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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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ein, und ein derber Regen strömte auf uns herab,
gegen den mein Schirm mich nicht lange schützte.
Wir flüchteten endlich in die Ruine einer alten Burg,
und nachdem ich mühsam eine verfallne Wendeltreppe
erstiegen, gelangte ich auf den Ueberrest eines Söl-
lers, wo ich unter Epheuranken ein gutes Obdach
fand. Alles um mich her sah aber gar melancholisch
aus. Die zerbröckelten Mauern, der Wind, der kla-
gend durch sie hinrauschte, der monotone Fall des
Regens, und die so unangenehm getäuschte Hoff-
nung, stimmten mich ganz traurig -- ich dachte
seufzend, wie mir nichts, auch das Kleinste nicht,
wie ich es wünsche, gelingt, wie Alles, was ich un-
ternehme, das Ansehen des Unzeitgemäßen und Son-
derlingartigen annimmt, so daß ich überall wie hier,
was Andere bei Sonnenschein vollbringen, in Regen
und Sturm durcharbeiten muß. Ungeduldig verließ
ich das alte Gemäuer, und steuerte wieder bergan.
Das Wetter wurde aber nun so fürchterlich, und der
sich erhebende Sturm selbst so gefährlich, daß wir
von neuem in einer elenden verfallenen Hütte Schutz
suchen mußten. In dem räuchrigen Innern spann
stillschweigend eine alte Frau, und einige halbnackte
Kinder kauten, auf dem Boden liegend, an trocknen
Brodrinden. Mein Eintreten schien von der ganzen
Familie kaum bemerkt zu werden, wenigstens än-
derte es nichts in ihren Beschäftigungen. Ei-
nen Augenblick starrten mich die Kinder ohne
Neugierde an, und fielen dann wieder in die
Apathie des Elends zurück. Ich setzte mich auf den

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ein, und ein derber Regen ſtrömte auf uns herab,
gegen den mein Schirm mich nicht lange ſchützte.
Wir flüchteten endlich in die Ruine einer alten Burg,
und nachdem ich mühſam eine verfallne Wendeltreppe
erſtiegen, gelangte ich auf den Ueberreſt eines Söl-
lers, wo ich unter Epheuranken ein gutes Obdach
fand. Alles um mich her ſah aber gar melancholiſch
aus. Die zerbröckelten Mauern, der Wind, der kla-
gend durch ſie hinrauſchte, der monotone Fall des
Regens, und die ſo unangenehm getäuſchte Hoff-
nung, ſtimmten mich ganz traurig — ich dachte
ſeufzend, wie mir nichts, auch das Kleinſte nicht,
wie ich es wünſche, gelingt, wie Alles, was ich un-
ternehme, das Anſehen des Unzeitgemäßen und Son-
derlingartigen annimmt, ſo daß ich überall wie hier,
was Andere bei Sonnenſchein vollbringen, in Regen
und Sturm durcharbeiten muß. Ungeduldig verließ
ich das alte Gemäuer, und ſteuerte wieder bergan.
Das Wetter wurde aber nun ſo fürchterlich, und der
ſich erhebende Sturm ſelbſt ſo gefährlich, daß wir
von neuem in einer elenden verfallenen Hütte Schutz
ſuchen mußten. In dem räuchrigen Innern ſpann
ſtillſchweigend eine alte Frau, und einige halbnackte
Kinder kauten, auf dem Boden liegend, an trocknen
Brodrinden. Mein Eintreten ſchien von der ganzen
Familie kaum bemerkt zu werden, wenigſtens än-
derte es nichts in ihren Beſchäftigungen. Ei-
nen Augenblick ſtarrten mich die Kinder ohne
Neugierde an, und fielen dann wieder in die
Apathie des Elends zurück. Ich ſetzte mich auf den

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[67/0091] ein, und ein derber Regen ſtrömte auf uns herab, gegen den mein Schirm mich nicht lange ſchützte. Wir flüchteten endlich in die Ruine einer alten Burg, und nachdem ich mühſam eine verfallne Wendeltreppe erſtiegen, gelangte ich auf den Ueberreſt eines Söl- lers, wo ich unter Epheuranken ein gutes Obdach fand. Alles um mich her ſah aber gar melancholiſch aus. Die zerbröckelten Mauern, der Wind, der kla- gend durch ſie hinrauſchte, der monotone Fall des Regens, und die ſo unangenehm getäuſchte Hoff- nung, ſtimmten mich ganz traurig — ich dachte ſeufzend, wie mir nichts, auch das Kleinſte nicht, wie ich es wünſche, gelingt, wie Alles, was ich un- ternehme, das Anſehen des Unzeitgemäßen und Son- derlingartigen annimmt, ſo daß ich überall wie hier, was Andere bei Sonnenſchein vollbringen, in Regen und Sturm durcharbeiten muß. Ungeduldig verließ ich das alte Gemäuer, und ſteuerte wieder bergan. Das Wetter wurde aber nun ſo fürchterlich, und der ſich erhebende Sturm ſelbſt ſo gefährlich, daß wir von neuem in einer elenden verfallenen Hütte Schutz ſuchen mußten. In dem räuchrigen Innern ſpann ſtillſchweigend eine alte Frau, und einige halbnackte Kinder kauten, auf dem Boden liegend, an trocknen Brodrinden. Mein Eintreten ſchien von der ganzen Familie kaum bemerkt zu werden, wenigſtens än- derte es nichts in ihren Beſchäftigungen. Ei- nen Augenblick ſtarrten mich die Kinder ohne Neugierde an, und fielen dann wieder in die Apathie des Elends zurück. Ich ſetzte mich auf den 5*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/91>, abgerufen am 02.05.2024.