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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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führte. -- Bei dieser schrecklichen Gewißheit nahm die
Hölle Besitz von seiner Seele. Seine Augen starr-
ten aus ihren Höhlen, Furien wühlten in seinem
Busen, das Blut tobte zersprengend gegen seine
Pulse, und wie ein Verschmachteter lechzt nach ei-
nem Trunke kühlenden Wassers, so lechzte sein gan-
zes Wesen nach dem Blute der Rache. Einem reißen-
den Tiger gleich, stürzte er auf den unglücklichen
Jüngling zu, der, ihn erkennend, vergebens entfloh.
In wenigen Augenblicken war er erreicht, und hun-
dertmal seinen Dolch, mit der Schnelle des Blitzes,
in dem zuckenden Körper begrabend, zerfleischte der
Rasende mit satanischer Wuth die Reize, welche ihm
die Geliebte, und die Ruhe des Lebens geraubt.
Nur als der Mond jetzt hell hinter einer schwarzen
Wolke hervortrat, und gähling das gräßliche Schau-
spiel erleuchtete, die entstellte Masse vor ihm, kaum
noch einen Zug des gemordeten Freundes mehr an
sich trug, und ein Strom schon gerinnenden Blutes
ihn, den Todten, und die Erde um sie her bedeckte
-- da erwachte er mit furchtbarem Entsetzen, wie
aus einem höllischen Traume. Doch die That war
geschehen, und das Gericht begann.

Dem Instinkt der Selbsterhaltung folgend rannte
er, gleich Cain, fliehend in den nahen Wald -- wie
lange er dort umhergeirrt, war nachher seiner Erin-
nerung entschwunden, Angst, Verzweiflung, Liebe,
Reue, und Wahnsinn zu letzt, mochten, als soviel
schauderhafte Begleiter, ihn verfolgt, und endlich der
Besinnung beraubt haben, in lindernder Vergessen-

führte. — Bei dieſer ſchrecklichen Gewißheit nahm die
Hölle Beſitz von ſeiner Seele. Seine Augen ſtarr-
ten aus ihren Höhlen, Furien wühlten in ſeinem
Buſen, das Blut tobte zerſprengend gegen ſeine
Pulſe, und wie ein Verſchmachteter lechzt nach ei-
nem Trunke kühlenden Waſſers, ſo lechzte ſein gan-
zes Weſen nach dem Blute der Rache. Einem reißen-
den Tiger gleich, ſtürzte er auf den unglücklichen
Jüngling zu, der, ihn erkennend, vergebens entfloh.
In wenigen Augenblicken war er erreicht, und hun-
dertmal ſeinen Dolch, mit der Schnelle des Blitzes,
in dem zuckenden Körper begrabend, zerfleiſchte der
Raſende mit ſataniſcher Wuth die Reize, welche ihm
die Geliebte, und die Ruhe des Lebens geraubt.
Nur als der Mond jetzt hell hinter einer ſchwarzen
Wolke hervortrat, und gähling das gräßliche Schau-
ſpiel erleuchtete, die entſtellte Maſſe vor ihm, kaum
noch einen Zug des gemordeten Freundes mehr an
ſich trug, und ein Strom ſchon gerinnenden Blutes
ihn, den Todten, und die Erde um ſie her bedeckte
— da erwachte er mit furchtbarem Entſetzen, wie
aus einem hölliſchen Traume. Doch die That war
geſchehen, und das Gericht begann.

Dem Inſtinkt der Selbſterhaltung folgend rannte
er, gleich Cain, fliehend in den nahen Wald — wie
lange er dort umhergeirrt, war nachher ſeiner Erin-
nerung entſchwunden, Angſt, Verzweiflung, Liebe,
Reue, und Wahnſinn zu letzt, mochten, als ſoviel
ſchauderhafte Begleiter, ihn verfolgt, und endlich der
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[276/0300] führte. — Bei dieſer ſchrecklichen Gewißheit nahm die Hölle Beſitz von ſeiner Seele. Seine Augen ſtarr- ten aus ihren Höhlen, Furien wühlten in ſeinem Buſen, das Blut tobte zerſprengend gegen ſeine Pulſe, und wie ein Verſchmachteter lechzt nach ei- nem Trunke kühlenden Waſſers, ſo lechzte ſein gan- zes Weſen nach dem Blute der Rache. Einem reißen- den Tiger gleich, ſtürzte er auf den unglücklichen Jüngling zu, der, ihn erkennend, vergebens entfloh. In wenigen Augenblicken war er erreicht, und hun- dertmal ſeinen Dolch, mit der Schnelle des Blitzes, in dem zuckenden Körper begrabend, zerfleiſchte der Raſende mit ſataniſcher Wuth die Reize, welche ihm die Geliebte, und die Ruhe des Lebens geraubt. Nur als der Mond jetzt hell hinter einer ſchwarzen Wolke hervortrat, und gähling das gräßliche Schau- ſpiel erleuchtete, die entſtellte Maſſe vor ihm, kaum noch einen Zug des gemordeten Freundes mehr an ſich trug, und ein Strom ſchon gerinnenden Blutes ihn, den Todten, und die Erde um ſie her bedeckte — da erwachte er mit furchtbarem Entſetzen, wie aus einem hölliſchen Traume. Doch die That war geſchehen, und das Gericht begann. Dem Inſtinkt der Selbſterhaltung folgend rannte er, gleich Cain, fliehend in den nahen Wald — wie lange er dort umhergeirrt, war nachher ſeiner Erin- nerung entſchwunden, Angſt, Verzweiflung, Liebe, Reue, und Wahnſinn zu letzt, mochten, als ſoviel ſchauderhafte Begleiter, ihn verfolgt, und endlich der Beſinnung beraubt haben, in lindernder Vergeſſen-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/300>, abgerufen am 27.04.2024.