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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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das frugale Mahl die Unterhaltung nicht abbrach,
und es war lange nach Mitternacht, als wir schie-
den, um unsre Betten aufzusuchen. Erst als ich
schon in dem meinigen lag, erfuhr ich, daß, bei der
Unmöglichkeit, in dem elenden, nur aus wenigen Hüt-
ten bestehenden Ort ein Bett aufzutreiben, die her-
zensgute und ganz ceremonielose Frau mir ihr eig-
nes abgetreten, und sich bei ihrer ältesten Tochter
einquartirt habe. Mit welchen Gefühlen ich nach
dieser Nachricht endlich einschlief, magst Du Dir
denken! --

Ueber ihre Familie, deren Namen mir so sehr auf-
fallen mußtet, konnte Mistriß L .... mir selbst nicht
viel mittheilen. Im zwölften Jahre hatte sie Herr
L ...., damals Hauptmann in der englischen Armee,
in ....... geheirathet. Gleich darauf war ihr Vater
gestorben, und sie mit ihrem Gemahl nach Irland
geschifft, welches sie seitdem nie verlassen. Sie hatte
wohl gehört, daß sie Verwandte in Deutschland habe,
aber nie mit ihnen correspondirt, bis sie vor drei
Jahren einen Geschäftsbrief von einem Vetter aus
A .... erhielt, mit der Ankündigung, daß der Bru-
der ihres Vaters gestorben und sie zur Universaler-
bin eingesetzt habe. Die Gleichgültigkeit des afrika-
nischen Naturkindes war so weit gegangen, daß sie
diesen holländisch geschriebenen Brief nicht nur bis
jetzt unbeantwortet gelassen, sondern, wie sie er-
zählte, auch nur zum Theil entziffern können, da
sie die Sprache in so langer Zeit fast vergessen habe.
Ich kenne den Mann ja nicht, setzte sie entschuldi-

das frugale Mahl die Unterhaltung nicht abbrach,
und es war lange nach Mitternacht, als wir ſchie-
den, um unſre Betten aufzuſuchen. Erſt als ich
ſchon in dem meinigen lag, erfuhr ich, daß, bei der
Unmöglichkeit, in dem elenden, nur aus wenigen Hüt-
ten beſtehenden Ort ein Bett aufzutreiben, die her-
zensgute und ganz ceremonieloſe Frau mir ihr eig-
nes abgetreten, und ſich bei ihrer älteſten Tochter
einquartirt habe. Mit welchen Gefühlen ich nach
dieſer Nachricht endlich einſchlief, magſt Du Dir
denken! —

Ueber ihre Familie, deren Namen mir ſo ſehr auf-
fallen mußtet, konnte Miſtriß L .... mir ſelbſt nicht
viel mittheilen. Im zwölften Jahre hatte ſie Herr
L ...., damals Hauptmann in der engliſchen Armee,
in ....... geheirathet. Gleich darauf war ihr Vater
geſtorben, und ſie mit ihrem Gemahl nach Irland
geſchifft, welches ſie ſeitdem nie verlaſſen. Sie hatte
wohl gehört, daß ſie Verwandte in Deutſchland habe,
aber nie mit ihnen correſpondirt, bis ſie vor drei
Jahren einen Geſchäftsbrief von einem Vetter aus
A .... erhielt, mit der Ankündigung, daß der Bru-
der ihres Vaters geſtorben und ſie zur Univerſaler-
bin eingeſetzt habe. Die Gleichgültigkeit des afrika-
niſchen Naturkindes war ſo weit gegangen, daß ſie
dieſen holländiſch geſchriebenen Brief nicht nur bis
jetzt unbeantwortet gelaſſen, ſondern, wie ſie er-
zählte, auch nur zum Theil entziffern können, da
ſie die Sprache in ſo langer Zeit faſt vergeſſen habe.
Ich kenne den Mann ja nicht, ſetzte ſie entſchuldi-

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[234/0258] das frugale Mahl die Unterhaltung nicht abbrach, und es war lange nach Mitternacht, als wir ſchie- den, um unſre Betten aufzuſuchen. Erſt als ich ſchon in dem meinigen lag, erfuhr ich, daß, bei der Unmöglichkeit, in dem elenden, nur aus wenigen Hüt- ten beſtehenden Ort ein Bett aufzutreiben, die her- zensgute und ganz ceremonieloſe Frau mir ihr eig- nes abgetreten, und ſich bei ihrer älteſten Tochter einquartirt habe. Mit welchen Gefühlen ich nach dieſer Nachricht endlich einſchlief, magſt Du Dir denken! — Ueber ihre Familie, deren Namen mir ſo ſehr auf- fallen mußtet, konnte Miſtriß L .... mir ſelbſt nicht viel mittheilen. Im zwölften Jahre hatte ſie Herr L ...., damals Hauptmann in der engliſchen Armee, in ....... geheirathet. Gleich darauf war ihr Vater geſtorben, und ſie mit ihrem Gemahl nach Irland geſchifft, welches ſie ſeitdem nie verlaſſen. Sie hatte wohl gehört, daß ſie Verwandte in Deutſchland habe, aber nie mit ihnen correſpondirt, bis ſie vor drei Jahren einen Geſchäftsbrief von einem Vetter aus A .... erhielt, mit der Ankündigung, daß der Bru- der ihres Vaters geſtorben und ſie zur Univerſaler- bin eingeſetzt habe. Die Gleichgültigkeit des afrika- niſchen Naturkindes war ſo weit gegangen, daß ſie dieſen holländiſch geſchriebenen Brief nicht nur bis jetzt unbeantwortet gelaſſen, ſondern, wie ſie er- zählte, auch nur zum Theil entziffern können, da ſie die Sprache in ſo langer Zeit faſt vergeſſen habe. Ich kenne den Mann ja nicht, ſetzte ſie entſchuldi-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/258>, abgerufen am 27.04.2024.