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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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sen, von denen ich schon einst als Kind, und jetzt
wiederum in London viel erzählen hörte. Du hast
gewiß auch durch Deinen Vater Kunde von ihnen
vernommen. Sinon, voila leur histoire. Vor 56
Jahren kam es zwei vornehmen, jungen, hübschen
und fashionablen Damen in London, Lady Elleonor
Buttler und der Tochter des eben verstorbenen Lord
Ponsonby, in ihre Köpfchen, die Männer zu hassen,
nur sich zu lieben und zu leben, und von Stunde
an, als Zweisiedler in eine Einsiedelei zu ziehen. Der
Entschluß wurde sofort ausgeführt, und nie haben
beide Damen seit dieser Zeit auch nur eine Nacht
außer ihrer Cottage geschlafen. Dagegen reist kein
Mensch nach Wales, der präsentabel ist, ohne sich
einen Brief oder Empfehlung an sie mitgeben zu
lassen, und wie man behauptet, interessirt sie "scan-
dal"
noch heute eben so sehr, wie damals, als sie
noch in der Welt lebten, und ihre Neugierde, Alles,
was in dieser vorgeht, zu hören, soll sich ebenfalls
gleich frisch erhalten haben. Ich hatte von mehreren
Damen zwar Complimente für sie, aber keinen Brief,
den ich zu verlangen vergessen, und schickte daher nur
meine Karte, entschlossen, wenn sie meinen Besuch
ablehnten, wie man mich befürchten machen wollte,
die Cottage zu erstürmen. Rang öffnete aber hier
leicht die Thüren, und ich erhielt sofort eine gra-
cieuse Einladung zu einem zweiten Frühstück. In
einer Viertelstunde langte ich in der reizendsten Um-
gebung, durch einen netten pleasureground fahrend,
bei einem kleinen geschmackvollen gothischen Häuschen

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ſen, von denen ich ſchon einſt als Kind, und jetzt
wiederum in London viel erzählen hörte. Du haſt
gewiß auch durch Deinen Vater Kunde von ihnen
vernommen. Sinon, voilà leur histoire. Vor 56
Jahren kam es zwei vornehmen, jungen, hübſchen
und faſhionablen Damen in London, Lady Elleonor
Buttler und der Tochter des eben verſtorbenen Lord
Ponſonby, in ihre Köpfchen, die Männer zu haſſen,
nur ſich zu lieben und zu leben, und von Stunde
an, als Zweiſiedler in eine Einſiedelei zu ziehen. Der
Entſchluß wurde ſofort ausgeführt, und nie haben
beide Damen ſeit dieſer Zeit auch nur eine Nacht
außer ihrer Cottage geſchlafen. Dagegen reist kein
Menſch nach Wales, der präſentabel iſt, ohne ſich
einen Brief oder Empfehlung an ſie mitgeben zu
laſſen, und wie man behauptet, intereſſirt ſie „scan-
dal“
noch heute eben ſo ſehr, wie damals, als ſie
noch in der Welt lebten, und ihre Neugierde, Alles,
was in dieſer vorgeht, zu hören, ſoll ſich ebenfalls
gleich friſch erhalten haben. Ich hatte von mehreren
Damen zwar Complimente für ſie, aber keinen Brief,
den ich zu verlangen vergeſſen, und ſchickte daher nur
meine Karte, entſchloſſen, wenn ſie meinen Beſuch
ablehnten, wie man mich befürchten machen wollte,
die Cottage zu erſtürmen. Rang öffnete aber hier
leicht die Thüren, und ich erhielt ſofort eine gra-
cieuſe Einladung zu einem zweiten Frühſtück. In
einer Viertelſtunde langte ich in der reizendſten Um-
gebung, durch einen netten pleasureground fahrend,
bei einem kleinen geſchmackvollen gothiſchen Häuschen

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[19/0043] ſen, von denen ich ſchon einſt als Kind, und jetzt wiederum in London viel erzählen hörte. Du haſt gewiß auch durch Deinen Vater Kunde von ihnen vernommen. Sinon, voilà leur histoire. Vor 56 Jahren kam es zwei vornehmen, jungen, hübſchen und faſhionablen Damen in London, Lady Elleonor Buttler und der Tochter des eben verſtorbenen Lord Ponſonby, in ihre Köpfchen, die Männer zu haſſen, nur ſich zu lieben und zu leben, und von Stunde an, als Zweiſiedler in eine Einſiedelei zu ziehen. Der Entſchluß wurde ſofort ausgeführt, und nie haben beide Damen ſeit dieſer Zeit auch nur eine Nacht außer ihrer Cottage geſchlafen. Dagegen reist kein Menſch nach Wales, der präſentabel iſt, ohne ſich einen Brief oder Empfehlung an ſie mitgeben zu laſſen, und wie man behauptet, intereſſirt ſie „scan- dal“ noch heute eben ſo ſehr, wie damals, als ſie noch in der Welt lebten, und ihre Neugierde, Alles, was in dieſer vorgeht, zu hören, ſoll ſich ebenfalls gleich friſch erhalten haben. Ich hatte von mehreren Damen zwar Complimente für ſie, aber keinen Brief, den ich zu verlangen vergeſſen, und ſchickte daher nur meine Karte, entſchloſſen, wenn ſie meinen Beſuch ablehnten, wie man mich befürchten machen wollte, die Cottage zu erſtürmen. Rang öffnete aber hier leicht die Thüren, und ich erhielt ſofort eine gra- cieuſe Einladung zu einem zweiten Frühſtück. In einer Viertelſtunde langte ich in der reizendſten Um- gebung, durch einen netten pleasureground fahrend, bei einem kleinen geſchmackvollen gothiſchen Häuschen 2*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/43>, abgerufen am 29.03.2024.