Von ganz anderem Charakter ist Holycroß. Cashel steht in einsamer Größe da, Alles Felsen und Steine, Alles kahl und schwarz, -- nur hie und da scheint ein verlornes Epheupflänzchen schüchtern an einer Spalte hinanzukriechen. -- Holicroß dagegen liegt im Thal, an den Ufern des Suir, in Laubholz begraben, und von solchen wuchernden Epheustämmen umschlun- gen und umrankt, daß man kaum eine Mauer vor ihnen erblicken kann; und selbst das hohe Kreuz, das letzte welches der Abtei noch übrig bleibt, *) ist so inbrünstig von ihnen umklammert, als wollten sie es vor jeder profanen Berührung schützen. Im Innern sieht man mehrere prachtvolle gewölbte Decken, das zierliche Monument auf dem Grabe Donough O'Bry- ens, Königs von Limmerick, der im Anfang des zwölften Jahrhunderts die Abtei erbaute, und einen wunderschön gearbeiteten Steinbaldachin, unter wel- chem die Leichen der gestorbenen Aebte ausgestellt wurden -- sämmtlich so gut erhalten, daß ihnen mit wenig Ausbesserung das Ansehn der Neuheit gege- ben werden könnte. Die Aussicht vom Thurme ist sehr freundlich. Man ist hier dem Teufelsbiß ganz nahe, dessen groteske Form freilich zu auffallend war,
*) Es wurde hier ein Theil des wahren Kreuzes Christi aufbewahrt, der dem Kloster den Namen gab, und auch jedes einzelne Gebäude war deshalb mit einem hohen Steinkreuze geschmückt, von denen nur eins noch sich erhalten hat. A. d. H.
Von ganz anderem Charakter iſt Holycroß. Caſhel ſteht in einſamer Größe da, Alles Felſen und Steine, Alles kahl und ſchwarz, — nur hie und da ſcheint ein verlornes Epheupflänzchen ſchüchtern an einer Spalte hinanzukriechen. — Holicroß dagegen liegt im Thal, an den Ufern des Suir, in Laubholz begraben, und von ſolchen wuchernden Epheuſtämmen umſchlun- gen und umrankt, daß man kaum eine Mauer vor ihnen erblicken kann; und ſelbſt das hohe Kreuz, das letzte welches der Abtei noch übrig bleibt, *) iſt ſo inbrünſtig von ihnen umklammert, als wollten ſie es vor jeder profanen Berührung ſchützen. Im Innern ſieht man mehrere prachtvolle gewölbte Decken, das zierliche Monument auf dem Grabe Donough O’Bry- ens, Königs von Limmerick, der im Anfang des zwölften Jahrhunderts die Abtei erbaute, und einen wunderſchön gearbeiteten Steinbaldachin, unter wel- chem die Leichen der geſtorbenen Aebte ausgeſtellt wurden — ſämmtlich ſo gut erhalten, daß ihnen mit wenig Ausbeſſerung das Anſehn der Neuheit gege- ben werden könnte. Die Ausſicht vom Thurme iſt ſehr freundlich. Man iſt hier dem Teufelsbiß ganz nahe, deſſen groteske Form freilich zu auffallend war,
*) Es wurde hier ein Theil des wahren Kreuzes Chriſti aufbewahrt, der dem Kloſter den Namen gab, und auch jedes einzelne Gebäude war deshalb mit einem hohen Steinkreuze geſchmückt, von denen nur eins noch ſich erhalten hat. A. d. H.
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Von ganz anderem Charakter iſt Holycroß. Caſhel
ſteht in einſamer Größe da, Alles Felſen und Steine,
Alles kahl und ſchwarz, — nur hie und da ſcheint
ein verlornes Epheupflänzchen ſchüchtern an einer
Spalte hinanzukriechen. — Holicroß dagegen liegt im
Thal, an den Ufern des Suir, in Laubholz begraben,
und von ſolchen wuchernden Epheuſtämmen umſchlun-
gen und umrankt, daß man kaum eine Mauer vor
ihnen erblicken kann; und ſelbſt das hohe Kreuz, das
letzte welches der Abtei noch übrig bleibt, *) iſt ſo
inbrünſtig von ihnen umklammert, als wollten ſie es
vor jeder profanen Berührung ſchützen. Im Innern
ſieht man mehrere prachtvolle gewölbte Decken, das
zierliche Monument auf dem Grabe Donough O’Bry-
ens, Königs von Limmerick, der im Anfang des
zwölften Jahrhunderts die Abtei erbaute, und einen
wunderſchön gearbeiteten Steinbaldachin, unter wel-
chem die Leichen der geſtorbenen Aebte ausgeſtellt
wurden — ſämmtlich ſo gut erhalten, daß ihnen mit
wenig Ausbeſſerung das Anſehn der Neuheit gege-
ben werden könnte. Die Ausſicht vom Thurme iſt
ſehr freundlich. Man iſt hier dem Teufelsbiß ganz
nahe, deſſen groteske Form freilich zu auffallend war,
*) Es wurde hier ein Theil des wahren Kreuzes Chriſti
aufbewahrt, der dem Kloſter den Namen gab, und
auch jedes einzelne Gebäude war deshalb mit einem
hohen Steinkreuze geſchmückt, von denen nur eins noch
ſich erhalten hat.
A. d. H.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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