liebsten an. Wie ich in den fast prächtig zu nen- nenden Gasthof eintrat, und auf schneeweißer Stein- treppe, die ein Geländer von Goldbronze zierte, über frisch glänzende Teppiche, von zwei Dienern vorge- leuchtet, nach meiner Stube ging, gab ich mich dem Gefühle des Comforts recht con amore hin, das man nur in England vollkommen kennen lernt. In die- ser Hinsicht ist daher auch für einen Mysantropen, wie ich bin, das hiesige Land ganz geeignet, weil alles, was nichts mit dem Gesellschaftlichen zu thun hat, alles was man für Geld sich verschafft, vortreff- lich und vollständig ist, und man es isolirt genießen kann, ohne daß sich ein Anderer um uns beküm- mert *). Sorgenlos und unbefangen von Geschäften, mit Dir hier zu reisen, wäre das süßeste Vergnügen für mich -- wie sehr entbehre ich Dich überall, und muß Dich wohl innig lieb haben, Du Gute, weil ich, wenn es mir übel geht, stets einen Trost darin finde, daß Du dem Moment wenigstens entgehst, und dagegen wenn ich etwas sehe oder fühle, das mich freut, auch immer, gleich einem Vorwurf, das peinliche Gefühl mit empfinden muß, dies Alles ohne Dich zu genießen! Eine größere Masse mannich- faltigen Lebensgenusses kann man aber gewiß in England auffinden, als es bei uns möglich ist. Nicht umsonst haben hier lange Zeit weise Institutionen gewaltet, und was den Menschenfreund vielleicht am
*) Du wenigstens weißt, daß diese Stimmung nicht in Egoismus begründet ist.
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liebſten an. Wie ich in den faſt prächtig zu nen- nenden Gaſthof eintrat, und auf ſchneeweißer Stein- treppe, die ein Geländer von Goldbronze zierte, über friſch glänzende Teppiche, von zwei Dienern vorge- leuchtet, nach meiner Stube ging, gab ich mich dem Gefühle des Comforts recht con amore hin, das man nur in England vollkommen kennen lernt. In die- ſer Hinſicht iſt daher auch für einen Myſantropen, wie ich bin, das hieſige Land ganz geeignet, weil alles, was nichts mit dem Geſellſchaftlichen zu thun hat, alles was man für Geld ſich verſchafft, vortreff- lich und vollſtändig iſt, und man es iſolirt genießen kann, ohne daß ſich ein Anderer um uns beküm- mert *). Sorgenlos und unbefangen von Geſchäften, mit Dir hier zu reiſen, wäre das ſüßeſte Vergnügen für mich — wie ſehr entbehre ich Dich überall, und muß Dich wohl innig lieb haben, Du Gute, weil ich, wenn es mir übel geht, ſtets einen Troſt darin finde, daß Du dem Moment wenigſtens entgehſt, und dagegen wenn ich etwas ſehe oder fühle, das mich freut, auch immer, gleich einem Vorwurf, das peinliche Gefühl mit empfinden muß, dies Alles ohne Dich zu genießen! Eine größere Maſſe mannich- faltigen Lebensgenuſſes kann man aber gewiß in England auffinden, als es bei uns möglich iſt. Nicht umſonſt haben hier lange Zeit weiſe Inſtitutionen gewaltet, und was den Menſchenfreund vielleicht am
*) Du wenigſtens weißt, daß dieſe Stimmung nicht in Egoismus begründet iſt.
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liebſten an. Wie ich in den faſt prächtig zu nen-
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treppe, die ein Geländer von Goldbronze zierte, über
friſch glänzende Teppiche, von zwei Dienern vorge-
leuchtet, nach meiner Stube ging, gab ich mich dem
Gefühle des Comforts recht con amore hin, das man
nur in England vollkommen kennen lernt. In die-
ſer Hinſicht iſt daher auch für einen Myſantropen,
wie ich bin, das hieſige Land ganz geeignet, weil
alles, was nichts mit dem Geſellſchaftlichen zu thun
hat, alles was man für Geld ſich verſchafft, vortreff-
lich und vollſtändig iſt, und man es iſolirt genießen
kann, ohne daß ſich ein Anderer um uns beküm-
mert *). Sorgenlos und unbefangen von Geſchäften,
mit Dir hier zu reiſen, wäre das ſüßeſte Vergnügen
für mich — wie ſehr entbehre ich Dich überall, und
muß Dich wohl innig lieb haben, Du Gute, weil
ich, wenn es mir übel geht, ſtets einen Troſt darin
finde, daß Du dem Moment wenigſtens entgehſt,
und dagegen wenn ich etwas ſehe oder fühle, das
mich freut, auch immer, gleich einem Vorwurf,
das peinliche Gefühl mit empfinden muß, dies Alles
ohne Dich zu genießen! Eine größere Maſſe mannich-
faltigen Lebensgenuſſes kann man aber gewiß in
England auffinden, als es bei uns möglich iſt. Nicht
umſonſt haben hier lange Zeit weiſe Inſtitutionen
gewaltet, und was den Menſchenfreund vielleicht am
*) Du wenigſtens weißt, daß dieſe Stimmung nicht in
Egoismus begründet iſt.
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/27>, abgerufen am 23.11.2024.
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