Gebräuche darthun. Die Dienerschaft hält sich nie im Vorzimmer, hier die Halle genannt, auf, welche immer wie die Ouverture bei einer Oper, den Charakter des Ganzen anzudeuten sucht. Sie ist gewöhnlich mit Ge- mälden oder Statüen geschmückt, und dient, wie die elegante Treppe und alle übrigen Zimmer, nur zum beliebigen Aufenthalt der Familie und Gäste, welche sich lieber manchmal selbst bedienen, als immer einen solchen dienenden Geist hinter ihren Fußstapfen wis- sen wollen. Die Bedienten sind daher alle in einer entfernteren großen Stube (gewöhnlich im rez de chaussee) versammelt, wo sie auch zusammen, ohne Ausnahme, männliche und weibliche, zu gleicher Zeit essen, und wo alle Klingeln aus dem Hause eben- falls aboutiren. Diese hängen in einer Reihe num- merirt an der Wand, so daß man sogleich sehen kann, von woher geklingelt wird; an jeder ist noch eine Art pendulum angebracht, der sich 10 Minuten lang, nachdem die Klingel schweigt, noch fortbewegt, um den Saumseligen an seine Pflicht zu erinnern!*) Das weibliche Personal hat gleichfalls ein großes Versammlungszimmer, worin es, wenn nichts ande- res vorkömmt, näht, strickt und spinnt. Daneden befindet sich ein Behältniß zum reinigen der Glas-
*) Diese Penduln könnten also von einem spitzfindigen Bedienten, je nachdem sie längere oder kürzere Zeit nachschwingen, zugleich als ein Thermo- oder Hygeo- meter der Geduld ihrer respektiven Herrschaften be- nutzt werden. A. d. H.
Gebräuche darthun. Die Dienerſchaft hält ſich nie im Vorzimmer, hier die Halle genannt, auf, welche immer wie die Ouverture bei einer Oper, den Charakter des Ganzen anzudeuten ſucht. Sie iſt gewöhnlich mit Ge- mälden oder Statüen geſchmückt, und dient, wie die elegante Treppe und alle übrigen Zimmer, nur zum beliebigen Aufenthalt der Familie und Gäſte, welche ſich lieber manchmal ſelbſt bedienen, als immer einen ſolchen dienenden Geiſt hinter ihren Fußſtapfen wiſ- ſen wollen. Die Bedienten ſind daher alle in einer entfernteren großen Stube (gewöhnlich im rez de chaussée) verſammelt, wo ſie auch zuſammen, ohne Ausnahme, männliche und weibliche, zu gleicher Zeit eſſen, und wo alle Klingeln aus dem Hauſe eben- falls aboutiren. Dieſe hängen in einer Reihe num- merirt an der Wand, ſo daß man ſogleich ſehen kann, von woher geklingelt wird; an jeder iſt noch eine Art pendulum angebracht, der ſich 10 Minuten lang, nachdem die Klingel ſchweigt, noch fortbewegt, um den Saumſeligen an ſeine Pflicht zu erinnern!*) Das weibliche Perſonal hat gleichfalls ein großes Verſammlungszimmer, worin es, wenn nichts ande- res vorkömmt, näht, ſtrickt und ſpinnt. Daneden befindet ſich ein Behältniß zum reinigen der Glas-
*) Dieſe Penduln könnten alſo von einem ſpitzfindigen Bedienten, je nachdem ſie längere oder kürzere Zeit nachſchwingen, zugleich als ein Thermo- oder Hygeo- meter der Geduld ihrer reſpektiven Herrſchaften be- nutzt werden. A. d. H.
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Gebräuche darthun. Die Dienerſchaft hält ſich nie im
Vorzimmer, hier die Halle genannt, auf, welche immer
wie die Ouverture bei einer Oper, den Charakter des
Ganzen anzudeuten ſucht. Sie iſt gewöhnlich mit Ge-
mälden oder Statüen geſchmückt, und dient, wie die
elegante Treppe und alle übrigen Zimmer, nur zum
beliebigen Aufenthalt der Familie und Gäſte, welche
ſich lieber manchmal ſelbſt bedienen, als immer einen
ſolchen dienenden Geiſt hinter ihren Fußſtapfen wiſ-
ſen wollen. Die Bedienten ſind daher alle in einer
entfernteren großen Stube (gewöhnlich im rez de
chaussée) verſammelt, wo ſie auch zuſammen, ohne
Ausnahme, männliche und weibliche, zu gleicher Zeit
eſſen, und wo alle Klingeln aus dem Hauſe eben-
falls aboutiren. Dieſe hängen in einer Reihe num-
merirt an der Wand, ſo daß man ſogleich ſehen
kann, von woher geklingelt wird; an jeder iſt noch
eine Art pendulum angebracht, der ſich 10 Minuten
lang, nachdem die Klingel ſchweigt, noch fortbewegt,
um den Saumſeligen an ſeine Pflicht zu erinnern! *)
Das weibliche Perſonal hat gleichfalls ein großes
Verſammlungszimmer, worin es, wenn nichts ande-
res vorkömmt, näht, ſtrickt und ſpinnt. Daneden
befindet ſich ein Behältniß zum reinigen der Glas-
*) Dieſe Penduln könnten alſo von einem ſpitzfindigen
Bedienten, je nachdem ſie längere oder kürzere Zeit
nachſchwingen, zugleich als ein Thermo- oder Hygeo-
meter der Geduld ihrer reſpektiven Herrſchaften be-
nutzt werden. A. d. H.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/67>, abgerufen am 16.02.2025.
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