen, wie Spreu vor dem Winde. -- Il ne faut donc pas disputer des goauts. A. d. H.
gerettet,“ rief froh der Protector, „denn einmal we- nigſtens weiß ich es beſtimmt, daß ich mich im Zu- ſtande der Gnade befunden!“ So ſind die Menſchen, und daher wird mir auch nie eine Menſchenauto- rität imponiren, wenn meine eigne Anſicht ihr, nach reiflichem Nachdenken, ſo weit es meine Faſſungskraft vermag, nicht entſpricht — ja wären morgen alle Menſchen der entgegengeſetzten Meinung, ſo würde ich doch deshalb die meinige nicht ändern. Gottlob! wir ſind alle individuelle Geiſter, und keine Schaaf- heerde, die dem Leithammel folgen muß. Und was iſt denn allgemeine Meinung? man ſollte glauben, ſie ſey nur ein fortlaufender Irrthum, weil ſie faſt alle Jahrhunderte ſich ändert. Von Ort und Zeit ſcheint ſie allein abzuhängen. Biſt Du in Conſtan- tinopel geboren, ſo ſchwörſt Du auf Mohammed, im übrigen Europa, auf Chriſtus oder Moſes, in Indien auf Brama. Kamſt Du einſt, ein Unterthan des Auguſtus zur Welt, ſo warſt Du ein Heide, im Mittelalter hielteſt Du das Fauſtrecht für das Recht, und heute verlangſt Du die Freiheit der Preſſe, *)
*) Ein für ſein Land ſehr gebildeter Maure, der ſich lange in England aufgehalten, ſagte zu dem Capt. L.. Ich möchte nie einem ſo ohnmächtigen Monarchen die- nen als der König von England iſt. Welches andre Gefühl giebt es mir, eines Herren Diener zu ſeyn, deſſen Allmacht Gottes Bild auf Erden iſt, und auf deſſen Wink tauſend Köpfe fliegen müſſen, wie Spreu vor dem Winde. — Il ne faut donc pas disputer des goûts. A. d. H.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0124"n="102"/>
gerettet,“ rief froh der Protector, „denn <hirendition="#g">einmal</hi> we-<lb/>
nigſtens weiß ich es beſtimmt, daß ich mich im Zu-<lb/>ſtande der Gnade befunden!“ So ſind die Menſchen,<lb/>
und <hirendition="#g">daher</hi> wird mir auch nie eine Menſchenauto-<lb/>
rität imponiren, wenn meine eigne Anſicht ihr, nach<lb/>
reiflichem Nachdenken, ſo weit es meine Faſſungskraft<lb/>
vermag, nicht entſpricht — ja wären morgen <hirendition="#g">alle</hi><lb/>
Menſchen der entgegengeſetzten Meinung, ſo würde<lb/>
ich doch deshalb die meinige nicht ändern. Gottlob!<lb/>
wir ſind alle individuelle Geiſter, und keine Schaaf-<lb/>
heerde, die dem Leithammel folgen muß. Und was<lb/>
iſt denn allgemeine Meinung? man ſollte glauben,<lb/>ſie ſey nur ein fortlaufender Irrthum, weil ſie faſt<lb/>
alle Jahrhunderte ſich ändert. Von Ort und Zeit<lb/>ſcheint ſie allein abzuhängen. Biſt Du in Conſtan-<lb/>
tinopel geboren, ſo ſchwörſt Du auf Mohammed, im<lb/>
übrigen Europa, auf Chriſtus oder Moſes, in Indien<lb/>
auf Brama. Kamſt Du einſt, ein Unterthan des<lb/>
Auguſtus zur Welt, ſo warſt Du ein Heide, im<lb/>
Mittelalter hielteſt Du das Fauſtrecht für das Recht,<lb/>
und heute verlangſt Du die Freiheit der Preſſe, <noteplace="foot"n="*)">Ein für ſein Land ſehr gebildeter Maure, der ſich<lb/>
lange in England aufgehalten, ſagte zu dem Capt. L..<lb/>
Ich möchte nie einem ſo ohnmächtigen Monarchen die-<lb/>
nen als der König von England iſt. Welches andre<lb/>
Gefühl giebt es mir, eines Herren Diener zu ſeyn,<lb/>
deſſen Allmacht Gottes Bild auf Erden iſt, und auf<lb/>
deſſen Wink tauſend Köpfe fliegen müſſen, wie Spreu<lb/>
vor dem Winde. —<hirendition="#aq">Il ne faut donc pas disputer<lb/>
des goûts</hi>.<lb/><hirendition="#et">A. d. H.</hi></note><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[102/0124]
gerettet,“ rief froh der Protector, „denn einmal we-
nigſtens weiß ich es beſtimmt, daß ich mich im Zu-
ſtande der Gnade befunden!“ So ſind die Menſchen,
und daher wird mir auch nie eine Menſchenauto-
rität imponiren, wenn meine eigne Anſicht ihr, nach
reiflichem Nachdenken, ſo weit es meine Faſſungskraft
vermag, nicht entſpricht — ja wären morgen alle
Menſchen der entgegengeſetzten Meinung, ſo würde
ich doch deshalb die meinige nicht ändern. Gottlob!
wir ſind alle individuelle Geiſter, und keine Schaaf-
heerde, die dem Leithammel folgen muß. Und was
iſt denn allgemeine Meinung? man ſollte glauben,
ſie ſey nur ein fortlaufender Irrthum, weil ſie faſt
alle Jahrhunderte ſich ändert. Von Ort und Zeit
ſcheint ſie allein abzuhängen. Biſt Du in Conſtan-
tinopel geboren, ſo ſchwörſt Du auf Mohammed, im
übrigen Europa, auf Chriſtus oder Moſes, in Indien
auf Brama. Kamſt Du einſt, ein Unterthan des
Auguſtus zur Welt, ſo warſt Du ein Heide, im
Mittelalter hielteſt Du das Fauſtrecht für das Recht,
und heute verlangſt Du die Freiheit der Preſſe, *)
*) Ein für ſein Land ſehr gebildeter Maure, der ſich
lange in England aufgehalten, ſagte zu dem Capt. L..
Ich möchte nie einem ſo ohnmächtigen Monarchen die-
nen als der König von England iſt. Welches andre
Gefühl giebt es mir, eines Herren Diener zu ſeyn,
deſſen Allmacht Gottes Bild auf Erden iſt, und auf
deſſen Wink tauſend Köpfe fliegen müſſen, wie Spreu
vor dem Winde. — Il ne faut donc pas disputer
des goûts.
A. d. H.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/124>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.