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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Pferde bespannt) auf deren Verdeck ich saß, um die
schönen Aussichten von einem höhern Standpunkte
zu betrachten, hatte ich diese Excursion unternommen.
Nach langem Steigen sieht man endlich, auf einsa-
mer Bergwiese, unter ein Paar Erlen, eine sumpfige
Gruppe kleiner Quellchen, die, so weit der Blick sie
verfolgen kann, als ein unbedeutendes Bächlein hinab
rieseln. Dies ist der bescheidne Anfang der stolzen
Themse. Es ward mir ganz poetisch zu Muthe, als
ich mir dachte, wie ich erst vor einigen Stunden
dasselbe Wasser, nur wenige Meilen davon, mit tau-
fend Schiffen bedeckt sah, und wie dort der glorreiche
Strom, obgleich sein Lauf nur so kurz ist, dennoch
vielleicht mehr Schiffe, mehr Schätze und mehr Men-
schen das Jahr über auf seinem Rücken trage, als
irgend einer seiner colossalen Brüder; wie an seinen
Ufern die Hauptstadt der Welt liege, und wie von
ihnen aus allmächtiger Handel vier Welttheile be-
herrsche! -- Mit respektvoller Verwunderung blickte
ich auf die plätschernden Wasserperlen hin, und ver-
glich sie bald mit Napoleon, der, in Ajaccio incognito
geboren, kurz darauf alle Throne der Erde erzittern
machte -- bald mit der Schnee-Lawine, die unter der
Zehe eines Sperlings sich ablöst, und fünf Minuten
nachher ein Dorf begräbt -- oder mit Rothschild,
dessen Vater Bänder verkaufte, und ohne den heute
keine Macht in Europa Krieg führen zu können
scheint.

Mein Wagenlenker, der zugleich ein beglaubigter
Cheltenham'er Cicerone war, brachte mich von hier

Pferde beſpannt) auf deren Verdeck ich ſaß, um die
ſchönen Ausſichten von einem höhern Standpunkte
zu betrachten, hatte ich dieſe Excurſion unternommen.
Nach langem Steigen ſieht man endlich, auf einſa-
mer Bergwieſe, unter ein Paar Erlen, eine ſumpfige
Gruppe kleiner Quellchen, die, ſo weit der Blick ſie
verfolgen kann, als ein unbedeutendes Bächlein hinab
rieſeln. Dies iſt der beſcheidne Anfang der ſtolzen
Themſe. Es ward mir ganz poetiſch zu Muthe, als
ich mir dachte, wie ich erſt vor einigen Stunden
daſſelbe Waſſer, nur wenige Meilen davon, mit tau-
fend Schiffen bedeckt ſah, und wie dort der glorreiche
Strom, obgleich ſein Lauf nur ſo kurz iſt, dennoch
vielleicht mehr Schiffe, mehr Schätze und mehr Men-
ſchen das Jahr über auf ſeinem Rücken trage, als
irgend einer ſeiner coloſſalen Brüder; wie an ſeinen
Ufern die Hauptſtadt der Welt liege, und wie von
ihnen aus allmächtiger Handel vier Welttheile be-
herrſche! — Mit reſpektvoller Verwunderung blickte
ich auf die plätſchernden Waſſerperlen hin, und ver-
glich ſie bald mit Napoleon, der, in Ajaccio incognito
geboren, kurz darauf alle Throne der Erde erzittern
machte — bald mit der Schnee-Lawine, die unter der
Zehe eines Sperlings ſich ablöst, und fünf Minuten
nachher ein Dorf begräbt — oder mit Rothſchild,
deſſen Vater Bänder verkaufte, und ohne den heute
keine Macht in Europa Krieg führen zu können
ſcheint.

Mein Wagenlenker, der zugleich ein beglaubigter
Cheltenham’er Cicerone war, brachte mich von hier

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[6/0030] Pferde beſpannt) auf deren Verdeck ich ſaß, um die ſchönen Ausſichten von einem höhern Standpunkte zu betrachten, hatte ich dieſe Excurſion unternommen. Nach langem Steigen ſieht man endlich, auf einſa- mer Bergwieſe, unter ein Paar Erlen, eine ſumpfige Gruppe kleiner Quellchen, die, ſo weit der Blick ſie verfolgen kann, als ein unbedeutendes Bächlein hinab rieſeln. Dies iſt der beſcheidne Anfang der ſtolzen Themſe. Es ward mir ganz poetiſch zu Muthe, als ich mir dachte, wie ich erſt vor einigen Stunden daſſelbe Waſſer, nur wenige Meilen davon, mit tau- fend Schiffen bedeckt ſah, und wie dort der glorreiche Strom, obgleich ſein Lauf nur ſo kurz iſt, dennoch vielleicht mehr Schiffe, mehr Schätze und mehr Men- ſchen das Jahr über auf ſeinem Rücken trage, als irgend einer ſeiner coloſſalen Brüder; wie an ſeinen Ufern die Hauptſtadt der Welt liege, und wie von ihnen aus allmächtiger Handel vier Welttheile be- herrſche! — Mit reſpektvoller Verwunderung blickte ich auf die plätſchernden Waſſerperlen hin, und ver- glich ſie bald mit Napoleon, der, in Ajaccio incognito geboren, kurz darauf alle Throne der Erde erzittern machte — bald mit der Schnee-Lawine, die unter der Zehe eines Sperlings ſich ablöst, und fünf Minuten nachher ein Dorf begräbt — oder mit Rothſchild, deſſen Vater Bänder verkaufte, und ohne den heute keine Macht in Europa Krieg führen zu können ſcheint. Mein Wagenlenker, der zugleich ein beglaubigter Cheltenham’er Cicerone war, brachte mich von hier

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/30>, abgerufen am 25.04.2024.