Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.
Christen bekehren, bis Ihr Euch von mir nicht auch augenblickliches Interesse auf die Wilden zu wirken,
kann nur durch Handel erreicht werden, und scheint der gerechteste und mildeste von allen, würde aber doch auch von einem gewissen Zwang begleitet werden müs- sen, um schnelle und dauernde Resultate herbeizuführen. Das Schlimmste bei den Bemühungen, das Christenthum voreilig einzuführen, ist aber ohne Zweifel, daß die Wilden, sobald sie mit Christen in Collision kommen, gewahr werden müssen, daß diese selbst fast in allen Dingen, dieser Lehre der Liebe fortwährend, sowohl unter sich als gegen sie selbst ent- gegenhandeln, Gouvernements, Corporationen und Ein- zelne. Ihr einfacher Verstand, der durch höhere Cultur noch nicht rektificirt ist, kann dies ohnmöglich zusam- menreimen, und da sie überdem, wie Kinder bei der neuen Lehre hauptsächlich nur die Mythe ins Auge fas- sen, so ist es ihnen nicht sehr zu verdenken, wenn die Liberalen oder Freidenker unter ihnen ausrufen: "Fabel für Fabel, Morden für Morden, Sclaven verkaufen für Sclaven verkaufen -- wo ist der Unterschied?" Hätten die christlichen Mächte ernstlich den Sclavenhandel abgeschafft, und zugleich die, zur Schande Europa's, noch immer bestehenden, Raubnester an Afrika's Küsten vernichtet, England aber, statt einen einzelnen Rei- senden nach dem andern (die sich noch obendrein durch ihre englische christliche Arroganz, ohne die Mittel sie durchzufüh[r]en, dort nur verächtlich und lächerlich ma- chen) von den Einwohnern umbringen, oder am Clima sterben zu lassen -- eine sich Respekt verschaffende, und durch vorgängigen Aufenthalt an der Küste schon abge- härtete, Expedition ins Innere geschickt, die mit Würde und mit wohlthätiger Gewalt, dem Handel eine mensch- lichere Richtung zu geben, und die entgegenstehenden Hindernisse, wenn auch zum Theil durch die Macht der Waffen, zu zerstören gesucht hätte -- so würde gewiß Chriſten bekehren, bis Ihr Euch von mir nicht auch augenblickliches Intereſſe auf die Wilden zu wirken,
kann nur durch Handel erreicht werden, und ſcheint der gerechteſte und mildeſte von allen, würde aber doch auch von einem gewiſſen Zwang begleitet werden müſ- ſen, um ſchnelle und dauernde Reſultate herbeizuführen. Das Schlimmſte bei den Bemühungen, das Chriſtenthum voreilig einzuführen, iſt aber ohne Zweifel, daß die Wilden, ſobald ſie mit Chriſten in Colliſion kommen, gewahr werden müſſen, daß dieſe ſelbſt faſt in allen Dingen, dieſer Lehre der Liebe fortwährend, ſowohl unter ſich als gegen ſie ſelbſt ent- gegenhandeln, Gouvernements, Corporationen und Ein- zelne. Ihr einfacher Verſtand, der durch höhere Cultur noch nicht rektificirt iſt, kann dies ohnmöglich zuſam- menreimen, und da ſie überdem, wie Kinder bei der neuen Lehre hauptſächlich nur die Mythe ins Auge faſ- ſen, ſo iſt es ihnen nicht ſehr zu verdenken, wenn die Liberalen oder Freidenker unter ihnen ausrufen: „Fabel für Fabel, Morden für Morden, Sclaven verkaufen für Sclaven verkaufen — wo iſt der Unterſchied?“ Hätten die chriſtlichen Mächte ernſtlich den Sclavenhandel abgeſchafft, und zugleich die, zur Schande Europa’s, noch immer beſtehenden, Raubneſter an Afrika’s Küſten vernichtet, England aber, ſtatt einen einzelnen Rei- ſenden nach dem andern (die ſich noch obendrein durch ihre engliſche chriſtliche Arroganz, ohne die Mittel ſie durchzufüh[r]en, dort nur verächtlich und lächerlich ma- chen) von den Einwohnern umbringen, oder am Clima ſterben zu laſſen — eine ſich Reſpekt verſchaffende, und durch vorgängigen Aufenthalt an der Küſte ſchon abge- härtete, Expedition ins Innere geſchickt, die mit Würde und mit wohlthätiger Gewalt, dem Handel eine menſch- lichere Richtung zu geben, und die entgegenſtehenden Hinderniſſe, wenn auch zum Theil durch die Macht der Waffen, zu zerſtören geſucht hätte — ſo würde gewiß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0078" n="54"/> Chriſten bekehren, bis Ihr Euch von mir nicht auch<lb/> zum Hindu habt bekehren laſſen — denn ich glaube<lb/><note next="#seg2pn_2_3" xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)">augenblickliches Intereſſe auf die Wilden zu wirken,<lb/> kann nur durch <hi rendition="#g">Handel</hi> erreicht werden, und ſcheint<lb/> der gerechteſte und mildeſte von allen, würde aber doch<lb/> auch von einem gewiſſen Zwang begleitet werden müſ-<lb/> ſen, um ſchnelle und dauernde Reſultate <choice><sic>herbeizufu̇hren</sic><corr>herbeizuführen</corr></choice>.<lb/> Das Schlimmſte bei den Bemühungen, das Chriſtenthum<lb/> voreilig einzuführen, iſt aber ohne Zweifel, daß die Wilden,<lb/> ſobald ſie mit Chriſten in Colliſion kommen, gewahr werden<lb/> müſſen, daß dieſe ſelbſt faſt in allen Dingen, dieſer Lehre der<lb/> Liebe fortwährend, ſowohl unter ſich als gegen ſie ſelbſt ent-<lb/> gegenhandeln, Gouvernements, Corporationen und Ein-<lb/> zelne. Ihr einfacher Verſtand, der durch höhere Cultur<lb/> noch nicht rektificirt iſt, kann dies ohnmöglich zuſam-<lb/> menreimen, und da ſie überdem, wie Kinder bei der<lb/> neuen Lehre hauptſächlich nur die Mythe ins Auge faſ-<lb/> ſen, ſo iſt es ihnen nicht ſehr zu verdenken, wenn die<lb/> Liberalen oder Freidenker unter ihnen ausrufen: „Fabel<lb/> für Fabel, Morden für Morden, Sclaven verkaufen für<lb/> Sclaven verkaufen — wo iſt der Unterſchied?“ Hätten<lb/> die chriſtlichen Mächte <hi rendition="#g">ernſtlich</hi> den Sclavenhandel<lb/> abgeſchafft, und zugleich die, zur Schande Europa’s,<lb/> noch immer beſtehenden, Raubneſter an Afrika’s Küſten<lb/> vernichtet, England aber, ſtatt <hi rendition="#g">einen</hi> einzelnen Rei-<lb/> ſenden nach dem <hi rendition="#g">andern</hi> (die ſich noch obendrein durch<lb/> ihre engliſche chriſtliche Arroganz, ohne die Mittel ſie<lb/> durchzufüh<supplied>r</supplied>en, dort nur verächtlich und lächerlich ma-<lb/> chen) von den Einwohnern umbringen, oder am Clima<lb/> ſterben zu laſſen — eine ſich Reſpekt verſchaffende, und<lb/> durch vorgängigen Aufenthalt an der Küſte ſchon abge-<lb/> härtete, Expedition ins Innere geſchickt, die mit Würde<lb/> und mit wohlthätiger Gewalt, dem Handel eine menſch-<lb/> lichere Richtung zu geben, und die entgegenſtehenden<lb/> Hinderniſſe, wenn auch zum Theil durch die Macht der<lb/> Waffen, zu zerſtören geſucht hätte — ſo würde gewiß</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0078]
Chriſten bekehren, bis Ihr Euch von mir nicht auch
zum Hindu habt bekehren laſſen — denn ich glaube
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*) augenblickliches Intereſſe auf die Wilden zu wirken,
kann nur durch Handel erreicht werden, und ſcheint
der gerechteſte und mildeſte von allen, würde aber doch
auch von einem gewiſſen Zwang begleitet werden müſ-
ſen, um ſchnelle und dauernde Reſultate herbeizuführen.
Das Schlimmſte bei den Bemühungen, das Chriſtenthum
voreilig einzuführen, iſt aber ohne Zweifel, daß die Wilden,
ſobald ſie mit Chriſten in Colliſion kommen, gewahr werden
müſſen, daß dieſe ſelbſt faſt in allen Dingen, dieſer Lehre der
Liebe fortwährend, ſowohl unter ſich als gegen ſie ſelbſt ent-
gegenhandeln, Gouvernements, Corporationen und Ein-
zelne. Ihr einfacher Verſtand, der durch höhere Cultur
noch nicht rektificirt iſt, kann dies ohnmöglich zuſam-
menreimen, und da ſie überdem, wie Kinder bei der
neuen Lehre hauptſächlich nur die Mythe ins Auge faſ-
ſen, ſo iſt es ihnen nicht ſehr zu verdenken, wenn die
Liberalen oder Freidenker unter ihnen ausrufen: „Fabel
für Fabel, Morden für Morden, Sclaven verkaufen für
Sclaven verkaufen — wo iſt der Unterſchied?“ Hätten
die chriſtlichen Mächte ernſtlich den Sclavenhandel
abgeſchafft, und zugleich die, zur Schande Europa’s,
noch immer beſtehenden, Raubneſter an Afrika’s Küſten
vernichtet, England aber, ſtatt einen einzelnen Rei-
ſenden nach dem andern (die ſich noch obendrein durch
ihre engliſche chriſtliche Arroganz, ohne die Mittel ſie
durchzuführen, dort nur verächtlich und lächerlich ma-
chen) von den Einwohnern umbringen, oder am Clima
ſterben zu laſſen — eine ſich Reſpekt verſchaffende, und
durch vorgängigen Aufenthalt an der Küſte ſchon abge-
härtete, Expedition ins Innere geſchickt, die mit Würde
und mit wohlthätiger Gewalt, dem Handel eine menſch-
lichere Richtung zu geben, und die entgegenſtehenden
Hinderniſſe, wenn auch zum Theil durch die Macht der
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