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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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scher finden!" Aber die, welche dem silbernen Deckel
zunächst standen, wandten sich mit Grausen davon,
denn es deuchte ihnen, als bewegten sich die verwor-
renen Charaktere darauf, wie ein Knäuel in einander
sich verschlingender Würmer, und ein schauerlicher
Laut schien klagend daraus hervorzutönen, wie einst
aus dem Coloß zu Theben. Voll Sorge legten sich
Alle zur Ruhe, nur Einer floh in das nahe Gebürge.
Als nun der Morgen anbrach, und dieser Mann wie-
der hinab in das Thal blickte -- da rieb er sich ver-
gebens die Augen, und glaubte noch zu träumen --
Stadt und Land waren verschwunden, die reichen
Fluren nicht mehr vorhanden, und der kleine Brun-
nen, aus der Erde Klüften schwellend fort und fort,
hatte einen unabsehbaren See geboren. -- Geschehen
war, was O' Donnohue prophezeiht: Kühler war in
einer Nacht für Alle das Wasser geworden, und das
letzte Bad hatte ihm die neue Wanne bereitet!

Nur bei ganz hellem klaren Wetter haben, wie
die Fischer behaupten, Manche noch jetzt auf des Sees
"tiefunterstem Grunde" Palläste und Thürme, wie
durch Glas, schimmern gesehen, aber viele schon er-
blickten, wenn ein Sturm dem Ausbruch nahe war,
O' Donnohue's riesige Gestalt, auf weißem schnau-
benden Roß auf den Wogen reitend, oder in gespen-
stiger Gondel mit der Schnelle des Falken über die
Wasser gleiten.

Einer unsrer Bootsleute, ein Mann von ohngefähr
fünfzig Jahren, mit langem schwarzen Haar, das der

ſcher finden!“ Aber die, welche dem ſilbernen Deckel
zunächſt ſtanden, wandten ſich mit Grauſen davon,
denn es deuchte ihnen, als bewegten ſich die verwor-
renen Charaktere darauf, wie ein Knäuel in einander
ſich verſchlingender Würmer, und ein ſchauerlicher
Laut ſchien klagend daraus hervorzutönen, wie einſt
aus dem Coloß zu Theben. Voll Sorge legten ſich
Alle zur Ruhe, nur Einer floh in das nahe Gebürge.
Als nun der Morgen anbrach, und dieſer Mann wie-
der hinab in das Thal blickte — da rieb er ſich ver-
gebens die Augen, und glaubte noch zu träumen —
Stadt und Land waren verſchwunden, die reichen
Fluren nicht mehr vorhanden, und der kleine Brun-
nen, aus der Erde Klüften ſchwellend fort und fort,
hatte einen unabſehbaren See geboren. — Geſchehen
war, was O’ Donnohue prophezeiht: Kühler war in
einer Nacht für Alle das Waſſer geworden, und das
letzte Bad hatte ihm die neue Wanne bereitet!

Nur bei ganz hellem klaren Wetter haben, wie
die Fiſcher behaupten, Manche noch jetzt auf des Sees
„tiefunterſtem Grunde“ Palläſte und Thürme, wie
durch Glas, ſchimmern geſehen, aber viele ſchon er-
blickten, wenn ein Sturm dem Ausbruch nahe war,
O’ Donnohue’s rieſige Geſtalt, auf weißem ſchnau-
benden Roß auf den Wogen reitend, oder in geſpen-
ſtiger Gondel mit der Schnelle des Falken über die
Waſſer gleiten.

Einer unſrer Bootsleute, ein Mann von ohngefähr
fünfzig Jahren, mit langem ſchwarzen Haar, das der

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[295/0319] ſcher finden!“ Aber die, welche dem ſilbernen Deckel zunächſt ſtanden, wandten ſich mit Grauſen davon, denn es deuchte ihnen, als bewegten ſich die verwor- renen Charaktere darauf, wie ein Knäuel in einander ſich verſchlingender Würmer, und ein ſchauerlicher Laut ſchien klagend daraus hervorzutönen, wie einſt aus dem Coloß zu Theben. Voll Sorge legten ſich Alle zur Ruhe, nur Einer floh in das nahe Gebürge. Als nun der Morgen anbrach, und dieſer Mann wie- der hinab in das Thal blickte — da rieb er ſich ver- gebens die Augen, und glaubte noch zu träumen — Stadt und Land waren verſchwunden, die reichen Fluren nicht mehr vorhanden, und der kleine Brun- nen, aus der Erde Klüften ſchwellend fort und fort, hatte einen unabſehbaren See geboren. — Geſchehen war, was O’ Donnohue prophezeiht: Kühler war in einer Nacht für Alle das Waſſer geworden, und das letzte Bad hatte ihm die neue Wanne bereitet! Nur bei ganz hellem klaren Wetter haben, wie die Fiſcher behaupten, Manche noch jetzt auf des Sees „tiefunterſtem Grunde“ Palläſte und Thürme, wie durch Glas, ſchimmern geſehen, aber viele ſchon er- blickten, wenn ein Sturm dem Ausbruch nahe war, O’ Donnohue’s rieſige Geſtalt, auf weißem ſchnau- benden Roß auf den Wogen reitend, oder in geſpen- ſtiger Gondel mit der Schnelle des Falken über die Waſſer gleiten. Einer unſrer Bootsleute, ein Mann von ohngefähr fünfzig Jahren, mit langem ſchwarzen Haar, das der

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/319>, abgerufen am 04.05.2024.